Landtagswahlen 2022:Zurück im Kopf-an-Kopf-Rennen

In der SPD gab es nach der Bundestagswahl die Hoffnung, auch die Landtagswahlen in NRW, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und im Saarland zu gewinnen. Aber der Schwung verliert an Kraft.

Von Mike Szymanski, Düsseldorf

Landtagswahlen 2022: Die SPD-Parteivorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Umfragen in den Bundesländern für ihre Partei nicht mehr so gut aussehen wie nach der Bundestagswahl.

Die SPD-Parteivorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Umfragen in den Bundesländern für ihre Partei nicht mehr so gut aussehen wie nach der Bundestagswahl.

(Foto: Florian Gaertner/Imago)

In der Ratinger Straße 10, an der Stelle, an der Thomas Kutschaty sich am Dienstagabend für den Wahlkampf warmmacht, stand einmal eine Keimzelle des Punks: Der Ratinger Hof. Eine Szenekneipe mitten in der Düsseldorfer Altstadt. Ihre Fans bezeichneten sie als "Drecksloch", wenn auch ein legendäres. Die Zeit fegte später in Form einer Abrissbirne über die Kultkneipe hinweg.

Der neue Kulturtreff, der neue Ratinger Hof, der an selber Stelle entstand, dürfte besser zu Kutschaty passen. Es handelt sich um einen ziemlich aufgeräumten Raum mit Bühne. Kutschaty trägt Anzug und Lederschuhe. Der 53-jährige Sozialdemokrat will auch nicht Punk-Legende werden, sondern für die SPD Nordrhein-Westfalen zurückerobern. Er will bei der Landtagswahl am 15. Mai Ministerpräsident werden.

An diesem Abend sitzt er mit SPD-Chef Lars Klingbeil, einem großen Musikfan, der aus Berlin angereist ist, zusammen auf einer kleinen Bühne. Sie wollen vor ihren Anhängern und der Presse darüber reden, wie sie ihr Ziel erreichen können. Klingbeil hatte als Generalsekretär immerhin der SPD zum Wahlsieg und Olaf Scholz ins Kanzleramt verholfen.

Nun geht er durch, was es für einen Erfolg brauche: "Ihr habt Geschlossenheit. Ihr habt ein tolles Team. Ihr seid inhaltlich klar." Ein Punkt fehlt in seiner Aufzählung: Was ist mit dem Rückenwind, der Stimmung also, ohne die die beste Kampagne nicht vom Fleck kommt?

Die SPD befindet sich in Phase zwei ihres Projektes eines sozialdemokratischen Jahrzehnts. Nach dem Erfolg bei der Bundestagswahl will die Partei ihre Position durch Siege bei den Landtagswahlen festigen. Den Auftakt macht Ende März das Saarland. Im Mai wird erst in Schleswig-Holstein und dann in Nordrhein-Westfalen gewählt. Im Herbst dann in Niedersachsen.

Bis auf letzteres Bundesland, wo die SPD mit Stephan Weil den Ministerpräsidenten stellt, gibt es für sie etwas zu holen: Im Saarland ist die Partei Juniorpartner an der Seite der CDU, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen aber sind die Sozialdemokraten in der Opposition.

Es gab eine Zeit, kurz nach der Bundestagswahl, da ließen Umfragen die SPD von einem Durchmarsch träumen. In all diesen Ländern hatte sich die Partei - die mancherorts schon abgeschrieben worden war - an der Konkurrenz vorbeigeschoben. Im Oktober sah eine Umfrage etwa die SPD in NRW sogar wieder bei 33 Prozent und die CDU bei nur 20.

Scholz und sein Ampelbündnis sind in den Widrigkeiten des politischen Alltags angekommen

Aber der Schwung, der von der Bundestagswahl ausging, verliert an Kraft. In NRW deuten die Umfragen derzeit wieder auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen hin. Auch in Schleswig-Holstein, wo die SPD den vergleichsweise wenig bekannten Thomas Losse-Müller gegen den beliebten Daniel Günther ins Rennen schickt, liegt mal die SPD vorne, mal die Union. Nichts ist sicher.

Scholz und sein Ampelbündnis mit der SPD im Zentrum sind in den Widrigkeiten des politischen Alltags angekommen. Das Scheinwerferlicht ist voll auf die SPD gerichtet. Das zeigte sich erst am Dienstag wieder, als der Kanzler inmitten akuter Kriegsgefahr in der Ukraine nach Moskau zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin reiste. Scholz behauptete sich Putin gegenüber. Momente wie diese helfen auch einem Wahlkämpfer wie Kutschaty.

Was er dagegen nicht gebrauchen kann, sind Wortmeldungen des SPD-Altkanzlers und Russengas-Lobbyisten Gerhard Schröder, der ausgerechnet der bedrohten Ukraine "Säbelrasseln" vorwarf. Kutschaty gehörte zu den Ersten in der SPD, die sich von Schröder distanzierten: "Das, was Gerhard Schröder dazu gerade macht, schadet der europäischen und deutschen Außenpolitik." Eine Partei im Clinch mit den eigenen Leuten - das ist Gift für jeden Wahlkämpfer.

Die besten Chancen, einen Regierungswechsel in einem der Bundesländer herbeizuführen, werden Anke Rehlinger, Spitzenkandidatin im Saarland, eingeräumt. Die 45-Jährige startet aus der Position der Vize-Ministerpräsidentin. Könnten die Saarländer ihren Regierungschef direkt wählen, läge Rehlinger klar vor Amtsinhaber Tobias Hans (CDU). Die SPD kommt auf neun Prozentpunkte Vorsprung zur CDU. Komfortabel, könnte man meinen. Es sind noch knapp sechs Wochen bis zur Saarland-Wahl. Aber komplett entspannt wirkt auch Rehlinger in diesen Tagen nicht.

Die Landtagswahl im Saarland dürfte zeitlich zusammenfallen mit der Entscheidung des Bundestags über die Einführung einer Impfpflicht im Kampf gegen Corona. Kanzler Scholz und große Teile der SPD-Fraktion befürworten eine Impfpflicht für alle Erwachsenen. Aber der politische und gesellschaftliche Rückhalt droht zu schwinden. Ein Ende der Omikron-Welle ist in Sicht, der Wunsch nach Lockerungen dominiert die Debatte. Die SPD-Spitze lotet längst Kompromisse aus, um das Projekt noch zu retten. Scheitert die Impfpflicht, käme das "einem Einschlag" gleich, sagen SPD-Wahlkämpfer.

Das nächste Problem zieht bereits auf - die rasant steigenden Energiepreise. Am Montag, in der Präsidiumssitzung, gehörte Kutschaty aus NRW zu jenen, die warnten, die Stimmung könne sich gegen die Regierung richten. An der Zapfsäule, beim Strom und Heizen - die Verbraucher ächzen unter Preissteigerungen, die sie so kaum kannten. "Da muss schnell eine Entlastung kommen", sagte Kutschaty am Dienstag zu Klingbeil auf dem Podium. In diesem Jahr will die Regierung den Mindestlohn von wenigstens zwölf Euro einführen. Aber Kutschaty sorgt sich, dass das zusätzliche Geld gleich wieder von den Energiekosten aufgefressen wird.

Auch Klingbeil ist alarmiert. In Vorstandskreisen hat man die Gelbwesten-Proteste aus Frankreich in Erinnerung, als 2018 Bürger gegen geplante Spritpreiserhöhungen auf die Straße gingen. Die Proteste weiteten sich übers Land aus und richteten sich später allgemein gegen die Reformpolitik der Regierung. Ein Land in Aufruhr - das ist die neue Sorge in der Spitze der SPD.

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