Flensburgs Handballer:Unglückswurf

Flensburgs Handballer: Sime Ivic (rechts) findet einen Weg durch Flensburgs Abwehrmauer.

Sime Ivic (rechts) findet einen Weg durch Flensburgs Abwehrmauer.

(Foto: Roger Petzsche/Picture Point/Imago)

Die SG Flensburg-Handewitt kassiert in Leipzig eine Niederlage per direkt verwandeltem Freiwurf - und muss aufpassen, dass ihr die Saison nicht entgleitet.

Von Carsten Scheele, Leipzig/München

Und dann auch noch dieser vermaledeite Freiwurf! Die Schlusssirene war bereits ertönt, die Leipziger bekamen im Spiel gegen die SG Flensburg-Handewitt noch einen letzten Freiwurf zugesprochen. So ein Ball aus zwölf Metern landet, rein statistisch gesehen, höchst selten in einem Handball-Tor: Der Spieler muss aus dem Stand werfen, hochspringen ist nicht erlaubt; vor ihm recken sechs Abwehrspieler ihre zwölf Arme in die Luft, und dann steht hinten drin auch noch ein Torwart, der normalerweise wegfischt, was aus solcher Distanz in Richtung seines Kastens fliegt.

Doch der Leipziger Sime Ivic ließ seinen Oberkörper am Sonntagabend leicht nach links wegknicken, verließ mit seinen Füßen für einen ganz kurzen Moment den Boden, was die Schiedsrichter jedoch nicht monierten. Sein Ball zischte schräg durch die Abwehrmauer, knapp vorbei an den Fingerspitzen von Johannes Golla, einem der besten Abwehrspieler der Welt, der auch die Defensive in der deutschen Nationalmannschaft organisiert.

Hätte Golla seine Fingerspitzen... ach ja, dann wäre das Spiel 24:24 ausgegangen. Hatte er aber nicht. Oben rechts rummste der Ball zum spätmöglichsten Siegtreffer ins Tor, die Zuschauer in der Leipziger Halle rasteten angemessen aus.

Flensburgs Saisonziel, die Champions-League-Qualifikation, gerät in Gefahr

So ist das gerade bei Flensburg, die Saison läuft ohnehin verbesserungswürdig - und dann kommt auch noch so ein Freiwurf daher. "Wir brauchen jetzt nicht über das Tor in der letzten Sekunde zu sprechen", sagte Rückraumspieler Franz Semper, merklich angefasst: "Das passiert in der Bundesliga nur ganz, ganz selten." Ein Unglückswurf also, er hatte Recht. Was Semper noch sagte, traf aber ebenfalls einen richtigen Kern: "Wir hatten das ganze Spiel Zeit, eine solche Situation zu vermeiden."

Flensburgs Handballer: Für Flensburgs Trainer Maik Machulla ist es derzeit manchmal nicht ganz leicht, seiner Mannschaft zuzusehen.

Für Flensburgs Trainer Maik Machulla ist es derzeit manchmal nicht ganz leicht, seiner Mannschaft zuzusehen.

(Foto: Frank Molter/dpa)

Denn die Flensburger sind normalerweise nicht auf etwas Glück beim letzten Freiwurf in Leipzig angewiesen. Die SG gehört zu den Titelkandidaten, nach dem THW Kiel haben die Flensburger den exquisitesten Kader der Liga beisammen. Europameister Jim Gottfridsson spielt dort, Mads Mensah Larsen, Johannes Golla, im Tor Kevin Møller, der zuvor beim FC Barcelona die Bälle hielt. Meister waren die Flensburger zuletzt 2018 und 2019. Holen sie den Titel mal nicht, wie es in dieser Saison der Fall sein wird, gilt die direkte Qualifikation zur Champions League als Minimalziel.

Doch Tabellenplatz drei ist nun in Gefahr. Zu viele Punktverluste gegen die vermeintlich schwächeren Teams der Liga hat die Mannschaft mittlerweile gesammelt, gegen Erlangen, Balingen, Minden. Ganz vorne in der Tabelle ist der SC Magdeburg als mutmaßlich neuer deutscher Meister längst enteilt (42:2 Punkte). Der Lokalrivale aus Kiel (38:8) gerät ebenfalls aus dem Blickfeld, und nun sind auch noch die Füchse Berlin (33:9) vorbeigezogen. Erst dann kommt Flensburg (33:11).

Ein ungewohntes Bild, was zu ungewohnten Äußerungen führt. Am selbstkritischsten fasste es Kapitän und Kreisläufer Golla zusammen, der anmerkte, man müsse sich sogar "bei den Fans und Sponsoren entschuldigen", denn: "Wir erreichen derzeit nicht das, was sie - und auch wir - von uns erwarten."

Die Flensburger Nervenstärke war berüchtigt - nun wirken die Spieler verunsichert

Vor allem fällt auf: Die SG war in den vergangenen Jahren immer das Team, das wie selbstverständlich enge Spiele für sich entschieden hat. Die Flensburger Nervenstärke war berüchtigt, vor allem in den letzten Spielsekunden - jetzt fällt der letzte Freiwurf neuerdings hinten rein. "Die Verunsicherung war zu spüren", sagte Trainer Maik Machulla nach dem Knockout in Leipzig. Der Coach ringt gerade mit dem richtigen Umgang mit seinem Team. Klar, seine Spieler hätten zu viele freie Bälle verworfen, insgesamt zwölf. Nur wenige Sekunden vor dem Freiwurf hatte Flensburg selbst die Chance auf den Siegtreffer, doch Marius Steinhauser setzte den Ball mit einem Dreher an den Pfosten. "Wir bestrafen uns mit unseren eigenen Fehlern", sagte Machulla.

Der Trainer erklärte aber auch, es mache keinen Sinn, nicht mehr an diese Mannschaft zu glauben. Machulla trainiert Flensburg seit 2017 und hat viel erlebt, seine Mannschaft ist häufig über sich hinaus gewachsen, hat mit den größten Teams Europas mitgehalten - und sie sogar besiegt. Nun durchlebt sie eine schwierige Phase, obwohl nach vielen Verletzungen und coronabedingten Ausfällen alle Spieler wieder an Bord sind. "Im Sport ist es so, dass es manchmal Situationen und Momente gibt, aus denen man nur gemeinsam herauskommt", sagte Machulla. Nun geht es darum, die Saison zu retten, irgendwie.

Immerhin meint es der Spielplan erst mal gut. Während Flensburg in der Bundesliga auf Balingen und Melsungen trifft, nehmen sich Kiel und Berlin im direkten Duell die Punkte weg. Außerdem müssen beide Konkurrenten noch nach Flensburg. Was jedoch aufhören muss, sind diese selbst verschuldeten Punktverluste gegen die vermeintlich kleineren Klubs. Der Leipziger Sime Ivic konnte sein Glück am Sonntag jedenfalls kaum fassen. Er habe "keine Ahnung", wie er diesen Freiwurf verwandelt habe, sagte der Kroate: "Es war Glück, aber ein geiler Moment."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: