Bauen für Despoten:Doppelter Boden

Bauen für Despoten: Die geplante Oper nach einem Entwurf von Coop Himmelb(l)au in Sewastopol.

Die geplante Oper nach einem Entwurf von Coop Himmelb(l)au in Sewastopol.

(Foto: Coop Himmelb(l)au)

Auf der von Russland besetzten Krim wird eine Oper gebaut. Der Entwurf stammt von Wolf Prix. Muss sich der österreichische Architekt jetzt davon distanzieren?

Von Gerhard Matzig

Als Wolf Prix vor anderthalb Jahren einen Anruf aus der Botschaft der Ukraine erhielt, wurde dem Chef des in Wien ansässigen Architekturbüros Coop Himmel(b)lau der baldige Ruin in Aussicht gestellt. Wegen eines umstrittenen Bauprojektes in Sewastopol. "Sie dürfen das nicht bauen", sagte man, "sonst ..." - "Sonst was?" Das fragte sich Prix. Er lässt sich nicht gern bedrohen. Heute ist der Bau im Gang. Die Ausführungsplanung ist fertig. Die Oper wird Wirklichkeit in Sewastopol, "mit und ohne Coop Himmelb(l)au", wie Prix anmerkt.

Sewastopol ist die größte Stadt auf der ukrainischen Halbinsel Krim. Sie wurde 2014 völkerrechtswidrig annektiert von russischen Besatzern. Sie gehört auch zu den Motiven des neuen Kriegs. Es ist nicht nur ein Standort und Bauplatz. Es ist politisches Terrain. Putin wünscht sich dort eine Oper. Das ist übrigens nicht selten in der Baugeschichte: Eroberer bauen sich oft Räume der Kultur in ihre Eroberungen hinein. Vermutlich in der Hoffnung, man könne vor dem Hintergrund eines Kulturtempels den realpolitischen Frevel besser vergessen.

Das ist immer ein Irrtum. Spätestens seit Hitler aus Berlin Germania machen wollte, weiß man, dass im Architektonischen immer etwas Politisches steckt. Eine Rose ist eine Rose und ein Bauen für Despoten ist ein Bauen für Despoten. Nur dass aus Despoten wie im Fall Putin auch Kriegsverbrecher werden können. Wie jetzt.

Wenn Prix seinen Entwurf für das Mehrspartenhaus (Oper, Theater und Ballett) im Dienste der russischen Besatzungsmacht auf der Krim nicht sofort zurückziehe, so die Botschaft damals am Telefon, dann werde das Wiener Architekturbüro bald erledigt sein. Zur in der Ukraine unerwünschten Person wurde der 79-jährige Prix vorsichtshalber gleich erklärt. Das Vermögen wurde eingefroren. Nun hat Prix allerdings kein Vermögen, jedenfalls nicht in der Ukraine.

Eine Oper sei ja keine Kaserne, sagt er selber

Prix erzählt das in dem boshaften und sensationell zum Sarkasmus befähigten Karl-Kraus-Ton, der ihn zu einem besonders anregenden und besonders komplizierten Gesprächspartner macht. Grundsätzlich bietet jeder Satz von ihm so viele Perspektivwechsel wie die raumwunderlichen Coop-Architekturen, die in aller Welt bekannt sind. Ein Motto des Büros lautet: Architektur muss brennen. Vor dem Hintergrund des Kriegs ist das kein glückliches Zitat. Es stammt allerdings, Peace!, aus den Sechzigerjahren.

Dann ist ein tendenziell genervtes Schweigen in der Leitung zu hören, und man hat schon Angst, dass der "Design Principal" von Coop Himmelb(l)au gleich einen wüstenroten Wutanfall erleidet und auflegt. Was Prix, ein höflicher Mensch, natürlich nicht tut, aber im Folgenden sind doch vor allem die Worte "Heuchelei" und "Scheinheiligkeit" herauszuhören. Schließlich hatte man Prix gefragt, ob er sich nicht bitte schleunigst von der Oper in Sewastopol distanzieren wolle. Oder von Putin.

Prix sagt, er baue ja keine Kaserne, sondern eine Oper - und Kulturprojekte unterliegen auch nicht den Embargobestimmungen. Und die Moral? Die findet Prix angesichts des Paktierens der Konzerne mit allen möglichen Schurken mindestens doppelbödig. Im globalen Maßstab. Und mit Blick auf die Putinversteher-Historie Deutschlands, das aktuell gar nicht blaugelb genug sein kann, kommt man zumindest ins Nachdenken.

Valery Gergiev wurde als Chef der Münchner Philharmoniker soeben vom Oberbürgermeister gefeuert, weil er der Forderung nach Distanzierung nicht nachkam. "Distanzieren Sie sich?", fragt man Prix, jetzt schon etwas penetrant, am Telefon. Zu hören ist ein Seufzen. Das gilt einer Moral mit doppeltem Boden.

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