Studium:Forschung und Leere

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Wer in den vergangenen zwei Jahren studiert hat, der konnte leicht vereinsamen. (Foto: Waltraud Grubitzsch/Picture Alliance/dpa)

Deutschland hat seine Studierenden während der Pandemie weitgehend alleine gelassen. Wenn das keine gravierenden Folgen haben soll, brauchen sie jetzt endlich eine Perspektive.

Kommentar von Nicolas Freund

Deutschlands Studierenden geht es gerade nicht so gut. In einer Umfrage klagen 73 Prozent über Konzentrationsprobleme, 41 Prozent berichten von Schlafstörungen, zwei Drittel haben Rückenschmerzen. Vergangenes Semester stellte eine Studie bei knapp der Hälfte depressive Symptome fest, und das Deutsche Studentenwerk meldete, die psychosozialen Beratungsstellen würden "überrannt".

Kein Wunder. Studierende wurden alleingelassen in der Pandemie, vor allem von der Politik. Die Uni kennen viele, die in den letzten zwei Jahren ihr Studium begonnen haben, noch immer nur als Kachel auf Zoom. Bei Lehrveranstaltungen und Prüfungen gibt es so viele Regelungen, wie es Dozierende gibt. Mitten im laufenden Wintersemester wurde von Präsenz- auf Online-Lehre umgestellt - obwohl diese von vielen Studierenden als ungerecht, anstrengend und ineffektiv empfunden wird. Dazu kommen ausgefallene Sportveranstaltungen, Lesekreise, Auslandssemester und was sonst noch zum Studentenleben gehört. Die volle Konzentration auf ein Studium fällt vielen unter solchen Bedingungen schwer.

Studierenden wurde eine hohe Widerstandsfähigkeit unterstellt. Welch Irrtum

Die Studierenden, unter denen die Impfquote fast 100 Prozent beträgt, haben in der Pandemie viel Solidarität gezeigt, selbst aber wenig erfahren. Während ausführlich über Schulen diskutiert wurde, überließ man die fast drei Millionen jungen Menschen, die derzeit in Deutschland an Hochschulen und Universitäten eingeschrieben sind, sich selbst. In der öffentlichen Debatte spielten sie kaum eine Rolle, obwohl die Universitäten fast so schnell geschlossen wurden wie die Kultureinrichtungen und obwohl sie, wie die Schulen, von einem Tag auf den anderen zu Distanz-Lehre wechseln mussten.

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Den Studierenden unterstellte die Öffentlichkeit offenbar eine besonders hohe Resilienz: Schließlich sind die meisten mit Anfang 20 ja offiziell erwachsen, meist ungebunden und das Virus für sie keine große Gefahr. Dabei leiden Studierende, wie die Umfragen zeigen, stark unter den Belastungen der Pandemie. Zum einen weil Corona-Maßnahmen an den Unis besonders früh und rigide durchgesetzt wurden. Zum anderen verlangt ein Studium mehr Selbstorganisation als Schule, Ausbildung oder Arbeit. Gerade unter Lockdown-Bedingungen sind klare Tagesabläufe aber auch für junge Erwachsene wichtig. Hochschulen und Studierende wurden pauschal zwischen Schulen und Kultureinrichtungen subsumiert, so als seien Universitäten nur Ausbildungsstätten und Prüfungsabnahmestellen. Für viele Studierende sind sie aber der Lebensmittelpunkt.

Geht man so mit den Forschern und Führungskräften von morgen um?

Einige Bundesländer und Universitäten haben als Reaktion auf diese Not bereits die Regelstudienzeit verlängert und Sonderregelungen für Prüfungen eingeführt. Doch das reicht nicht: Ein verlängertes Studium muss über Bafög und Stipendium finanzierbar gemacht werden. Auch bedarf es eines Ausbaus der psychologischen und fachlichen Unterstützung für Studierende. Vor allem müssen die Länder klare, einheitliche und angemessene Regelungen vorgeben, wie der Universitätsbetrieb im Falle einer weiteren Corona-Welle aussehen soll.

Deutschland stellt sich gerne als Land der Bildung und Wissenschaft, der akademischen und technischen Innovation dar. Dieser Anspruch wirkt ziemlich hohl, wenn man bedenkt, wie mit Studierenden in den vergangenen zwei Jahren umgegangen wurde. Es ist höchste Zeit, die Forscher, Fach- und Führungskräfte von morgen zu stärken.

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