Gesundheit:Tabletten auf der Rutschbahn

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In einer spindelförmigen Bahn rutschen die Medikamente vom Obergeschoss hinunter. Apotheker Stefan Hartmann hat seinen Laden modern ausgebaut. (Foto: Georgine Treybal)

Stefan Hartmann lässt in seiner neuen Gilchinger Apotheke eine Maschine die Medikamente aus dem Regal suchen und zum Ausgabeterminal schicken. Mit mehr Service reagiert er auf den Online-Handel.

Von Patrizia Steipe, Gilching

Der Kontrast könnte kaum größer sein. Wer auf Höhe des Schreibwarengeschäfts an der Römerstraße in Gilching steht, sieht auf der anderen Straßenseite zwei Apotheken. Rechts das bauklötzchenhafte alte Gebäude der Sankt-Vitus-Apotheke und weiter links das neue Wohn- und Geschäftshaus der Raiffeisenbank, in dem an diesem Montag die neue Sankt-Vitus-Apotheke eröffnet. "Es wird eine der modernsten Apotheken Deutschlands", schwärmt Betreiber Stefan Hartmann.

Das Konzept hat er gemeinsam mit der künftigen Leiterin Iris Blaschke erstellt. "Darin stecken viele Generationen Apothekerwissens", sagt Hartmann, dessen Ur-ur-Großvater bereits Apotheker war. Besonders stolz ist Hartmann auf das nach seinen Worten deutschlandweit erste Outdoor-Ausgabe-Terminal, an dem sich Kunden jederzeit über einen QR-Code ihre bestellten Medikamente abholen können. Im ersten Stock des Gebäudes steht der Kommissionierungsautomat. Auf Anforderung bewegt sich ein Roboterarm zielgenau zwischen den Regalen mit den mehr als 20 000 Artikeln und greift nach der richtigen Schachtel. Diese wird dann über Förderbänder und "Spindeln", sozusagen Warenrutschen, in das Erdgeschoss oder ins Outdoor-Terminal geschickt.

Mit dieser Neuerung wolle er dem Online-Handel etwas entgegensetzen, erläutert Hartmann, Vorsitzender des 2008 von ihm initiierten Bundesverbands Deutscher Apothekenkooperationen (BVDAK). Sein Geschäft ist aber auch online erreichbar. "Wir sind hybrid und haben zwei Eingänge". Damit meint Hartmann die Tür an der Römerstraße sowie den digitalen Zugang zum Online-Shop.

"Früher sind die Leute gekommen und haben gefragt, ob wir dies oder jenes haben, heute müssen wir uns den Leuten präsentieren", erklärt Blaschke. Gefragt sei mehr als bloßer Medikamentenverkauf. Zum Beispiel können drei Auswertegeräte für PCR-Tests Ergebnisse innerhalb einer halben Stunde melden. Kunden können ihren Corona-Antikörperstatus bestimmen lassen, In einem Nebenraum können sie ihren Blutdruck messen, Kompressionsstrümpfe anpassen oder sich gegen Corona impfen lassen. Der Impfstatus wird gleich digitalisiert. Wer möchte, kann den QR-Code auf eine Scheckkarte drucken lassen, was die Nutzer unabhängig vom Smartphone macht. Wartezeiten können sich die Kunden im Laden vor einem Seewasseraquarium verkürzen. Es gibt eine behindertengerechte Toilette, für die Mitarbeiter ein Ausklappbett für Notdienste in der Nacht und sogar eine Dusche mit Umkleideraum.

Neben der Apotheke hat Hartmann einen Verwaltungstrakt mit Besprechungsraum für seine Verbandsarbeit, sowie sein Büro mit Blick auf die Straße eingerichtet. "Ich bin ein Kind der Römerstraße", erklärt er. Sein Leben lang habe er dort gearbeitet und gewohnt. Wer sich umschaut, findet Relikte vergangener Zeiten. Eine grüne Glasflasche zum Beispiel mit einem Totenkopf und dem Schriftzug "Gift". Sie gehört zum Inventar seines Ur-Großvaters wie auch ein aufbereiteter Schrank mit vielen kleinen Schubladen. "An so etwas hänge ich. Ich möchte meine Wurzeln nicht vergessen", versichert Hartmann. Dass seine Familie in Gilching eine Apotheke aufgemacht hatten, war Zufall.

Urgroßvater Carl Hartmann hatte eigentlich Anfang des 20. Jahrhunderts eine Apotheke in Bensberg bei Köln eröffnet. Nachdem er mit 48 Jahren gestorben war, verpachtete seine Witwe die Apotheke, die ihr Sohn Rudolph nach dem Studium übernehmen sollte. Doch es kam anders. "Der Pächter schnappte sich gleich auch die Urgroßmutter", lachte Hartmann. Für den Sohn sei dadurch kein Platz in der Apotheke gewesen. Über eine Bekannte aus dem Münchner Modehaus Lodenfrey, die damals ein Ferienhaus in der Gilchinger Waldkolonie besaß, entstand die Idee, in dem Ort eine Apotheke zu eröffnen. Großmutter Lore Haak richtete ein Provisorium ein, daneben begab sie sich auf die Suche nach geeigneten Räumen. Der Zimmerer Albert Fanger bot ihr schließlich an, eine Apotheke an sein Haus anzubauen. Am 20. März 1950 eröffnete das Geschäft an der Römerstraße 26. Ein "dringendes Bedürfnis" sei es gewesen, in dem "stark bevölkerten Gebiet des Vierseenlandes eine Apotheke zu errichten", jubelte damals die Lokalzeitung. Bisher mussten die Patienten der drei in Gilching praktizierenden Ärzte mit ihren Rezepten bis nach Seefeld, ins Würmtal oder Fürstenfeldbruck fahren.

Nach dem Großvater, der mit 43 Jahren früh starb, einem Pächter und Vater Fritz Hartmann, übernahm Sohn Stefan 1996 die Apotheke. Jetzt soll das ehemalige "Schmuckkästchen einer Landapotheke", abgerissen werden. Die Raiffeisenbank plant dort ein neues Wohn- und Geschäftshaus.

© SZ vom 31.01.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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