Westsahara:Das Recht des Stärkeren

Für die Menschen in der Westsahara war Spanien der letzte Fürsprecher in Europa. Die Welt hat sich von ihnen abgekehrt.

Von Karin Janker

Man kann es Realpolitik nennen, aber für die Menschen in der Westsahara ist die spanische Kehrtwende eine Tragödie. Jahrzehntelang hatte Spanien, gemäß seiner historischen Verantwortung als ehemaliger Kolonialmacht in der Region, eine neutrale Position eingenommen, was die Zukunft der Westsahara angeht. Marokko hält das Gebiet seit 47 Jahren besetzt, die internationale Gemeinschaft hat diesen Anspruch nie anerkannt. Spanien hatte in dem Konflikt vor seiner Haustür Rückgrat bewiesen, auch wenn es von Marokko immer wieder in Bedrängnis gebracht worden war, zuletzt im Mai vergangenen Jahres, als Rabat Tausende Migranten als Spielball seiner Politik missbrauchte.

Dass Premier Pedro Sánchez sich nun plötzlich auf die Seite von Rabat schlägt und ein Autonomiestatut als Lösung lobt, mag pragmatisch erscheinen. Denn obwohl die Vereinten Nationen ein Referendum fordern, bewegt sich nichts in der Sache. Zudem sieht sich Spanien von immer mehr Gleichgesinnten alleingelassen. Auch Deutschland signalisierte zuletzt ein Einlenken gegenüber Rabat. Und die USA bleiben unter Joe Biden der Linie treu, die Donald Trump vorgezeichnet hatte: Sie gebieten Marokkos Einverleibungsbestrebungen keine Grenzen. Spanien vollzieht also nach, was mächtigere und einflussreichere Staaten vorgemacht haben.

Doch aus Sicht der Menschen in der Westsahara, die seit Jahrzehnten friedlich und quasi unbeachtet von der Welt für ihre Selbstbestimmung kämpfen, ist die spanische Abkehr von der Neutralität eine Kapitulationserklärung. Diese Menschen verlieren mit Spanien ihren letzten Fürsprecher in Europa. Die Welt hat sich von ihnen abgekehrt, jenes Recht des Stärkeren droht sich durchzusetzen, das Putin auch in der Ukraine gerade durchzusetzen versucht. Es sind traurige Zeiten für Menschen wie die Aktivistin Aminatou Haidar, die man einst "Gandhi der Westsahara" nannte und die nun erleben muss, dass Unrecht offenbar verjährt.

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