Olympia:Sie war die schlechteste in ihrer Biathlon-Klasse

Olympia: Schon wieder ganz oben auf dem Podest: Marte Olsbu Röeiseland.

Schon wieder ganz oben auf dem Podest: Marte Olsbu Röeiseland.

(Foto: Lisi Niesner/Reuters)

Doch diese Zeiten sind lange vorbei. Nun nimmt Marte Olsbu Röiseland aus jedem Olympia-Rennen eine Medaille mit - geholfen haben ihr die Lehren aus einer verkorksten WM.

Von Saskia Aleythe, Zhangjiakou

Was sie verändert hat? Marte Olsbu Röiseland lacht und sagt: "Ich glaube nicht, dass wir die Zeit haben, um alles aufzuzählen."

Was in den vergangen elf Monaten mit ihr passiert ist, wollte man aber doch gerne wissen: Sieht man die 31-Jährige in diesen Tagen durch Zhangjiakou laufen, hat sie ihr Lachen immer dabei, es ist ein ganz anderes Bild als noch vor einem Jahr. Als Führende im Weltcup war sie zur Weltmeisterschaft nach Slowenien gefahren und hatte dann schwere Tage erlebt. Nach dem letzten Einzelrennen lag sie im Zielbereich im Schnee und weinte. Knapp gescheitert im Zielsprint gegen die Kollegin Tiril Eckhoff, Olsbu Röiseland wurde Vierte. Die letzte Chance auf eine Medaille: vertan.

Natürlich, man muss das sofort korrigieren: Zwei Mal Staffelgold hatte sie mit der Mannschaft eingefahren, aber Team-Medaillen gehören zum norwegischen Selbstverständnis. Röiseland wollte es ja alleine schaffen. Stattdessen: immer wieder ein Fehler zu viel, auch die Laufform war nicht das, was sie von sich selbst gewohnt ist.

Dass die Norwegerin von ihrem Weg abkam, hatte auch mit Corona zu tun

Und nun, auf chinesischem Kunstschnee: Im dritten Rennen die dritte Medaille, nach Gold mit der Mixed-Staffel gab es Bronze im Einzel und Gold im Sprint. "Ich habe viel gelernt", sagt Olsbu Röiseland, "ich bin ein Jahr älter und vielleicht ein bisschen weiser geworden". Das klang natürlich sehr einfach, darin steckt aber ihre Geschichte: Sie konnte aus ihrem Scheitern vor einem Jahr viel mitnehmen. "Manchmal musst du so eine Erfahrung einfach machen", sagt sie.

Manche Dinge muss man abhaken im Sport, um sich nicht an Negativem aufzureiben, andere lohnt es sich zu analysieren: Olsbu Röiseland stellte fest, dass sie auf der Hochebene Pokljuka plötzlich angefangen hatte, "sichere" Schüsse abzugeben, sie wollte es zu perfekt machen in dem Moment, in dem es darum ging, sich für die Arbeit der zurückliegenden Monate zu belohnen. Olsbu Röiseland war nicht mehr die offensive, fast furchtlose Schützin. "Ich war eine schlechte Version meiner selbst", sagte sie dem norwegischen TV-Sender NRK. Und im Biathlon ist es ja fast so, dass die Gedanken die Waffe steuern; wer zu viel nachdenkt, der tut sich am Schießstand überhaupt keinen Gefallen. Zögern, um sicher zu gehen, ist oft nah dran am nächsten Fehler.

Dabei hatte Olsbu Röiseland alles schon einmal perfektioniert: 2020, kurz vor der Pandemie, da gab es noch eine unbeschwerte Weltmeisterschaft in Antholz und die Norwegerin gewann tatsächlich in jedem Rennen eine Medaille, fünf Mal Gold, zwei Mal Bronze. Sieben Podiumsplätze, das war ein Novum, erst seit 2019 gibt es so viele Wettbewerbe bei einer WM. "Jetzt könnte ich eigentlich zurücktreten, aber das mache ich natürlich nicht. Es war eine traumhafte WM, die ich nie erwartet hätte", sagte Olsbu Röiseland damals. Dass sie danach von ihrem Weg abkam, hatte zum Teil auch mit Corona zu tun.

Olympia: Das Podest nach dem Sprint: Elvira Öberg, Marte Olsbu Röiseland und Dorothea Wierer (von links).

Das Podest nach dem Sprint: Elvira Öberg, Marte Olsbu Röiseland und Dorothea Wierer (von links).

(Foto: Frank Augstein/AP)

Wer akribisch an seinen Zielen arbeitet, den kann so ein unsichtbares Virus ziemlich aus dem Konzept bringen. Die Angst, sich anzustecken und all die Vorsichtsmaßnahmen nahmen irgendwann so viel Raum ein, dass Olsbu Röiseland die Energie für das Wesentliche abging. "Ich habe mich ein bisschen selbst als Biathletin verloren", sagt sie. Nun geht sie freilich nicht nachlässig mit allem um, aber sie macht sich nicht mehr verrückt. Und sie hat anderen Dingen wieder mehr Raum zugestanden. Mehr Zeit mit der Familie zu verbringen, wenn es nötig ist, nicht jeden Lehrgang mit der Nationalmannschaft mitzumachen, wenn sie gerade etwas anderes braucht.

Kurz vor den Spielen in China hat Olsbu Röiseland den Weltcup in Antholz ausgelassen, um nochmal Zeit mit ihrem Mann zu verbringen und alleine zu trainieren. Sie kennen sich seit dem 15. Lebensjahr, Sverre Olsbu Röiseland ist Nachwuchstrainer in Norwegen.

Noch ist Darja Domratschewa mit vier Goldmedaillen die erfolgreichste Olympia-Biathletin

In der neunten Klasse kam sie zu ihrem Sport - und hasste ihn die ersten Monate. Sie hatte sich für die Skischule in Sirdal beworben, um ihrem großen Bruder nachzueifern, aber die Überforderung im ersten Jahr war enorm, sie war die Schlechteste in ihrer Klasse. Was sich dann aber schnell herausstellte: Die Wettkämpfe liebte sie. Trotzdem musste Olsbu Röiseland immer mehr investieren, um zu gewinnen: "Ich glaube, das hat mir geholfen."

Dieses Jahr habe sie Biathlon mehr genossen, sagt Olsbu Röiseland nun in Zhangjiakou, als Führende der Gesamtwertung ist sie zu Olympia gekommen: "Ich weiß, was ich vor solchen Wettbewerben nicht machen sollte." Dazu gehört auch, sich selbst nicht so viel Druck aufzuladen. Wie viele Sportler hat Olsbu Röiseland eine Mentaltrainerin, mit der sie zusammenarbeitet, die Tricks behält sie aber für sich.

Im Einzel, als Denise Herrmann Olympiasiegerin geworden war, hatte sie die Hand schon ganz nah dran an Gold - doch der letzte Schuss verfehlte die Scheibe. "Ich war wirklich enttäuscht. Weil ich gefühlt habe, dass ich es unter Kontrolle hatte und dass ich es besser kann", sagt Olsbu Röiseland, mit zwei Strafminuten reichte es trotzdem noch zu Bronze.

Noch ist Darja Domratschewa mit vier Goldmedaillen die erfolgreichste Olympia-Biathletin, drei davon konnte sie 2014 in Sotschi gewinnen. Olsbu Röiseland könnte sie bei diesen Spielen übertrumpfen. Am Sonntag ist Elvira Öberg ihre erste Verfolgerin, die 22-jährige Schwedin war in dieser Saison gefürchtet für ihre schnellen Beine. "Es wird sehr hart für mich", sagte Olsbu Röiseland und lachte wieder, das konnte sie auch: Im Sprint war sie ihrer jungen Konkurrentin 28 Sekunden voraus.

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