Hass und Hetze im Netz:Regierung könnte bis zu 55 Millionen Euro von Telegram fordern

Hass und Hetze im Netz: Das Ministerium von Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat am Mittwoch ein erstes Gespräch mit den Telegram-Betreibern geführt.

Das Ministerium von Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat am Mittwoch ein erstes Gespräch mit den Telegram-Betreibern geführt.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Die Bundesregierung droht der für radikale Inhalte und Morddrohungen bekannten Plattform harte Strafen an, wenn sie weiter gegen Gesetze verstößt. Zu dem Unternehmen mit Sitz in Dubai besteht erstmals Kontakt.

Von Markus Balser, Berlin, und Christoph Koopmann

Die Bundesregierung verschärft im Streit mit dem Messengerdienst Telegram die Tonlage massiv und droht dem Unternehmen hohe Bußgeldforderungen an. Die Maximalforderungen in zwei laufenden juristischen Verfahren gegen das Unternehmen mit Sitz in Dubai belaufe sich insgesamt 55 Millionen Euro, sagte eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums der Süddeutschen Zeitung am Freitag.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hatte der Plattform zuvor bereits mit Zwangsvollstreckung und strafrechtlicher Verfolgung auch außerhalb der EU gedroht. Die Botschaft: Die Bundesregierung könnte Vermögen des Unternehmens letztlich auch pfänden, wenn der Konzern nicht einlenkt. Das Ministerium fordert seit Längerem, dass Hass und Hetze bei Telegram geächtet und entfernt werden. Bislang kam das Unternehmen den Forderungen jedoch nicht nach. In den Ministerien sorgt das für wachsenden Ärger.

Dabei geht die Bundesregierung nun schon seit einigen Monaten juristisch gegen Telegram vor. Ein Verfahren dreht sich um den fehlenden "leicht erkennbaren und unmittelbaren Meldeweg für strafbare Inhalte" wie Hass und Hetze in Netz. Das zweite um die Nichtbenennung eines Zustellungsbevollmächtigten für Ersuchen von deutschen Gerichten. Beide Vorschriften stammen aus dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Das verpflichtet soziale Netzwerke, strafbare Inhalte aus sozialen Medien zu entfernen. Beim Verstoß gegen die Meldeweg-Vorschriften könnten bis zu 50 Millionen Euro fällig werden. Wegen des fehlenden Bevollmächtigten seien es bis zu fünf Millionen Euro, sagte die Sprecherin weiter.

Damit spitzt sich der Streit weiter zu. Monatelang hatte die Bundesregierung zuletzt vergeblich versucht, an die Betreiber von Telegram heranzukommen. Bereits im Juni vergangenen Jahres gab das Bundesjustizministerium bekannt, dass es die beiden Bußgeldverfahren gegen Telegram führt. Bislang aber blieben beide Verfahren erfolglos, weil deutsche Behörden nicht einmal eine ladungsfähige Adresse von Telegram ausfindig machen konnte.

Noch ist bei Telegram kein Umdenken erkennbar

Doch offenbar lenkt das Unternehmen angesichts der immer größeren Drucks zumindest etwas ein. Am Mittwoch war es immerhin zu einem ersten Gespräch zwischen den Betreibern und dem Bundesinnenministerium von Nancy Faeser (SPD) gekommen. "Wir haben Kontakt zur Konzernspitze von Telegram hergestellt", sagte Faeser. "In einem ersten konstruktiven Gespräch zur weiteren Zusammenarbeit haben wir vereinbart, den Austausch fortzusetzen und zu intensivieren." Das sei ein guter Anfang, auf dem man aufbauen werde, sagte die Ministerin.

Die Umstände allerdings lassen noch kein großes Umdenken bei Telegram erkennen. Die Videoschalte sei erst über eine durch Google vermittelte E-Mail-Adresse verabredet worden, heißt es in Regierungskreisen. Dem Innenministerium zufolge hatten an dem Gespräch Mitarbeiter der Unternehmensspitze teilgenommen. Auf Bundesseite nahm Regierungskreisen zufolge Staatssekretär Markus Richter aus dem Bundesinnenministerium und Beamte des Bundesjustizministeriums teil. Telegram soll seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit erklärt haben. Weitere Gespräche wurden dem Innenministerium zufolge vereinbart.

Telegram wird unter anderem von radikalen Impfgegnern und Querdenkern genutzt, um sich für sogenannte Spaziergänge gegen die Corona-Maßnahmen zu vernetzen. Der Thüringer Verfassungsschutz hatte zuletzt etwa beklagt, dort würden besonders viele konkrete Umsturzfantasien verbreitet. Auf der Plattform tummelten sich auch zahlreiche Rechtsextremisten.

Im Dezember hatten Telegram-Nutzer in einem Chat darüber geschrieben, den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) wegen seiner Corona-Politik töten zu wollen. Erst am Donnerstag durchsuchten Beamte das Haus eines 56-Jährigen, der auf Telegram eine Morddrohung gegen Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) verfasst haben soll.

Das BKA hat eine Taskforce eingerichtet

Vor Kurzem wurde aus dem Bundeskriminalamt (BKA) bekannt, dass man in Ermangelung einer anderen Handhabe nun damit beginnen wolle, Telegram mit Löschbitten zu potenziell strafbaren Postings zu fluten - kurz gesagt, so lange zu nerven, bis die Betreiber reagieren.

Vorige Woche gab das BKA zusätzlich bekannt, dass es nun eine eigene Taskforce eingerichtet habe, die Verfasser von Hass- und Drohnachrichten auf Telegram identifizieren soll. BKA-Präsident Holger Münch zeigte sich besorgt angesichts des Ausmaßes, das die verbale Gewalt auf dem Messengerdienst im Laufe der Pandemie angenommen habe. "Der Rechtsstaat muss dieser besorgniserregenden Entwicklung entschlossen begegnen", sagte Münch.

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