Russischer Einmarsch:Ukraine meldet viele zivile Opfer

Krieg in der Ukraine: Brennendes Wohnhaus in Charkiw

Spuren der Verwüstung in Charkiw: Die russische Armee beschießt die Stadt im Osten der Ukraine immer heftiger.

(Foto: Ukraine Emergency Ministry/AFP)

Russische Truppen intensivieren ihre Angriffe auf den Süden des Landes und versuchen, den Zugang zum Meer abzuschneiden. Kremlkritiker Nawalny ruft die Russen zum Protest gegen Putin auf.

Von Paul-Anton Krüger, Berlin

Russische Truppen haben am siebten Tag des von Präsident Wladimir Putin befohlenen Angriffskrieges gegen die Ukraine ihre Versuche verstärkt, die wichtigsten Städte des Landes einzunehmen. Offenkundig wird mehr und mehr die schon jetzt hohe Zahl der zivilen Opfer. Nach Angaben des ukrainischen Rettungsdienstes, die sich unabhängig nicht verifizieren lassen, wurden landesweit bislang mehr als 2000 Zivilisten getötet, Tausende verletzt und Hunderte Gebäude beschädigt oder zerstört. Seit Beginn der russischen Angriffe sind laut den UN zudem 874 000 Menschen in Nachbarländer geflüchtet, 454 000 von ihnen alleine nach Polen.

Vor allem um die zweitgrößte Metropole Charkiw im Nordosten kam es zu schweren Kämpfen. Beschuss mit Artillerie und Raketen richtet schwere Schäden im Zentrum der Stadt an, deren Einwohner zu 70 Prozent russischsprachig sind. Der Kreml gibt als Vorwand für die Invasion unter anderem an, russischsprachige Menschen in der Ukraine schützen zu wollen. Russische Truppen rückten in die Hafenstadt Cherson an der Mündung des Dnepr ins Schwarze Meer ein und nahmen die Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer unter Feuer.

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Ziel der Offensive im Süden der Ukraine ist es offenbar, dem Land den Zugang zum Meer abzuschneiden und eine Landbrücke von der 2014 annektierten Krim zum Donbass zu schaffen, dessen östlicher Teil vom russischen Militär kontrolliert wird. Aus Kiew wurden vereinzelte Angriffe gemeldet, die Hauptstadt mit ihren etwa drei Millionen Einwohnern richtet sich auf einen Großangriff in den kommenden Tagen ein. Eine ursprünglich für Mittwoch geplante zweite Verhandlungsrunde zwischen Vertretern Russlands und der Ukraine soll nun am Donnerstag stattfinden, wie die russische Regierung verlauten ließ. Ein Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij deutete jedoch an, die Ukraine könnte auf eine Teilnahme auch verzichten.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bekräftigte dennoch, dass die Nato militärisch in den Konflikt nicht eingreifen werde . "Das wäre in dieser Situation falsch", sagte Scholz bei seinem Antrittsbesuch in Israel. Man werde die Ukraine aber weiter unterstützen, auch mit Waffen. Dies sei die "richtige Haltung aus Konsequenz und notwendiger Vorsicht". Russland hatte die Nato vor einem Konflikt gewarnt. Waffenlieferungen seien in der Situation sehr gefährlich. Es entstünden Risiken, sagte Vizeaußenminister Alexander Gruschko, und es gebe keine Garantie, dass es nicht zu Zwischenfällen komme.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kündigte in einer Fernsehansprache an, mit Russlands Präsident Wladimir Putin im Gespräch bleiben zu wollen, "um unermüdlich zu versuchen, ihn davon zu überzeugen, auf Waffengewalt zu verzichten".

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte in der Nacht zum Mittwoch vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York alle Länder aufgefordert, Russland für seinen Angriff auf die Ukraine zu ächten. Wenig später stimmten 141 der 193 Mitgliedsstaaten für eine entsprechende Resolution, nur fünf stimmten dagegen. US-Präsident Joe Biden sagte in seiner Rede zur Lage der Nation, Putin sei infolge der Sanktionen westlicher Staaten "isolierter von der Welt als je zuvor". Russlands Wirtschaft sei bereits ins Taumeln geraten. Die USA sind laut seiner Sprecherin offen für Sanktionen gegen die russische Öl- und Gasindustrie, die dann auch die Ölimporte der USA aus Russland treffen würden.

Der Kreml bezeichnete die Strafmaßnahmen als schweren Schlag gegen die russische Wirtschaft. Putins Sprecher Dmitrij Peskow betonte aber, das Land habe große Reserven, dem Druck standzuhalten. Auch kündigte er Reaktionen Moskaus an. Das Außenministerium teilte mit, das Ende der umstrittenen Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 werde die russisch-deutschen Beziehungen "irreparabel beschädigen".

Der im Straflager inhaftierte Kremlgegner Alexej Nawalny rief unterdessen die Menschen in Russland zu Protesten gegen den Krieg auf. Protestiert werden solle jeden Tag - "wo auch immer ihr seid: in Russland, Belarus oder auf der anderen Seite des Planeten", schrieb er am Mittwoch auf seinem Twitter-Account. Die Polizei hatten in den vergangenen Tagen Tausende Menschen bei Protesten gegen den Krieg festgenommen.

Russischer Einmarsch: Alexej Nawalny ist Russlands prominentester Putin-Gegner. Aus dem Straflager rief er seine Landsleute zu Protesten gegen den Krieg in der Ukraine auf.

Alexej Nawalny ist Russlands prominentester Putin-Gegner. Aus dem Straflager rief er seine Landsleute zu Protesten gegen den Krieg in der Ukraine auf.

(Foto: Uncredited/Moscow City Court/dpa)

Die Bundesregierung kündigte an, mit einer Reihe von Maßnahmen die Energieversorgung sicherstellen und die Preise senken zu wollen. So will der Bund kurzfristig für 1,5 Milliarden Euro Flüssiggas kaufen, wie das Wirtschaftsministerium mitteilte. Zur Beruhigung des Ölmarktes gab die Bundesregierung zudem einen Teil der nationalen Ölreserve frei. Der international abgestimmte Schritt diene zur Stabilisierung der Preise. Versorgungsengpässe gebe es bislang aber nicht.

Die Internationale Energieagentur (IEA) hatte am Dienstag in Paris mitgeteilt, insgesamt würden die 31 Mitgliedsländer der Agentur 60 Millionen Barrel Rohöl freigeben. Deutschland leiste einen Beitrag entsprechend dem Anteil am Erdölverbrauch. Damit verringere sich die Reichweite der strategischen Reserven jedoch nur von 93 Tagen auf die gesetzlich vorgegebenen 90 Tage.

Der Krieg in der Ukraine führte in der Autoindustrie zu Produktionsausfällen in Deutschland. VW, Porsche, BMW und der Lkw-Hersteller MAN müssen wegen fehlender Teile von Zulieferern aus der Ukraine ihre Produktion drosseln.

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