Christine Lambrecht:Im Bunker

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Bundesverteidigungsministerin Lambrecht bei ihrem Besuch der Panzerlehrbrigade 9 in Munster. (Foto: Philipp Schulze/dpa)

Die Verteidigungsministerin legt einen holprigen Start hin. Prompt wächst die Sorge in der Truppe vor schwacher Führung in schwierigen Zeiten.

Von Mike Szymanski, Berlin

Der Termin kam Christine Lambrecht gelegen, sie wollte Tatkraft demonstrieren: Dienstagnachmittag, die Verteidigungsministerin hatte ihre niederländische Amtskollegin Kajsa Ollongren mit militärischen Ehren empfangen. Sie berieten über die Krisen und Konflikte in der Welt. Natürlich ging es um Mali. Als Lambrecht vor die Kamera tritt, sagt sie: "Ich werde mir vor Ort in den nächsten Tagen ein Bild über die Situation der Arbeit der Soldatinnen und Soldaten machen." Gehen oder bleiben - darum geht es in Mali.

Die Bundeswehr hat mehr als 1300 Soldaten entsandt. Sie sollen Mali zusammen mit internationalen Verbündeten stabilisieren und im Kampf gegen islamistischen Terror unterstützen. Der Einsatz in Mali ist die mit Abstand gefährlichste Mission der Bundeswehr. Und sie wird dadurch noch komplizierter, dass in Mali inzwischen eine Militärjunta herrscht, die seit Wochen mit ihrem Handeln Zweifel aufkommen lässt, ob die Deutschen überhaupt noch willkommen sind.

Aber Lambrecht wird diese Reise, die so wichtig ist, nicht antreten. Ihr Adjutant, das ist der Offizier, der ihr ständig zur Seite steht, hat Corona. Leute, die an diesem Tag mit ihr Kontakt hatten, beschreiben, wie der Ärger in ihr aufgestiegen sein soll. Schon wieder klappt etwas nicht. Es bleibt das Bild einer Ministerin, die es seit Wochen nicht schafft, zu ihrer Truppe in das Krisenland zu kommen. Ein General sagt: "Es ist eine Katastrophe."

Im Verteidigungsministerium blickte man fassungslos auf den positiven PCR-Test

Die SPD-Politikerin kann natürlich nichts für Corona. Sie würde die Truppe im Einsatzland, die penibel darauf achtet, dass niemand das Virus einschleppt, einem großen Risiko aussetzen. So weit, so nachvollziehbar. Das Problem ist nur: Was den Mali-Einsatz angeht, geben mittlerweile andere den Ton vor.

Anders als Lambrecht hat es Katja Keul (Grüne), Staatsministerin im Auswärtigen Amt, längst geschafft, sich ein Bild von der Lage in Mali zu machen. Keul briefte die Sicherheitspolitiker im Bundestag, gab Interviews, formulierte Forderungen an die malischen Herrscher. Im Verteidigungsministerium blickte man fassungslos auf den positiven PCR-Test und organisierte schließlich für Donnerstag eine Video-Schalte ins Einsatzgebiet.

Wenn es nur die eine Reise wäre, die gerade nicht stattfinden kann. Aber Lambrecht, 56, und seit dem 8. Dezember Verteidigungsministerin, hat überhaupt Mühe, im neuen Ressort Tritt zu fassen. Das liegt an ihr, das liegt am Ministerium, das liegt an den verrückten Zeiten.

Nach dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan hat Deutschland nirgendwo mehr Soldaten stationiert

Ihre erste Auslandsreise führte sie zu den deutschen Soldaten an der Nato-Ostflanke nach Litauen. Ein Kurzbesuch, inmitten der Ukraine-Krise. Verwunderung in der Truppe, aber auch bei Sicherheitspolitikern, hinterließ der Eindruck, dass für sie damit der klassische Weihnachtsbesuch bei Soldaten fernab der Heimat offenbar als erledigt galt. Dabei drängte sich ein Besuch in Mali damals schon geradezu auf. Nach dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan hat Deutschland nirgendwo mehr Soldaten als in Mali stationiert. Vergangenes Jahr wurde die Bundeswehr dort Ziel eines Selbstmordanschlags - 13 Soldaten wurden verletzt. Außerdem war klar, dass der Bundestag bald entscheiden muss, ob die Mission über den Mai hinaus verlängert wird. Aber Lambrecht zog sich über die Feiertage zurück.

Kaum ein Ministerium ist so fordernd wie das Verteidigungsministerium, und Lambrecht steckt plötzlich mittendrin, auch in der Weltpolitik. Als sie neulich einem Wunsch der Ukraine nach Rüstungslieferungen nachkam und erklärte, 5000 Schutzhelme für deren Soldaten zu schicken, missglückte ihr Auftritt. In den Helmen sah sie nämlich "ein ganz deutliches Signal: Wir stehen an eurer Seite!" Nicht nur in der Truppe sorgt das seither für Hohn und Spott anstatt für Anerkennung, schließlich wünschte die Ukraine sich vor allem Waffen.

Gerade bekommt sie zu spüren, was für eine schwierige Aufgabe Scholz ihr übertragen hat

Lambrecht, von Beruf Juristin, hatte sich als Innen- und Rechtspolitikerin in der SPD-Fraktion, der sie von 1998 bis 2021 angehörte, einen guten Ruf erworben. 2019 war die Politikerin aus Hessen zur Justizministerin aufgestiegen. Das Ministerium führte sie mit straffer Hand und so souverän, dass ihr die Partei im Mai 2021 zusätzlich noch die Leitung des Familienministeriums übertrug, als Franziska Giffey wegen Plagiatsvorwürfen zurücktrat. Gerade bekommt sie zu spüren, was für eine schwierige Aufgabe ihr Parteikollege und Kanzler Olaf Scholz ihr übertragen hat.

Die ersten Tage im Ministerium begannen frostig. Die alte Führungsmannschaft wurde sofort kaltgestellt. Dem feierlichen Empfang der Neuen mit militärischen Ehren blieb Amtsvorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) fern, obwohl sie im Haus war. Seither kämpft die Ministerin mit ihren neuen Leuten darum, einen Überblick über die Baustellen zu bekommen: Sie fanden unausgegorene Reformkonzepte vor, ein weiterhin dysfunktionales Beschaffungswesen und milliardenschwere Rüstungsvorhaben, über die entschieden werden muss.

Ein General sagt, weitere Fehler könne sich die Ministerin kaum mehr erlauben

Im Januar musste sie sich von Marine-Chef Kay-Achim Schönbach trennen, den sie kurz zuvor erst kennengelernt hatte. Dieser hatte mit umstrittenen Äußerungen zum Ukraine-Konflikt und dem Umgang mit Russland einen internationalen Eklat ausgelöst. "Die Halbinsel Krim ist weg, sie wird nicht zurückkommen", sagte er in einer Runde mit Militärexperten und verstieg sich in krude Ideen zur Weltpolitik.

Die vergangenen Wochen haben Spuren hinterlassen. Von Leuten aus dem Verteidigungsausschusses heißt es, sie hätten den Eindruck, Lambrecht habe sich "eingebunkert". Der CDU-Verteidigungspolitiker Henning Otte hält Lambrecht zugute, dass sie das Amt in "schwierigen sicherheitspolitischen Zeiten übernommen" habe. Sie habe auch die "Bindung zur Bundeswehr" aufgenommen. Aber ein "internationales Profil" könne er bei ihr nicht erkennen. Die Stimmung in der Bundeswehr ist jedenfalls auch gedämpft. Ein General sagt, weitere Fehler könne sich die Ministerin kaum mehr erlauben. Schon jetzt bestehe in der Truppe die Sorge, in sicherheitspolitisch turbulenten Zeiten einer schwachen Führung ausgesetzt zu sein. Lambrecht muss kämpfen, jetzt schon.

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