Habeck bei Anne Will:Wenn ein Minister den Tränen nah ist

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In ihrer Sendung ließ Anne Will zu den Folgen des Krieges in der Ukraine diskutieren. (Foto: Wolfgang Borrs/ARD)

Muss Deutschland sofort komplett auf Energie aus Russland verzichten, um Putin das Geld für seinen Krieg zu nehmen? Bei "Anne Will" sagt Robert Habeck, warum das nicht geht. Und offenbart seine eigenen Gewissensqualen. Die ukrainischen Gäste verstehen das Zögern der Deutschen nicht.

Von Peter Fahrenholz, München

Wer die Bilder aus dem Krieg in der Ukraine sieht, müsste schon völlig gefühllos sein, wenn er nicht den Impuls hätte, alles Erdenkliche zu unternehmen, damit diese sinnlose Orgie der Gewalt, die der russische Präsident Wladimir Putin entfesselt hat, endlich aufhört. Bei "Anne Will" werden diese Bilder zu Beginn der Sendung eingespielt. Aber tut Deutschland wirklich alles Erdenkliche? Darum geht es in der Sendung, in der neben der ukrainisch-deutschen Schriftstellerin Katja Petrowskaja auch der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba zugeschaltet wird. Und in der die deutschen Gewissensqualen ganz deutlich werden.

Nicht jeder kann die deutsche Position, dass die Sanktionen nicht auf den sofortigen Stopp sämtlicher Energielieferungen aus Russland ausgeweitet werden, so nüchtern vortragen wie Bundeskanzler Olaf Scholz. Sein Stellvertreter Robert Habeck von den Grünen kann es jedenfalls nicht. Habeck sitzt nicht als Gast in der Runde, sondern wird für ein ausführliches Interview zu Beginn zugeschaltet.

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Und Habeck sieht nicht nur überanstrengt und übernächtigt aus. Er wirkt, als würde er jeden Moment in Tränen ausbrechen, als er die deutsche Position erklärt. "Es ist nicht klug, etwas zu tun, was man nicht durchhalten kann", sagt Habeck. Und aushalten könne Deutschland ein sofortiges Embargo nicht. Man müsse sich zuerst unabhängig machen von russischer Energie und daran arbeite man Tag und Nacht. Es sei deshalb "richtig, dass wir nicht alles tun", sagt Habeck und räumt ganz offen ein: "Das ist bitter und moralisch nicht schön."

Unterstützung erhält er von seinem Koalitionspartner Lars Klingbeil, dem SPD-Chef, der dabei allerdings ebenfalls sehr unglücklich aussieht. "Es ist ein Dilemma, in dem wir sind", gesteht Klingbeil, "wir wägen jeden Tag ab." Aber ein sofortiges Embargo hält auch Klingbeil für "nicht klug". Die Folgen könnten den sozialen Zusammenhalt in Deutschland gefährden. Sofort raus, "ich glaube, dass das nicht geht".

Kiesewetter verlangt: "Putin den Geldhahn zudrehen"

Schützenhilfe bekommen die beiden Regierungspolitiker von der Politikwissenschaftlerin Claudia Major, die bei der Stiftung Wissenschaft und Politik die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik leitet. Bei Sanktionen gehe es immer um die Frage, wer länger durchhalte. Und Deutschland müsse sicherstellen, dass man die Folgen der Sanktionen für das eigene Land auch durchhalten könne. "Wenn wir schwächeln, geht es nach hinten für uns los." Der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter, Außen- und Verteidigungspolitiker, Oberst a. D., verlangt hingegen, man müsse "Putin den Geldhahn zudrehen" und wiederholt das Angebot seiner Partei, einen Stopp für die seit 2011 laufende Pipeline Nord Stream 1 (nicht zu verwechseln mit Nord Stream 2) mitzutragen.

Die ukrainischen Gäste können die deutsche Position überhaupt nicht verstehen. Petrowskaja schüttelt schon während des Interviews mit Habeck den Kopf. "Was muss noch geschehen?", fragt sie in die Runde. Putin verstehe nur Stärke, deshalb sei die Eskalation nur mit härteren Maßnahmen zu stoppen. Noch deutlicher wird wenig später der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba. Deutschland habe mit dazu beigetragen, die aktuelle Stärke von Putins Russland mit aufzubauen, sagt Kuleba und berichtet dann von erbeuteten russischen Militärfahrzeugen, in denen man Komponenten von Bosch entdeckt habe. Wenn er in Europa die Frage stelle, warum keine schärferen Sanktionen beschlossen würden, höre er immer nur: "Das ist wegen Deutschland."

Jetzt sehe man "das wahre Antlitz Russlands", sagt Kuleba und appelliert via Fernsehen an Deutschland: "Sie haben die Macht, das zu tun. Stoppen Sie Putin!" SPD-Chef Lars Klingbeil bekundet nochmals die Bereitschaft zu weiteren Maßnahmen gegen Putin und markiert zugleich die rote Linie. "Ein Reinziehen Deutschlands in den Dritten Weltkrieg, über diese Schwelle können wir nicht gehen." Und natürlich wird Klingbeil ganz am Schluss der Sendung von Anne Will auch nach Gerhard Schröder und seinem Trip zu Putin gefragt. Die Antwort fällt kühl aus. "Gerhard Schröder ist nicht im Auftrag der Bundesregierung unterwegs." Und er habe dazu bisher auch keinen Kontakt zu Schröder gehabt.

Peter Fahrenholz wünscht sich, dass Talkshows nicht immer dieselben Gäste einladen. Denn politische Diskussionen brauchen spannende Argumente statt altbekannter Standpunkte. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
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