Weltfrauentag:Hürden auf dem Weg zur Gleichberechtigung

Lesezeit: 5 min

Corona hat die Situation von gefährdeten Frauen auch im Landkreis Ebersberg verschlechtert, sagen Angela Rupp und Nina Gallenberger vom Ebersberger Frauennotruf. (Foto: Christian Endt)

Die Pandemie hat manches zurückgedreht, was schon erreicht worden war. Zum Internationalen Frauentag sprechen Angela Rupp und Nina Gallenberger vom Ebersberger Frauennotruf über ihre Arbeit und ihre Ziele für den Landkreis.

Von Johanna Feckl, Ebersberg

In diesem Jahr wird es keine roten Rosen im Landkreis Ebersberg geben. Zumindest keine, die der Ebersberger Frauennotruf zum Weltfrauentag an diesem Dienstag verschenkt. Der Tag ist ja vielerorts Anlass, um Blumen zu verteilen. In der Vergangenheit beteiligte sich auch der Frauennotruf immer wieder mal an solchen Aktionen, zuletzt vor zwei Jahren im Poinger City-Center. Damals habe man gezielt den Landkreisnorden gewählt, um mit den Frauen dort ins Gespräch zu kommen, erzählt Angela Rupp. Im Gegensatz zum direkteren Umfeld der Kreisstadt schätzte man die Arbeit der Einrichtung dort als eher weniger bekannt ein, erklärt deren Geschäftsführerin. "Das hat auch gut geklappt", so die Sozialpädagogin weiter. Und dennoch: Heuer soll der Weltfrauentag anders aussehen. "Wir wollen mehr!"

Im Gespräch mit der SZ Ebersberg erklären Angela Rupp und eine ihrer Mitarbeiterinnen, die Kinder- und Jugendpädagogin Nina Gallenberger, ihre Forderungen - und beginnen mit der Schilderung der aktuellen Lage vieler Frauen im Landkreis.

Eine höhere Zahl von Beraterinnen kann auch eine größere Zahl an Gesprächen abdecken

Von 2019 auf 2020 verzeichnete der Frauennotruf einen Anstieg der Beratungsgespräche um 25 Prozent. Im vergangenen Jahr waren es weitere fünf Prozent mehr, aktuell zeigen sich die Fallzahlen relativ stabil auf einem sehr hohen Niveau. Ein Teil dieses enormen Zuwachses ist laut Rupp durch die personelle Aufstockung ihres Teams zu erklären: Mehr Beraterinnen können eben auch eine insgesamt größere Zahl an Gesprächen abdecken. Außerdem gibt es mittlerweile nicht mehr nur die Möglichkeit persönlicher und telefonischer Beratungen, sondern Frauen finden nun auch online Unterstützung, zum Beispiel mittels eines Live-Chats. Einen anderen Teil der gestiegenen Nachfrage erklärt Rupp durch Corona.

"Die Gesamtlage ist ungünstig", fasst die Sozialpädagogin zusammen. In Beratungsgesprächen hätten sie und ihre Kolleginnen häufig erlebt, dass sich Frauen eigentlich von ihrem oft gewalttätigen Partner trennen wollten - es letztlich aber nicht getan haben. Wegen Corona. Denn vor allem zu Beginn der Pandemie waren die äußeren Umstände zu schwierig: Wohnungsbesichtigungen fanden nicht statt, Möbelgeschäfte waren geschlossen, Freizeitaktivitäten, die für den Aufbau sozialer Strukturen an einem neuen Wohnort wichtig sind, gab es kaum. "Frauen waren häufig auch die ersten, die ihre Jobs verloren haben", sagt Rupp. Denn sie seien es, die mehrheitlich in Minijobs oder befristeten Arbeitsverhältnissen tätig sind - solchen Angestellten ist schnell gekündigt. Das hatte zur Folge, dass die Betroffenen nicht wussten, wie sie eine Wohnung und den Lebensunterhalt überhaupt finanzieren sollten ohne die Hilfe des Partners.

Vor Corona habe es Übergangslösungen geben: Mal ein Wochenende zu den Eltern oder der besten Freundin, bis sich die akute Notsituation entschärft hatte. Durch die strengen Kontaktbeschränkungen stellte dies für viele Frauen jedoch eine große Hürde dar, während sich gleichzeitig die prekäre Lage in den eigenen vier Wänden oftmals verschlimmert hatte: Durch Lockdowns, Kontaktbeschränkungen, Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit waren und sind Familien vermehrt zu Hause, frühere Möglichkeiten zur Stärkung der Resilienz wie Sport- oder Kulturangebote finden gar nicht oder kaum statt.

Vor einigen Monaten ist die Notwohnung des Frauennotrufs weggefallen, wo gefährdete Frauen schnell untergebracht werden konnte

Hinzu kommt: Vor einigen Monaten ist die Notwohnung des Frauennotrufs weggefallen, in der bislang gefährdete Frauen schnell und übergangsweise untergebracht werden konnten - Kündigung wegen Eigenbedarfs. "Es gibt Situationen, in denen wir die Frauen in ihrem Umfeld zu Hause als sehr gefährdet einstufen", sagt Rupp. "Da ist uns eigentlich überhaupt nicht wohl dabei, wenn sie weiterhin dort bleiben." Aber ohne Notwohnung und somit ohne kurzfristige Lösung würden viele Frauen nicht wissen, wohin sie gehen können.

Die Beraterinnen vom Frauennotruf versuchen zwar, in solchen Fällen an Frauenhäuser zu vermitteln, aber auch das gestaltet sich schwierig: Ein eigenes Frauenhaus gibt es im Landkreis Ebersberg noch nicht, ein entsprechender Grundsatzbeschluss vom Kreis liegt aber vor. Aktuell muss jedoch noch an andere Häuser vermittelt werden. "Oft wollen die Frauen aber den Landkreis nicht verlassen, denn die Kinder gehen hier zur Schule, oder die Arbeitsstelle ist hier oder das gesamte soziale Umfeld", sagt Rupp. Für sie und ihre Kolleginnen bedeutet das: Noch mehr Kraft als ohnehin schon auf Sicherheitsberatung und Gefahrenanalyse mit den betroffenen Frauen aufwenden, sie darin bestärken, die Polizei zu rufen, Codewörter mit Freundinnen zu vereinbaren, das Handy immer griffbereit zu halten und stets auf ausreichenden Empfang zu achten. Ein Frauenhaus im Landkreis hätte sicherlich das Potenzial, so Rupp weiter, einen größeren Teil der unmittelbar bedrohten Frauen in Sicherheit zu bringen.

Es gibt aber auch die Erfolgsgeschichten, solche, in denen sich Frauen aus einer Beziehung voller Gewalt allen Corona-Widrigkeiten zum Trotz befreien können. Vor allem Nina Gallenberger hat mit den Betroffenen zu tun. Sie ist beim Frauennotruf zuständig für das Second-Stage-Projekt: Ein vom Freistaat finanziertes Programm, das von Gewalt betroffene Frauen und ihre Kinder bei der Trennung vom Partner und dem Aufbau eines neuen Lebens unterstützt. Das Projekt läuft noch bis Ende des Jahres, dabei ist Ebersberg der einzige von insgesamt 15 Modellstandorten in ganz Bayern, der nicht an ein Frauenhaus angebunden ist.

2021 konnten durch einen raschen Umzug 17 Kinder aus einem gewaltgeprägten Zuhause geholt werden

"Der Bedarf an dieser Art von Hilfe ist sehr hoch", sagt Gallenberger. Seitdem das Projekt vor gut zwei Jahren ins Leben gerufen wurde, haben durchschnittlich zwölf Frauen pro Jahr Unterstützung bekommen, jeweils acht davon konnten in eine eigene Wohnung ziehen. "Allein 2021 konnte durch einen solchen Umzug auch für 17 Kinder eine gewaltgeprägte Situation zu Hause beendet werden." Nina Gallenberger und Angela Rupp hoffen, dass es mit dem Projekt auch nach 2022 weitergeht und es bald zum festen Bestandteil des Unterstützungsangebots für Frauen in ganz Bayern mit einer Regelfinanzierung gehört.

Corona verschärfe aber nicht nur die Lage jener Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, sagt Rupp. "Die Pandemie bedeutet allgemein einen herben Rückschlag für die Gleichberechtigung und Gleichstellung von Frauen." Mehrheitlich seien es Frauen, die nun die Kinderbetreuung weitestgehend alleine managen. Rupp betont, dass dies nicht immer am fehlenden Willen der Männer liege, sondern vielmehr an den Strukturen, die nicht ausgereift seien: Frauen würden nach wie vor weniger verdienen als Männer. Wenn nun solch hohe Mieten zu zahlen sind wie im Münchner Umland, dann sei für viele Paare die Entscheidung klar, wer spätestens jetzt seine Arbeitszeit wegen Homeschooling und Co. reduziert: der Part mit dem geringeren Einkommen, überwiegend also die Frauen. Seit Beginn der Pandemie beraten Rupp und ihr Team immer häufiger Frauen, bei denen solch eine tradierte Rollenverteilung wieder Einzug gehalten hat - und die damit keineswegs zufrieden sind.

Die Aktionen zum Weltfrauentag werden im Landkreis Ebersberg auf den Sommer verschoben

Was also dagegen tun? Das Team vom Ebersberger Frauennotruf hat sich dazu entschieden, seine Aktionen zum diesjährigen Weltfrauentag zu verschieben. Im Sommer, wenn Corona hoffentlich wieder größere Zusammenkünfte von Menschen möglich macht, soll es eine Kultur-Veranstaltung geben - denn auch dort zählen Frauen in vielen Bereichen zu einer Minderheit, zum Beispiel bei Comedy- und Kabarett. "Wir möchten uns des Themas Sichtbarkeit von Frauen in verschiedenen Bereichen Stück für Stück annehmen", sagt Rupp. Ein Mittel dazu ist die Frauennotruf-Patenschaft, die bislang der Kabarettistin Constanze Lindner und der SPD-Landtagsabgeordneten Doris Rauscher obliegt. Aber Rupp und ihr Team wünschen sich noch viel mehr gut vernetzte Patinnen aus unterschiedlichen Bereichen, in denen Frauen unterrepräsentiert sind, zum Beispiel aus der Wirtschaft. "Wir brauchen ein großes Bündnis an Frauen", so Rupp. "Nur wenn alle hinschauen, können wir etwas ausrichten."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: