Rosenheim:Gegner fordern Ende des Milliardenprojekts Brenner-Nordzulauf

Rosenheim: Auf den beiden bestehenden Gleisen durch das bayerische Inntal Richtung Tirol gibt es nach Ansicht der Initiative Brennerdialog noch auf viele Jahre hinaus genügend Kapazitäten für weitere Güterzüge.

Auf den beiden bestehenden Gleisen durch das bayerische Inntal Richtung Tirol gibt es nach Ansicht der Initiative Brennerdialog noch auf viele Jahre hinaus genügend Kapazitäten für weitere Güterzüge.

(Foto: Matthias Köpf)

Aus den jüngsten Zugprognosen der Verkehrsministerien und Bahnunternehmen für den Brenner-Basistunnel ziehen die Bürgerinitiativen und der Bund Naturschutz in Bayern ihre eigenen Schlüsse - und fordern ein Ende neuen Nordzulaufs.

Von Matthias Köpf, Rosenheim

Es ist ein Milliardenprojekt, das dem Bund und der Deutschen Bahn zwischen München, Rosenheim und der Grenze zu Tirol bei Kiefersfelden vorschwebt: Zwei zusätzliche Gleise sollen eine leistungsfähige Anbindung zum Brenner-Basistunnel Richtung Italien schaffen, um endlich mehr transalpinen Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern. Mindestens sieben Milliarden Euro würde allein der 54 Kilometer lange Abschnitt im Landkreis Rosenheim kosten, der zu fast zwei Dritteln in Tunneln verlaufen soll, um Landschaft und Anwohner zu schonen und das Vorhaben politisch überhaupt durchsetzbar zu machen. Doch der Bund Naturschutz und die Initiative Brennerdialog als Zusammenschluss von mittlerweile 20 lokalen Bürgerinitiativen zweifeln grundsätzlich an der Notwendigkeit neuer Gleise. Jetzt sehen sie sich darin sogar von der jüngsten Zugprognose der Verkehrsministerien und Bahnunternehmen aus Deutschland, Österreich und Italien bestätigt.

Aus dieser im Dezember vorgelegten Studie zum Brenner-Basistunnel hatten Bahn und Bund in Deutschland abgeleitet, dass die beiden existierenden Gleise durch das bayerische Inntal als Zulauf vielleicht kurzfristig ausreichen, aber auf lange Sicht nicht genügend Kapazität böten. Der Verkehrsplaner Martin Vieregg, auf dessen Berechnungen sich BN und BIs schon länger stützen, bezeichnete die Studie in einer Pressekonferenz am Dienstag im Gegensatz zu früheren Szenarien aus dem Verkehrsministerium zwar als größtenteils "substanziell und ordentlich gemacht", zog daraus aber genau die gegenteiligen Schlüsse. Demnach würde es auch bei der prognostizierten Zunahme des Güterverkehrs reichen, die beiden Bestandsgleise mit moderner Steuerungstechnik zu versehen, wie es Bund und Bahn längst beschlossen haben. Bei Bedarf lasse sich diese Trasse später immer noch streckenweise um ein drittes Gleis ergänzen.

Eine auf bis zu 230 Stundenkilometer ausgelegte Hochgeschwindigkeitstrasse, wie sie derzeit geplant wird, hält Vieregg ohnehin für unnötig, denn der Personenverkehr über die Alpen spielt auch in den offiziellen Prognosen kaum eine Rolle. Die verheißene Fahrzeitverkürzung zwischen München und Verona von mehr als fünf Stunden auf zweieinhalb Stunden würde es laut der Studie nur bei einer kaum nachgefragten direkten Verbindung geben. Für Stopps etwa in Rosenheim, Innsbruck oder Bozen müssten die Züge auf die alte Trasse und verlören dort Zeit, was wiederum ihre Attraktivität für Reisende vermindere. "Allein aus diesem Grund muss die aktuelle Planung einer Hochgeschwindigkeitsstrecke eingestellt werden", forderte BI-Sprecher Thomas Riedrich.

Die entscheidende Rolle in dem Projekt spielt ohnehin der Güterverkehr, und da üben Vieregg, Riedrich und der BN-Landesvorsitzende Richard Mergner doch deutliche Kritik an der Studie. Die gehe nämlich von einem stetigen Wirtschaftswachstum aus, das für Riedrich schon für sich in Frage steht und außerdem nicht mit einer Zunahme des Warenverkehrs einhergehen müsse. Zudem sei die Annahme falsch, dass sich Güterzugverkehr von der weiter östlich über Salzburg führenden Tauern-Route auf die Brennerroute verlagern werde. Ganz im Gegenteil würden mit dem laufenden Ausbau des Güter-Ostkorridors durch Deutschland und der Bahnlinie München-Mühldorf-Salzburg sogar mehr Güterzüge die 150 Kilometer kürzere Tauern-Strecke Richtung Triest nehmen.

Vor allem aber weisen Riedrich und auch BN-Chef Mergner darauf hin, dass viele Lastwagen für die deutlich billigere Brennerroute momentan größere Umwege in Kauf nehmen. Werde dieser Güterverkehr auf die Schiene gedrängt, dann werde er auch wieder den kürzesten Weg nehmen - und der führe eben oft über die Tauern-Route oder über die Rhein-Schiene und den Schweizer Gotthard-Basistunnel und nicht durch den Brenner-Basistunnel.

Dessen Eröffnung hat sich inzwischen auf 2032 verzögert, der deutsche Zulauf soll laut DB frühestens 2040 fertig sein. Auf genau dieses Jahr zielen auch die diskutierten Zugprognosen - für ein "Jahrhundertprojekt" ein sehr kurzer Horizont. Aus Sicht der Bürgerinitiativen ist das Vorhaben ohnehin "ein Großprojekt aus dem vergangenen Jahrtausend" und ein "Milliardengrab", weshalb die Ampel-Regierung im Bund und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) die Planungen stoppen und stattdessen den Ausbau des Bestands vorantreiben müssten. "Ein Moratorium und einen Neustart der Planungen", forderte auch der BN-Chef und bekennende Bahn-Freund Mergner. Der so geplante Brennerzulauf sei "gerade nicht geeignet, in einer Verkehrswende als Beispiel zu dienen". Die am Ende eher zehn oder zwölf Milliarden Euro dafür fehlten dann für den Bahnausbau, wo er viel sinnvoller wäre.

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