Basketball:Die glorreichen Sechs

Basketball: Starting Five bedient: Nach großem Kampf wirken Bayreuths Cameron Wells (vorne; v. li.), Sacar Anim, Kevin Wohlrath, Janari Joesaar und Bastian Doreth konsterniert. Zum kompletten Mannschaftsbild fehlt hier einzig Philip Jalalpoor.

Starting Five bedient: Nach großem Kampf wirken Bayreuths Cameron Wells (vorne; v. li.), Sacar Anim, Kevin Wohlrath, Janari Joesaar und Bastian Doreth konsterniert. Zum kompletten Mannschaftsbild fehlt hier einzig Philip Jalalpoor.

(Foto: Roland Sippel/Eibner/imago)

Kranke, Verletzte und Corona-Fälle: Stark dezimiert und vermeintlich chancenlos treten Bayreuths Basketballer in Göttingen an. Doch plötzlich drehen sie auf, erzwingen zumindest eine Verlängerung und beeindrucken die ganze Liga mit ihrem Kampfgeist.

Von Christoph Leischwitz

Womöglich bräuchte man in Bayreuth gar keinen Trainer mehr, sagte Raoul Korner nach diesem denkwürdigen Spiel, "sondern einen Exorzisten. Es ist unfassbar, was mit uns los ist", befand der Basketball-Trainer von Medi Bayreuth. Wobei dem Chefcoach und seinen verbliebenen Spielern am Samstagabend beinahe ein Coup gelungen wäre, bei dem andersherum viele auch gesagt hätten: Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen.

Mit genau sechs Spielern waren die Oberfranken zum Bundesliga-Auswärtsspiel nach Göttingen gereist, niemand größer als zwei Meter, kein Center, kein Power Forward. Mitte des zweiten Viertels lagen sie erwartungsgemäß 20:42 zurück. Dann aber starteten sie eine furiose Aufholjagd, erzwangen eine Verlängerung, gingen in der Verlängerung sogar kurzzeitig in Führung - um mit einem Punkt Unterschied, 91:92, zu verlieren. "Das war eine sensationelle Kampfleistung meiner Mannschaft, ich kann mal wieder nur den Hut ziehen", sagte Korner. Die Heimfans bekundeten ebenso ihren Respekt wie die Ligakonkurrenz. Man wisse ja, wie das sei, "wenn das Team ausgedünnt ist"; aber "was Medi Bayreuth heute gezeigt hat, ist einfach irre!", twitterten die Basketballer des Tabellenführers FC Bayern.

Deren für Sonntag geplantes Auswärtsspiel in Ulm war coronabedingt abgesagt worden, ebenso nun das Euroleague-Spiel bei Fenerbahce Istanbul am Dienstag. Fünf Münchner Corona-Fälle waren der Grund für die Bundesliga-Verlegung - Bayreuth hatte nur vier. Moritz Sanders wies am Freitag zwar typische Sy­mptome auf, doch sein Test war negativ. Weitere Verletzungen und Krankheiten kamen hinzu. In Bayreuth, das seit dem ersten Spieltag nicht mehr mit dem kompletten Kader antreten konnte, erkennen sie längst einen Zusammenhang zwischen Corona-Ausfällen und sonstigen Absenzen: Je mehr die Gesunden spielen müssen, desto höher wird deren Verletzungsanfälligkeit; auch fehlender Trainingsrhythmus wird als nicht förderlich angesehen.

"Wir mussten uns praktisch neu erfinden", sagt Trainer Korner

Mithilfe von Sarkasmus das Beste aus der Situation zu machen, darin ist Korner geübt. Vor der Abreise nach Niedersachsen hatte der Österreicher über die sozialen Medien ein Foto von seiner kleinen Mannschaft verbreitet. Eine Person fehle leider, um auf sieben Musketiere zu kommen. Oder die glorreichen Sieben. In Göttingen sei die Mannschaft zunächst verunsichert gewesen. "Wir mussten uns praktisch neu erfinden", sagte Korner. Doch das gelang: Mit viel Pick and Roll hielt sich die Bayreuther Offensive im Spiel, wobei sie oft versuchte, ihre Kleinsten gegen die Göttinger Größten in den Block zu stellen, sodass die Größenverhältnisse anderswo nicht mehr ganz so extrem ausfielen. Unheimlich kraftraubend, keine Frage - so stand Sacar Anim über die gesamte Spielzeit hinweg gerade einmal 35 Sekunden nicht auf dem Parkett. Er kam auf 23 Punkte. Kevin Wohlrath, der mit 1,97 Metern immer wieder als Center fungierte, sprach später von einer "Underdog-Mentalität", die man sich zugelegt habe.

Weil nun aber in den Schlusssekunden der Partie die Überraschung ausblieb, stiegen die Gäste zwar als moralische Sieger wieder in den Bus, das Saisonziel Playoff-Teilnahme ist aber trotzdem weiter weggerückt. Immerhin mit dem Abstiegskampf wird die Mannschaft aller Voraussicht nach nichts mehr zu tun haben. Dort unten am Tabellenende gelang dafür den Würzburgern ein überraschender, deutlicher und wichtiger 91:74-Heimsieg am Samstag gegen den Tabellenachten Crailsheim. Bamberg unterlag derweil in Ludwigsburg 76:95. Bayreuth bleibt damit auf Rang zehn das bislang erfolgreichste fränkische Team der Bundesliga.

Wie viele Spieler er wohl am kommenden Freitag zum Auswärtsspiel in Bonn zusammenbekomme? "Ich traue es mich fast nicht zu sagen", antwortete Korner, denn jede positive Prognose sei ihm ja bislang um die Ohren geflogen. Und dann formulierte er bei Magentasport ein anderes, neues Saisonziel: Sehr gerne würde er noch einmal mit dem kompletten Kader in der "Oberfrankenhölle", also der heimischen Halle spielen. Um die Energie zu spüren. Um zu sehen, was "in dieser Saison möglich gewesen wäre".

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