Corona-Politik:Sozialverbände verlangen Klarheit über Impfpflicht

Corona-Politik: Immer noch sind viele Beschäftigte in Pflegeberufen ungeimpft. Eine Impfpflicht soll das ändern. Doch ihre Umsetzung ist umstritten.

Immer noch sind viele Beschäftigte in Pflegeberufen ungeimpft. Eine Impfpflicht soll das ändern. Doch ihre Umsetzung ist umstritten.

(Foto: Marijan Murat/dpa)

Nachdem Bayern das vom Bund beschlossene Gesetz vorerst nicht durchsetzen will, beklagen Heime und Kliniken das Durcheinander. Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) nennt die Konzeption des Bundes "völlig praxisuntauglich".

Von Sonja Hößl, Nadja Tausche und Max Weinhold

Die Aussetzung der gesetzlich beschlossenen Impfpflicht im Gesundheits- und Pflegewesen stößt bei Sozialverbänden in Bayern auf Kritik. Caritas-Sprecher Tobias Utters fordert eine klare Ansage, was die Ankündigung von Ministerpräsident Markus Söder vom Montag für Gesundheitsämter und Einrichtungen bedeutet. "Wir wissen weder, wie die Impfpflicht genau durchgesetzt worden wäre, noch wissen wir, was jetzt passiert", sagte er der SZ. Die Einrichtungen hätten dem jeweils zuständigen Gesundheitsamt zum 15. März melden müssen, welche ihrer Beschäftigten ungeimpft sind. In den voll- und teilstationären Einrichtungen der Caritas in Bayern betrifft das laut Utters aktuell etwa elf Prozent. Nach welchen Regeln das jeweilige Gesundheitsamt dann aber ein Betretungs- oder Tätigkeitsverbot ausgesprochen hätte, sei nicht klar. "Dafür bräuchte es bayernweit einheitliche Regeln." Zur Bekämpfung der Pandemie brauche es eine allgemeine Impfpflicht. "Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Schwächsten zu schützen", sagte Utters. "Diese Verantwortung darf man nicht nur auf die Einrichtungen schieben."

Irritiert von Bayerns Abkehr von der einrichtungsbezogenen Impfpflicht zeigt sich Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK in Deutschland. Eine einheitliche Umsetzung in ganz Deutschland sei wichtig. "Es ist kein besonders guter Stil, gültiges Recht so zu umgehen", sagte sie. Bentele ist der Ansicht, dass die Impfpflicht wichtig und umsetzbar gewesen wäre. Der Schutz von Pflegebedürftigen müsse im Fokus stehen - mithilfe von regelmäßigen Tests und eben Impfungen. Söders Aussage vom Montag trage nicht dazu bei, "das Vertrauen in politisches Handeln in der Pandemie" zu erhalten, so Bentele.

Forderung nach allgemeiner Impfpflicht

Michael Wittmann, Geschäftsführer der Vereinigung der Pflegenden in Bayern, ist dagegen "nicht unglücklich" über den Aufschub. "Die einrichtungsbezogene Impfpflicht würde im Moment mehr schaden als nützen", sagte er. "Die Stellenpläne gerade in kleineren Einrichtungen stehen seit vielen Jahren Spitz auf Knopf. Wenn dort in einzelnen Bereichen zwei, drei Arbeitskräfte wegbrechen, dann müssten Stationen geschlossen oder zumindest das Pflegeangebot stark eingeschränkt werden." Stattdessen fordert auch Wittmanns Vereinigung eine allgemeine Impfpflicht. "Wenn man einen vernünftigen und nachhaltigen Effekt erzielen will, müssen alle geimpft sein."

Auch Stefan Wolfshörndl, Co-Landesvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt Bayern, sieht noch "viele offene Fragen, zum Beispiel zur Nachweispflicht für Handwerker oder warum Besucher im Gegensatz zum Personal keine Impfung, sondern nur einen Test benötigen. Das wäre binnen vier Wochen nicht zu beantworten gewesen", sagt er. "Zudem würde die einrichtungsbezogene Impfpflicht aus unserer Sicht dazu beitragen, die Belastungs- und Pflegesituation zu verschlechtern", sagt Wolfshörndl. "Auf der anderen Seite ist so ein bayerischer Sonderweg ein erneuter Beitrag zum Flickenteppich der Corona-Politik." Genaue Impfquoten aus den Einrichtungen oder Zahlen derjenigen, die nicht mehr arbeiten dürften, kennt er ebenso wenig wie Michael Wittmann. "Aber der Druck im Kessel würde steigen", sagte Wolfshördnl.

"Sehenden Auges ins Chaos"

Derweil hat Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) klargestellt, Bayern sei nicht prinzipiell gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Aber Stand jetzt sei die Konzeption des Bundes "völlig praxisuntauglich": Sie führe "sehenden Auges ins Chaos", sagte er nach der Kabinettssitzung am Dienstag. Dass Gesundheitsämter in jedem Einzelfall ein Betretungsverbot prüfen müssten, sei ein zu hoher bürokratischer Aufwand, ausfallende Pflegekräfte würden die sowieso angespannte Situation in den Einrichtungen verschärfen. Zudem sei die einrichtungsbezogene Impfpflicht nur in Verbindung mit der allgemeinen sinnvoll - "und die bleibt der Bund weiterhin schuldig", sagte er. Auf die Nachfrage, was den Freistaat daran hindere, selbst einen praxistauglichen Weg für die Umsetzung zu finden, verwies Herrmann auf Gesundheitsminister Klaus Holetschek: Der sei derzeit dabei, "im Rahmen des Gesetzes einen Mechanismus zu finden".

Ruth Waldmann, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD im Landtag, kritisierte vor allem den Sinneswandel der Union. Im Dezember hatte der Bundestag mit Stimmen der Unionsfraktion für die einrichtungsbezogene Impfpflicht gestimmt - "und es konnte ihnen gar nicht schnell genug gehen", sagte Waldmann. Bei der Entscheidung, sie nun vorerst nicht umzusetzen, gehe es um Stimmungen statt um den eigentlichen Inhalt: "Die Impfpflicht wird fast wie eine Glaubensfrage diskutiert." Es gehe darum, dass Beschäftigte in der Pflege mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht "etwas müssen, was andere nicht müssen". Das oberste Ziel sei aber, das Virus zu bekämpfen und die Vulnerablen in den Pflegeheimen zu schützen.

Weitere Lockerungen

Auch von der Deutschen Krankenhausgesellschaft kommt Kritik an Bayerns Alleingang. Die Ankündigung befreie die Kliniken nicht davon, sich an das Gesetz zu halten und ungeimpfte Mitarbeiter zu melden, sagte der Vorstandsvorsitzende Gerhard Gaß der Augsburger Allgemeinen. Derweil fordert Holetschek den Bund in einer Mitteilung auf, sich dem Weg Bayerns anzuschließen und ein "Umsetzungsmoratorium" zu unterstützen, bis offene Fragen geklärt seien.

An diesem Mittwoch treten in Bayern umfangreiche Lockerungen der Corona-Maßnahmen in Kraft. Die Sperrstunde in der Gastronomie fällt weg, bei körpernahen Dienstleistungen wie Friseuren gilt künftig die 3-G- statt wie bisher die 2-G-Regelung. Zudem wird die Kapazität bei Veranstaltungen erhöht: In der Kultur sind statt 50 künftig 75 Prozent der maximal zugelassenen Zuschauer erlaubt, im Sport steigt die Zahl von 25 auf 50 Prozent. Staatskanzleichef Herrmann begründete die Lockerungen damit, dass sich die Inzidenzen und die Krankenhauseinweisungen "zunehmend entkoppeln".

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