Verkehr:Forscher schlagen Pkw-Maut von 5,4 Cent pro Kilometer vor

Verkehr: Pkw-Maut: Jeder Kilometer wird abgerechnet.

Pkw-Maut: Jeder Kilometer wird abgerechnet.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Mehr Elektroautos bedeuten weniger Steuereinnahmen bei Benzin und Diesel. Kann eine satellitengestützte Maut die Lösung sein - und zugleich auch noch die Verkehrswende beschleunigen?

Von Max Hägler

Es ist eine Folge der Antriebswende, die noch kaum beachtet ist: Woher kommt eigentlich das Geld für den Bau und Erhalt der Straßen, wenn alle Autos elektrisch fahren? Denn derzeit finanziert sich die Infrastruktur in Deutschland vor allem über die Energieabgaben, also die Steuern auf Benzin und Diesel. Das in Berlin ansässige Forschungsinstitut Agora Verkehrswende geht davon aus, dass im Jahr 2030 die Mineralölsteuer-Einnahmen bei Pkws um knapp die Hälfte sinken im Vergleich zum Jahr 2020, was etwa einem Minus von 13 Milliarden Euro im Jahr entspricht; die wegfallende Umsatzsteuer ist dabei noch gar nicht berücksichtigt. Auch wenn die Einnahmen aus der Stromsteuer steigen: Es bleibt eine riesige Einnahmelücke.

Nun hat Agora gemeinsam mit dem Schweizer Forschungsinstitut Infras eine mögliche Lösung ausgearbeitet, die bislang nur in Skizzen diskutiert wurde: Eine streckenbezogene Pkw-Maut auf sämtlichen Straßen soll den Steuerausfall kompensieren und zugleich auch noch die Verkehrswende beschleunigen, also den Umstieg vom Auto auf nachhaltigere Verkehrsmittel. Nach Einschätzung der Forscher könnte eine Pkw-Maut Einnahmen in Höhe von rund 33 Milliarden Euro im Jahr 2030 bringen, heißt es in der Studie, die der Süddeutschen Zeitung vorab vorlag. Die Forscher gehen dabei von einem Durchschnittspreis pro Kilometer in Höhe von 5,4 Cent aus.

Wieso nun genau dieser Betrag? Agora beruft sich auf das amtliche Wegekostengutachten des Bundes: 2,6 Cent Infrastrukturkosten verursacht demnach die Fahrt eines Autos auf Fernstraßen. Mit diesem Preis sollte die Maut auch starten im Jahr 2025, fordert Agora. Rechnet man nun die amtlichen Zahlen dazu, die die Regierung für die Folgen von Luftverschmutzung, Lärm und die Natur ansetzt, kommt man eben auf 5,4 Cent. Daraus folgt, dass der Betrag nicht nur die derzeitigen Infrastrukturkosten deckt. Gut die Hälfte des Geldes könne "gemeinwohlorientiert" genutzt werden, so Agora, für öffentlichen Verkehr, Fuß- und Radinfrastruktur sowie Lärmschutz.

Das Prinzip dahinter: "Wer mehr fährt und dadurch die Straßen mehr nutzt und der Allgemeinheit Kosten aufbürdet, der zahlt auch mehr", sagt Agora-Direktor Christian Hochfeld. Das sei gerecht, stärke den Klimaschutz und aufgrund der notwendigen Technik könne sich eine Pkw-Maut sogar "zu einem Digitalisierungs- und Modernisierungsprojekt mit internationaler Vorbildfunktion" entwickeln.

Tatsächlich existiert bislang nirgendwo auf der Welt ein System, wie es sich Agora vorstellt: Per Satellitenortung und Handy-App sollen alle Wegstrecken gemessen werden und dann von privaten Dienstleistern für den Staat abgerechnet werden. 2,5 Milliarden Euro würde der Aufbau des Systems einmalig kosten - und dann jährlich etwa 700 Millionen für den Betrieb. Die Art der Abrechnung, aber auch die Zielsetzung der Nutzungsgebühr unterscheidet das nun vorgelegte Mautmodell deutlich von jener Pkw-Maut, die vor einigen Jahren die damalige schwarz-rote Bundesregierung einführen wollte. Das Modell damals war am Europäischen Gerichtshof gescheitert, weil es Autofahrer aus dem Ausland diskriminiere.

Kleinere Autos könnten billiger davonkommen als große

Bei dem Agora-Modell soll jeder Nutzer zahlen und statt der Herkunft soll es andere Stellschrauben geben, die den Preis mindern oder erhöhen: Das Fahrzeuggewicht sollte bedacht werden, um kleinere Fahrzeuge zu begünstigen und weil schwere Fahrzeuge Straßen stärker in Anspruch nehmen. Zu prüfen wäre auch, so Agora, eine Differenzierung nach Schadstoffausstoß, ebenso wie eine Staffelung nach Zeit: Wer in der Rushhour fährt, zahlt mehr. Und schließlich könnte das Maut-System den Städten eine bessere Verkehrssteuerung ermöglichen. Kommunen sollen nach Vorstellung von Agora selbst entscheiden können, ob sie etwa eine zusätzliche Anti-Stau-Gebühr erheben, 40 Cent pro Kilometer sind in dem Konzept vorgesehen, die Einnahmen sollte die Kommune in den ÖPNV und Radwege investieren.

Ein Effekt des Ganzen: wahrscheinlich weniger Verkehr. Aufbauend auf Maut-Erfahrungen etwa aus Skandinavien oder London, nehmen die Forscher an, dass der Verkehr um drei Prozent zurückgeht, wenn die sogenannten variablen Kosten fürs Autofahren um zehn Prozent steigen. Bei einem Kilometerpreis von 5,4 Cent dürften die Kosten für einen Benziner um etwa ein Drittel steigen.

Doch ist gerecht gegenüber den Bürgern, was gut für die Umwelt ist - oder sähe man dank der Maut vor allem Gutverdienender auf der Straße? Agora-Direktor Hochfeld verweist da auf die Digitalisierung. Dadurch habe die Politik "alle Möglichkeiten, viel gerechter und gezielter" zu steuern als bislang: Über die Software ließen sich etwa Einkommensschwächere niedriger belasten oder auch Menschen, die in Räumen mit schlechter ÖPNV-Versorgung leben. Und, so Hochfeld, man solle eine Maut auch aus sozialen Gesichtspunkten als nur eine Säule eines umfangreichen Umbaus der Verkehrspolitik sehen: Nötig sei etwa auch die Konzentration der Kfz-Steuer auf die Erstzulassung, dadurch würde sich die Steuerlast in Richtung der Erstkäufer verschieben, die meist wohlhabender seien.

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