Mitten in Dachau:In die Erinnerungslücke gefallen

Mitten in Dachau: Der Holocaust-Überlebende Ernst Grube kritisiert die Sparpläne deutlich. Er lobt Elan der Versöhnungskirche, mit dem die Erinnerungan die Naziverbrechen wachgehalten würde.

Der Holocaust-Überlebende Ernst Grube kritisiert die Sparpläne deutlich. Er lobt Elan der Versöhnungskirche, mit dem die Erinnerungan die Naziverbrechen wachgehalten würde.

(Foto: Toni Heigl)

Die Lagergemeinschaft Dachau bittet in einem Brief die Spitzen der Regierungsparteien, der AfD-nahen Erasmus-Stiftung Einhalt zu gebieten. Das war im November. Aber eine Antwort aus Berlin ist bis heute nicht gekommen.

Glosse von Helmut Zeller, Dachau

Sie hatten es nicht einfach, am Anfang. Der Papierkram, Büros ein- oder umräumen, Streifzüge durch lange Flure - wo, verdammt nochmal, gibt es denn hier was zum Beißen? Dass der eine oder andere Berliner Abgeordnete in den ersten Wochen nach dem Einzug ins Parlament temporär etwas orientierungslos wirkte, das muss man verstehen. Dass darunter auch die Bürgernähe leiden kann, ist nicht gut, wird aber wieder gutgemacht, spätestens im nächsten Wahlkampf. Aber dass selbst Spitzenpolitiker, die über personell gut ausgerüstete Büros verfügen, bis heute nicht der Lagergemeinschaft Dachau auf einen Brief vom November geantwortet haben - dazu fällt einem nichts mehr ein.

Die Lagergemeinschaft, 1946 von KZ-Überlebenden gegründet, hatte an Olaf Scholz (SPD), Annalena Baerbock und Robert Habeck (Grüne) sowie Christian Lindner (FDP) geschrieben. Sie mögen doch bitte dafür sorgen, schrieben der Präsident und Holocaust-Überlebende Ernst Grube und sein Vize Jürgen Müller-Hohagen, dass die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) kein Steuergeld bekommt. Der Grund: Mit dem zweiten Einzug der AfD in den Bundestag nach der Wahl im September steht der DES der bisherigen Praxis für parteinahe Stiftungen entsprechend viel Geld zu - bis zu 50 Millionen Euro. Und die wird sie in "Bildung" investieren, verkürzt gesagt, in die Verbreitung völkisch-nationaler Wahnvorstellungen. Grube und Müller-Hohagen harrten mit Spannung der Antwort. In ihren Sondierungsgesprächen hatten die Politiker doch übereinstimmend erklärt, entschlossen gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus in Deutschland vorzugehen. Nach fast drei Monaten hat die Spannung etwas nachgelassen. Langsam weicht sie der Frage: Waren das etwa nur Lippenbekenntnisse? Ja, genau.

"Da ist doch dieser Brief aus Dachau"

Man muss doch aber auch mal die gewaltigen Aufgaben sehen, vor denen die neue Bundesregierung steht. Der Olaf hätte wenigstens seinem Parteifreund, dem Dachauer Abgeordneten Michael Schrodi, simsen können: Rede mal mit denen. Für Christian ist Antisemitismus vielleicht nicht das zentrale Thema - die vielen Altnazis in seiner Partei sind doch schon vor Jahrzehnten über den Jordan gegangen. Aber die Mitarbeiter in den Büros, hat denn da keiner mal was gesagt? Vielleicht doch, vielleicht entspann sich folgender erinnerungspolitischer Dialog: Du, Robert, da ist noch der Brief aus Dachau, was machen wir damit? Und Robert, der gerade an seinem Schreibtisch die grünen Prinzipien für die Realpolitik zurechtschnitzte, erhob sein Philosophenhaupt und sprach: Ich kenne Dachau, da war ich schon. Da ist doch ein KZ. Nee, sagte der Mitarbeiter, jetzt ist es eine Gedenkstätte. Das ist doch gut.

PS: Der Mitarbeiter soll, aber auch das ist nicht belegt, mittlerweile Berlin verlassen haben, weil er es zu traurig fand, wie ein Holocaust-Überlebender und die Lagergemeinschaft Dachau einfach so in die Erinnerungslücke fallen konnten.

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