"Severance" auf Apple+:Wer bin ich und wie viele?

Lesezeit: 3 min

Eisiger Blick: Patricia Arquette in der Rolle der bösen silberhaarigen Lumon-Chefin (im Hintergrund Tramell Tillman). (Foto: Apple TV+)

In Ben Stillers Serie "Severance" werden die Erinnerungen von Mitarbeitern durch einen Chip strikt nach Arbeit und Privatleben getrennt. Ein Albtraum.

Von Kathrin Müller-Lancé

Das Wort "Severance", das zunächst zur Einordnung, hat im Englischen mehrere Bedeutungen. Es kann so etwas wie Abfindung heißen, aber auch Trennung oder Abbruch. Im Falle dieser Serie steht es für ein fragwürdiges Experiment: Das Unternehmen Lumon Industries pflanzt seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Chip in den Kopf, der dafür sorgt, dass die Erinnerungen zwischen dem Arbeits- und dem Privatleben getrennt werden. Das Ganze passiert zumindest dem Anschein nach freiwillig: Wer sich der Prozedur unterzieht, bestätigt sein Einverständnis in einem Videostatement.

Es ist gewissermaßen die chirurgische Verabsolutierung der Work-Life-Balance: Was im Büro passiert ist, bleibt im Büro - sobald sich die Aufzugstür schließt, sind alle Gedanken und Erinnerungen an die Arbeit weg. Das bedeutet aber auch: während des Arbeitstages nicht zu wissen, wer zu Hause auf einen wartet. Und beim Abendessen mit Freunden nicht erzählen zu können, für wen und was man eigentlich arbeitet.

Als Thriller kündigt Apple Plus seine neue Serie an, etwas überraschend angesichts der Tatsache, dass einer der Regisseure und Produzenten der Serie Ben Stiller heißt. Bekannt geworden ist dieser schließlich vor allem als dauerlustiger Darsteller in Filmen wie "Meine Braut, ihr Vater und ich", "Meine Frau, ihre Schwiegereltern und ich", "Meine Frau, ihre Kinder und ich". Als Regisseur tritt Stiller jedoch schon länger anders auf. Zuletzt drehte er die Dramaserie Escape at Dannemora, die mehrfach für einen Emmy nominiert war.

Wenigstens in seinen Arbeitsstunden will Mark die Erinnerungen an seine verstorbene Frau vergessen

Im Zentrum von Severance steht Mark (Adam Scott), ein blasser Mittvierziger in zu weitem Anzug, ehemaliger Geschichtslehrer, der in der Firma mittlerweile die Abteilung "Macrodata Refinement" leitet. Der Severance-Prozedur hat er sich unterzogen, das erfährt man im Laufe der neun Folgen, weil seine Frau bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Wenigstens die acht Arbeitsstunden kann er so frei sein von seiner Trauer und den Erinnerungen an sie. Das, was Mark und seine Kollegen Tag für Tag in dem spärlich eingerichteten Büro tun, wirkt wie eine Karikatur auf die Bullshit-Jobs, die schon der Philosoph David Graeber beschrieb: Stundenlang starren sie auf Achtzigerjahre-Computer und sortieren Zahlen aus einer Matrix aus. Wozu diese Arbeit wirklich dient, weiß niemand.

Als auf einmal ein ehemaliger Kollege und Freund aus der Firma in Marks Privatleben auftaucht, kommen dem Abteilungsleiter zunehmend Zweifel an seinem Arbeitgeber und dessen ungewöhnlichen Methoden. Auch Marks neuer Kollegin Helly (Britt Lower) dämmert bald, dass bei Lumon irgendetwas nicht stimmt. "Bin ich hier gefangen?", fragt sie an einer Stelle. "Was ist, wenn ich merke, dass ich das hier hasse und raus will - geht das überhaupt?" Immer wieder versucht Helly, Kontakt zu ihrem Außen-Ich aufzunehmen. Doch das ist bei Lumon streng untersagt. Als sie einen Zettel mit der Aufschrift "Ich will hier nicht arbeiten" zusammenknüllt, in einen Kugelschreiberdeckel steckt und herunterschlucken will, taucht Mark plötzlich hinter ihr auf und erklärt ihr, dass in den Aufzügen Detektoren vorhanden seien, die Schrift sogar im Körperinneren decodieren können. Helly spuckt den Deckel wieder aus.

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Es braucht ein bisschen, bis man mit den Figuren der Serie warm wird. Die Geschichten hinter den Menschen, die mit Mark zusammenarbeiten, blitzen erst am Ende kurz auf. Der Großteil der Szenen spielt in dem sterilen Firmengebäude, viele weiße Flure, viel Großraumbüro. Überhaupt wirkt es, als hätte jemand die Farbe aus den Bildern getilgt.

Auch Patricia Arquette als eisig grinsende Lumon-Chefin ist wunderbar

Wer anfangs noch Gesellschaftskritik erwartet, wird spätestens ab der Hälfte etwas enttäuscht sein. Spannend ist es trotzdem. Je weiter die Serie voranschreitet, desto unheimlicher wird das Unternehmen - und desto surrealer die Szenerie. Die endlos langen Flure werden zu einem Labyrinth, Türen führen ins Nichts, der Feelgood-Manager, der eben noch frische Melonen und einen Musikplayer zur "Five Minutes Music Experience" ins Büro brachte, entpuppt sich als Zuchtmeister und demütigt Kolleginnen und Kollegen im sogenannten Break Room.

Trotz aller Schauderlichkeit zieht sich ein feiner Humor durch die Serie. Zum Beispiel, wenn sich das Team beim Kennenlernspiel einen Softball hin und her wirft, oder wenn Mark mit einem Kollegen übt, wie man abteilungsleitergerecht freundlich guckt. Adam Scott, bekannt aus der Comedyserie Parks and Recreation, spielt das grandios. Wunderbar ist auch Patricia Arquette in der Rolle der bösen silberhaarigen Lumon-Chefin. Ihr Grinsen ist so eisig, dass man selbst auf dem heimischen Sofa sitzend noch Respekt hat.

Einziger Wermutstropfen: das doch etwas sehr offen geratene Ende. Fast wirkt es so, als habe man all die komplizierten Handlungsstränge nicht mehr ganz zusammenbekommen. Stoff für eine zweite Staffel gäbe es jedenfalls genug.

Severance , neun Folgen, immer freitags, auf Apple+.

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