Johanne Charlotte Unzer: "Versuch in Scherzgedichten":Damenwitze und Triebkontrolle

Johanne Charlotte Unzer: "Versuch in Scherzgedichten": Die "gecrönte" Dichterin Johanne Charlotte Unzer, geboren 1725.

Die "gecrönte" Dichterin Johanne Charlotte Unzer, geboren 1725.

(Foto: Alamy Stock Photos /mauritius images)

Was die Männer übers Trinken und über die Frauen scherzten, konnte die Dichterin Johanne Charlotte Unzer schon lange. Kein Wunder, dass man sie fast vergessen hat. Bis jetzt.

Von Lothar Müller

Im 18. Jahrhundert grassierte der Wunsch nach Unsterblichkeit. An die Vorstellung der Seele, die den Tod überlebt, war er nicht mehr gebunden. Die Druckerschwärze machte dem Himmel Konkurrenz, das alte Versprechen der Schrift und der wachsende Literaturmarkt taten sich zusammen, es wuchs der Ehrgeiz, sich in Buchform zu verewigen.

Die Verleihung von Dichterkränzen kam in Mode. Am 2. Mai 1753 hielt Johann Gottlob Krüger, Professor für Medizin und Philosophie, an der Universität Helmstedt seine Lobrede auf Johanne Charlotte Unzer, "anlässlich ihrer Würdigung als Kaiserlich gekrönte Poetin". Die Geehrte hatte soeben ihren "Versuch in Scherzgedichten" in zweiter, vermehrter Auflage publiziert, 1751 war ihr "Grundriss einer Weltweisheit für das Frauenzimmer" mit Anmerkungen und einer Vorrede von Johann Gottlob Krüger erschienen. Unzer verkörperte eine zeittypische Figur, das "gelehrte Frauenzimmer", in einer charakteristischen Ausprägung. Das Scherzgedicht hielt bei ihr die Gelehrsamkeit demonstrativ in Schach.

Wie es sich gehörte, antwortete sie auf die Ehrung durch einen Lorbeerkranz mit einer Ode über den Nachruhm, reservierte darin aber die Rhetorik der Unsterblichkeit für ihren Lobredner Johann Gottlob Krüger und den regierenden Fürsten Karl I. von Braunschweig-Wolfenbüttel. Über ihre eigenen Gedichte schrieb sie: "Vielleicht verblühn in kurtzer Zeit / Die Zeugen meines Daseyns wieder: / Vielleicht sind meine kleinen Lieder / Auch Opfer der Vergessenheit. / Jedoch, ihr Zweck, mein Leben zu versüßen, / Ist schon erreicht; die Nachwelt kann sie missen."

Die Figur des "philosophischen Arztes" war so zeittypisch wie das gelehrte Frauenzimmer

Daran hat sich die Nachwelt weitgehend gehalten. In der umfangreichen Anthologie "Frauen | Lyrik. Gedichte in deutscher Sprache" (2020) von Anna Bers tauchte Johanne Charlotte Unzer aber wieder auf, und nun gibt es die zweite Auflage ihrer Scherzgedichte in einer Neuausgabe, mit Anmerkungen, zeitgenössischen Rezensionen und einem kundigen Nachwort. Es betont zu Recht die Bedeutung der literarischen Geselligkeit, des mündlichen Gedichtvortrags, des launigen Spiels mit Konventionen für das Schreiben der "Unzerin", wie sie in einer Zeit hieß, die gern die Nachnamen der Frauen weiblich markierte. Als "J.C. Unzerinn geb. Zieglerinn" unterzeichnete sie die Vorrede zu ihren Scherzgedichten.

Zur lebensweltlichen Einbettung ihres Schreibens gehörte, dass ihr Bildungsgang sich mit ihrer Familiengeschichte verschränkt erzählen lässt. Geboren wurde sie im November 1725 in Halle an der Saale als Tochter des Organisten und gefragten Klavierlehrers Johann Gotthilf Ziegler und seiner Frau Anna Elisabetha. Der Vater war ein Schüler Johann Sebastian Bachs, die Mutter entstammte einer Uhrmacherfamilie. Der Medizinprofessor Johann Gottlob Krüger war ihr Bruder. Er ging erst 1750 nach Helmstedt, bis dahin lebte er in Halle, machte dort sein Doktorexamen wie Johann August Unzer. Beide waren Mediziner mit Interessen an der "Weltweisheit", beide an der Ausprägung der Figur des "philosophischen Arztes" beteiligt, die so zeittypisch war wie das gelehrte Frauenzimmer. Zu ihrem Freundeskreis zählte der Philosoph Georg Friedrich Meier, Autor unter anderem der "Gedanken von Scherzen" (1744).

Die Schreib- und Bildungslust der jungen Johanne Charlotte Ziegler fusionierte mit den populärphilosophischen Energien einer sich ausweitenden Gelehrtenrepublik. Halle war mit den Franckeschen Stiftungen und der protestantischen Universität ein Zentrum sowohl des Pietismus wie der Aufklärung. Ihr Vater, der 1747 starb, neigte eher zur strengen Frömmigkeit, nach seinem Tod wurde sie ein Mitglied des Kreises um ihren Onkel Johann Gottlob Krüger und seine aufgeklärten Freunde.

"... ich sehe es für ganz nothwendig an, mir hier eine Vertheidigung im Voraus zu machen."

Dass sie so gern vom Scherz, vom Witz und von der Laune sprachen und schrieben, hatte eine unübersehbare polemische Spitze. In den Bußübungen und Selbstanklagen der Frommen witterten die philosophischen Ärzte Brutstätten von Melancholie und Hypochondrie. Mit ihrem Verlobten und späteren Gatten, dem Arzt Johann August Unzer, studierte sie die Weltweisheit, ihr Onkel beriet und redigierte sie und lieferte, wenn notwendig, Übersetzungen aus dem Griechischen und Lateinischen. Sie machte keinen Hehl daraus, dass sie auf ihrem informellen Bildungsweg jenseits der Universität die klassischen Sprachen nicht erlernt hatte. Einer Akademie bedurfte sie nicht, um Scherzgedichte schreiben zu lernen, Modelle wurden zuhauf in Büchern und Zeitschriften publiziert.

Ihr Stichwortgeber war, wie es sich gehörte, ein antiker Autor, der griechische Lyriker Anakreon, mit seinen Liedern über den Wein, die Liebe, das Scherzen in geselliger Runde. Damon und Damis, Phyllis und Doris lagen als Namensmasken für Verliebte stets griffbereit. Johann Ludwig Gleim, Kanonikus in Halberstadt, oder der Hamburger Friedrich von Hagedorn hatten einen hohen Ausstoß an anakreontischen Oden und Liedern. Ihnen stellte sich Johanne Charlotte Unzer an die Seite und begann das Vorwort der Erstausgabe ihrer "Scherzgedichte" so: "Ich würde wegen dieser Gedichte gar nichts zu erinnern haben, wenn ich nicht ein Frauenzimmer wäre. Eine Mannsperson hat die Freyheit, von Liebe und Weine zu scherzen, ohne befürchten zu dürfen, daß man es ihr übel auslegen werde. Unser Geschlecht ist hierinnen weit mehr eingeschränkt: und ich sehe es für ganz nothwendig an, mir hier eine Vertheidigung im Voraus zu machen."

Zwei Argumente brachte sie dazu vor: Erstens, dass die Frauen dergleichen nun einmal ebenfalls können. Zweitens, dass es sich um eine rhetorische Konvention handelt, sodass niemand befürchten müsse, die Scherzgedichte mit ihrer Nähe zum Trinken, Lachen und Küssen seien im Ernst dazu da, zu übermäßigem Wein- oder gar Liebesgenuss aufzurufen. Nicht anders als die empfindsamen Freundschaftsrituale der Männer ließen ihre Scherzgedichte die Herrschaft der Tugend als letzte Instanz unangetastet.

Johanne Charlotte Unzer: "Versuch in Scherzgedichten": Johanne Charlotte Unzer: Versuch in Scherzgedichten. Herausgegeben von Michael Multhammer. Wehrhahn-Verlag, Hannover 2021. 176 Seiten, 18 Euro.

Johanne Charlotte Unzer: Versuch in Scherzgedichten. Herausgegeben von Michael Multhammer. Wehrhahn-Verlag, Hannover 2021. 176 Seiten, 18 Euro.

Heitere Aufklärung plus Triebkontrolle war das Konzept. Mit großer Lust an Reim und Metrum variierte Johanne Charlotte Unzer aus weiblicher Perspektive Muster, in denen die Männer Frauen und Wein zu bedichten pflegten. Sie folgte ihrem Mann, der von Halle nach Altona bei Hamburg ging, und erfüllte selbstverständlich ihre Pflichten als Ehefrau, Hausfrau und Mutter. Aber das Scherzen gehörte auch in Altona zum guten Ton der aufgeklärten Freundschaftszirkel, wie auch die Kritik an den allzu strengen Lehrern und die Plädoyers für heitere Bildung und sanfte Erziehung.

Man lese etwa das Gedicht "Der neugefasste Entschluss", in dem der Versuch, sich erhabenen Gegenständen zuzuwenden, formvollendet scheitert: "Oft hab ich selber mich geplagt; / Oft hab ich zu mir selbst gesagt: / Ich will nicht immer Scherze dichten, / Ich will erbaun und unterrichten. / Was sing ich nun so lange schon, / Wie Gleim und sein Anakreon, / Vom Bacchus, den die Riesen flohn, / Und von der geilen Venus Sohn? / Wer ein entzückend Lied will singen, / Der singe von erhabnen Dingen; / Nicht von der Liebe Zauberey, / Nicht von der Schönheit Schmeicheley, / Nicht von den Scherzen und dem Lachen. / Ich sann demnach auf höhre Sachen; / Ich wollte Flüche widers Lachen, / Ja Herrenhuter Lieder machen: / Allein das gab erst was zu lachen!"

Man sieht, es führen Verbindungslinien von den Scherzgedichten ins zwanzigste Jahrhundert, etwa in die Welt von Robert Gernhardt, bei dessen Parodien auf das Erhabene allerdings die Tugendbremsen nicht mehr funktionierten. Bei Johanne Charlotte Unzer, die 1782 in Altona starb, war übrigens eine ehemalige Todsünde, die curiositas, die Brücke zwischen dem Interesse an Gelehrsamkeit und dem Scherzen und Küssen: "Die Neugier ist zu aller Zeit / Den Schönen, wie den Männern, eigen: / Drum hat des Schäfers Zärtlichkeit, / Nebst Bäumen, Doris auch zum Zeugen."

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