Krieg in der Ukraine:Scholz wird von allen Seiten bearbeitet

Der Kanzler zögert, Russland vom Zahlungssystem Swift abzukoppeln. Doch bisherige Verbündete sind schon umgefallen. Der Druck auf Scholz steigt.

Von Michael Bauchmüller, Daniel Brössler, Nico Fried und Robert Roßmann, Berlin

Der Mann, den es offenbar noch zu bearbeiten gilt, sitzt in Berlin. Am Samstagmorgen teilte die polnische Regierung mit, dass Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und der litauische Präsident Gitanas Nausėda noch am selben Tag zu Bundeskanzler Olaf Scholz reisen wollten. Zur Begründung erklärte ein Regierungssprecher in Warschau: "Die Europäische Union muss sofort ein Paket von schonungslosen, harten Sanktionen gegen Russland verabschieden."

Das war ein bemerkenswerter Satz, denn genau ein solches Paket war nach allgemeinem Verständnis ja am Donnerstag und Freitag schon beschlossen worden. Bereits in der Nacht zu Samstag traten Beschränkungen in den Bereichen Energie, Finanzen und Transport sowie Exportkontrollen für bestimmte Produkte in Kraft. Außerdem sollen die Vermögen des russischen Präsidenten Wladimir Putin und des russischen Außenminister Sergej Lawrow im Ausland eingefroren werden.

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Doch eine Maßnahme fehlt bislang: der Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungssystem Swift. Beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs hatten zunächst vor allem die baltischen Staaten und Slowenien darauf gedrängt, diese besonders scharfe Maßnahme zu beschließen, andere zogen mit. Doch Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich lehnten das ab.

Seither wird in der EU gerungen, Österreich hat am Freitag seine Meinung geändert - und der Druck auf Scholz und die Bundesregierung wird immer größer.

Für Scholz ist die Sache heikel, weil er stets betont hatte, die Europäische Union und andere westliche Partner seien am Tag eines russischen Angriffs auf die Ukraine sofort in der Lage, ein gemeinsames Sanktionspaket zu verabschieden. Wenn die Bundesregierung nun argumentiert, für einen Ausschluss Russlands vom Zahlungssystem Swift fehle die Vorbereitung, so ist das nur scheinbar ein Widerspruch. Denn Swift hat nie zu den Maßnahmen gehört, die Scholz meinte, als er von der guten Vorbereitung der Sanktionen sprach. Die Bundesregierung war stets dagegen, zu diesem Mittel zu greifen.

Den Grund nannte Scholz schon vor Wochen. "Die Klugheit gebietet es, sich Maßnahmen auszusuchen, die den größten Effekt haben auf den, der die gemeinsam festgelegten Prinzipien verletzt. Gleichzeitig müssen wir bedenken, welche Folgen das für uns selber hat", sagte Scholz Ende Januar in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er unter anderem Swift meinte. In der Bundesregierung ist man überzeugt, dass der Swift-Ausschluss fast sicher zum sofortigen Stopp der Lieferungen von Öl, Gas und anderen Rohstoffen aus Russland führen würde. Mit massiven Folgen.

Allerdings sieht sich Scholz nun auch zu Unrecht allein am Pranger. Er sei "etwas verwundert, dass in der Berichterstattung ausschließlich genannt wird, dass Deutschland angeblich dagegen sein soll", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit bereits am Freitag. Er habe "wahrgenommen, dass unter anderem Frankreich und Italien auch Einwände erhoben haben".

Doch die Position der beiden Länder scheint sich mittlerweile geändert zu haben. Bereits in der Nacht zu Samstag twitterte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij einen Dank an den französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Der sei "ein wahrer Freund der Ukraine". Er liefere Verteidigungswaffen und befürworte er die Abkoppelung Russlands von Swift, so Selenskij. Am Samstagmittag bestätigte Italiens Ministerpräsident Mario Draghi dann auch seinen Positionswechsel.

Am Samstagmittag machte der ukrainische Präsident dann deutlich, dass die Abkopplung Russlands von Swift aus seiner Sicht nur noch an zwei Staaten hänge: "Ich hoffe, Deutschland und Ungarn werden den Mut aufbringen, diese Entscheidung zu unterstützen", zitierte die Nachrichtenagentur Bloomberg Selenskij aus einer Presseunterrichtung. Am Nachmittag sagte der ungarische Außenminister Péter Szijjártó, es gebe keinen Widerstand aus Ungarn gegen einen Swift-Ausschluss Russland. "Wir werden auch nichts blockieren", schrieb er auf Facebook.

CDU ruft zu Mahnwache vor der russischen Botschaft auf

In Deutschland wächst derweil der Unmut in den Unionsparteien über das zögerliche Verhalten von Scholz. Der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), twitterte am Samstagnachmittag: "Dass die Bundesregierung der letzte EU-Partner ist, der noch nicht einem Swift-Ausschluss Putin-Russlands zustimmt, macht sehr nachdenklich." Dies werfe "kein gutes Bild auf unser Land in einem Moment, in dem es um den Kampf für unsere europäischen Werte geht".

Das Angebot der Union zur Kooperation mit der Bundesregierung sei zwar "uneingeschränkt vorhanden", sagte CDU-Chef Friedrich Merz am Samstagabend vor einer hybriden Sondersitzung der Unionsfraktion. "Wir erwarten allerdings auch, dass die Bundesregierung keinen Zweifel an dieser Entschlossenheit lässt, jetzt auch gegen das Regime Putin vorzugehen." Dies sei im Laufe des Samstags "nicht immer ganz eindeutig" gewesen. "Swift sollte und muss nach unserer festen Überzeugung einbezogen werden in die Sanktionen, die jetzt gegen Russland verhängt werden", sagte Merz. Er begründete dies mit einer "völlig hemmungslose Einbeziehung der Zivilbevölkerung" beim russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Der CDU-Chef sagte, er freue sich, dass es nach vielen Gesprächen jetzt wahrscheinlich gelingen werde, an diesem Sonntag "eine gemeinsame Entschließung" der Fraktionen von SPD, FDP, Grünen und Union zu den nötigen Konsequenzen in den Bundestag einzubringen.

Die CDU rief für Samstag 20 Uhr zu einer Mahnwache für "den heroischen Freiheitskampf der Ukraine" vor der russischen Botschaft auf. An ihr wollten neben Merz auch CDU-Generalsekretär Mario Czaja und zahlreiche Unionsabgeordnete teilnehmen.

Juso-Chefin: "Dazu gehört auch der Ausschluss Russlands aus Swift"

Auch in der Ampel-Koalition mehren sich die Forderungen nach einem Einlenken der Bundesregierung - einstweilen allerdings nur aus den hinteren Reihen. "Wir dürfen nun nicht davor zurückschrecken, alle Sanktionsmittel zu verhängen, die uns zur Verfügung stehen", sagte die Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal am Samstag. "Dazu gehört auch der Ausschluss Russlands aus Swift." Damit könne man der russischen Regierung "richtig wehtun". Deshalb solle auch die Bundesregierung "der Forderung unserer osteuropäischen Partnerländer nachkommen." Die Jusos haben zumindest in der Bundestagsfraktion, wo sie gut ein Fünfte der Abgeordneten stellen, durchaus Einfluss.

Zuvor hatte bereits die FDP-Nachwuchsorganisation Junge Liberale die "Zögerlichkeit der deutschen Bundesregierung bei Sanktionen gegen Russland" kritisiert und dabei auch den eigenen Finanzminister und Parteichef adressiert. "Wir fordern die Bundesregierung und insbesondere die FDP dazu auf, ihre bremsende Haltung gegenüber einem Ausschluss Russlands aus Swift umgehend abzulegen", sagte die Vorsitzende Franziska Brandmann. Die Sorge, dass dies ein Ende russischer Gaslieferungen bedeuten könnte, verwundere sehr, "schließlich macht die aktuelle Lage doch offensichtlichst deutlich, dass der Bezug von russischem Gas keine Zukunft hat".

Auch von den Grünen gab es einzelne Stimmen in diese Richtung. Allerdings fiel auf, dass Außenministerin Annalena Baerbock die Position der Bundesregierung hartnäckig verteidigte. Wiederholt verwies sie am Freitag darauf, dass ein Ausschluss auch den Finanzverkehr von Privatpersonen und Nichtregierungsorganisationen treffen würde. Dem Vorhalt, Russland werde nicht von Swift abgeschnitten, um die Energieversorgung in Deutschland zu sichern, widersprach sie nicht. Man trage Verantwortung dafür, dass es in Deutschland weiter eine stabile Strom- und Wärmeversorgung gebe. Eine Destabilisierung spiele nur dem russischen Präsidenten Putin in die Hände.

Die Bundesregierung treibt ganz offensichtlich die Angst vor einer schweren Wirtschaftskrise um, sollten Russlands Öl-, Gas- und Kohlelieferungen komplett versiegen. Das wäre der Fall, sollte Russland völlig vom Swift-System abgenabelt werden. Es gäbe allerdings auch die - zumindest theoretische - Möglichkeit, Rohstofflieferungen von der Sanktion auszunehmen. So bliebe zumindest ein Zahlungskanal offen, um Öl und Gas weiterhin zu bezahlen. Ein entsprechender Mechanismus ist aber nach SZ-Informationen bisher von deutscher Seite nicht vorbereitet worden. Zudem bleibt offen, ob Russland im Falle selbst einer eingeschränkten Swift-Sanktion nicht seinerseits die Rohstofflieferungen einstellt.

Das Bundeswirtschaftsministerium hatte am Donnerstag einen "Vorsorgeplan" vorgelegt, der zumindest für die nächsten Monate die Rohstoffversorgung sicherstellen soll. Damit ließen sich einige Monate ohne russische Lieferungen überbrücken. Vor allem beim Gas aber drohen im nächsten Winter Engpässe, sollte aus Russland nichts mehr fließen. Deutschland bezieht 55 Prozent seines Erdgases, 35 Prozent der Erdöls und 50 Prozent der Importkohle aus Russland.

Überlegt wurde, zumindest einzelne russische Banken von Swift auszuschließen. Am Nachmittag trafen der litauische Präsident und der polnische Ministerpräsident in Berlin ein. Nach dem Treffen mit Scholz verbreitete Regierungssprecher Steffen Hebestreit nur eine dürre Pressemitteilung. Man habe die "schnelle und entschlossene Reaktion" der Europäischen Union auf den russischen Überfall und das bereits verabschiedete Sanktionspaket gewürdigt. In "Umfang und Tiefe" stelle es eine neue Qualität dar. Ein Satz aber ließ aufhorchen. Die drei Politiker seien sich einig, "dass weitere zielgerichtete und wirksame Maßnahmen vereinbart werden sollten".

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