Folgen des Kriegs in der Ukraine:Gazprom könnte seine deutschen Gasspeicher verlieren

Folgen des Kriegs in der Ukraine: Erdgasspeicher von Gazprom in Niedersachsen: Der Konzern betreibt einige Lager in der EU.

Erdgasspeicher von Gazprom in Niedersachsen: Der Konzern betreibt einige Lager in der EU.

(Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa)

Die EU-Kommission präsentiert ein brisantes Gesetz, das Regierungen zwingt, die Zuverlässigkeit der Betreiber zu prüfen. Daneben will Brüssel künftig gemeinsam Gas bestellen - und Bauern mehr Nahrungsmittel produzieren lassen.

Von Björn Finke und Josef Kelnberger, Brüssel

Die Europäische Union könnte den russischen Gazprom-Konzern zwingen, seine Gasspeicher in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten zu verkaufen. Energiekommissarin Kadri Simson schlug am Mittwoch in Brüssel eine Verordnung zu Gasspeichern vor, die solch eine Möglichkeit vorsieht. Das EU-Gesetz verlangt, dass nationale Aufsichtsbehörden künftig prüfen müssen, ob die Betreiber der Speicher ein Risiko für die Versorgungssicherheit darstellen - zum Beispiel, weil die Unternehmen unter dem Einfluss feindlich gesonnener Staaten stehen. Verweigern die Aufseher dem Betreiber die Zertifizierung als vertrauenswürdiger Anbieter, muss er die Kontrolle über die strategisch wichtigen Lager abgeben. Die Speicher von Gazprom waren im vergangenen Herbst verdächtig niedrig gefüllt.

Um das in Zukunft zu verhindern, schreibt der Brüsseler Gesetzentwurf Mindestfüllstände für alle Speicher vor. Anfang November müssen die Lager in diesem Jahr zu 80 Prozent voll sein, in den kommenden Jahren sogar zu 90 Prozent. Von den 27 EU-Staaten verfügen 18 über solche Lager; insgesamt gibt es 160. Auf Deutschland entfällt fast ein Viertel der EU-weiten Kapazitäten. Länder ohne Speicher müssen Gas bei EU-Partnern einlagern, mindestens 15 Prozent ihres Jahresverbrauchs. Die Regierungen können die Betreiber finanziell unterstützen, damit diese genügend Gas kaufen. Dem Gesetzentwurf der Kommission müssen zunächst das Europaparlament und der Ministerrat als Gremium der Mitgliedstaaten zustimmen.

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Die Kommission hofft, dass das Gesetz bis zum Spätsommer in Kraft tritt. Danach haben die nationalen Aufsichtsbehörden 100 Tage Zeit, um die Besitzer der wichtigsten Speicherstätten zu überprüfen und zu zertifizieren. Die übrigen Lager sind später dran. Eine Kommissionsbeamtin sagte, dass Gazprom sicher zur ersten Welle gehören werde - wegen der Größe der Lager und der Tatsache, dass diese im Herbst so niedrig gefüllt waren.

Daneben schlägt die Brüsseler Behörde vor, dass die EU-Staaten Erdgas oder Wasserstoff gemeinsam ordern. Vorbild soll die gemeinschaftliche Bestellung von Covid-Impfstoffen sein. Die Kommission will damit verhindern, dass sich Regierungen bei Verhandlungen mit Lieferanten gegenseitig überbieten; die höheren Abnahmemengen sollen zu niedrigeren Preisen führen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat bereits am Wochenende eine Energiepartnerschaft mit Katar vereinbart. Solche nationalen Abkommen sind weiter möglich, aber zusätzlich will die Kommission von ihr geleitete gemeinsame Verhandlungsteams zu Anbietern schicken.

Strompreise, Gaspreise, Ernährung: Die EU-Regierungschefs haben viel zu tun

Über diese Pläne werden auch die 27 Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel beraten. Die Spitzenpolitiker werden außerdem diskutieren, was Regierungen kurzfristig gegen die hohen Strom- und Gaspreise unternehmen können. Zur Vorbereitung veröffentlichte die Kommission eine Zusammenstellung, welche Eingriffe möglich sind und was deren Vor- und Nachteile sind. Die Behörde beschloss zudem, die strengen Subventionsregeln zu lockern, damit Regierungen jene Firmen einfacher unterstützen können, die unter den Sanktionen gegen Russland oder den hohen Energiepreisen leiden.

Zugleich hat die Kommission am Mittwoch ein Bündel von Maßnahmen vorgelegt, um die Folgen des Krieges auf die Landwirtschaft zu mildern - in der Ukraine und in der EU.

Es müsse sichergestellt werden, dass die Ukrainer genug Nahrung, Treibstoff und Wasser hätten, sagte Agrarkommissar Janusz Wojciechowski aus Polen. Er hatte nach einem Treffen der EU-Agrarminister am Montag dieser Woche berichtet, die russische Armee greife gezielt die Landwirtschaft an, wohl mit dem Ziel, Hungersnöte zu provozieren. Zu dem Treffen war auch der ukrainische Landwirtschaftsminister zugeschaltet, er musste die Videokonferenz wegen eines Fliegeralarms verlassen.

"Wir werden den ukrainischen Landwirten helfen, weiterhin Getreide und Ölsaaten zu säen und anzubauen, die sie für sich selbst und für die Welt dringend benötigen, und ihre Ausfuhren zu erleichtern", sagt Wojciechowski am Mittwoch. Aus EU-Kreisen hieß es, der Weizen in der Ukraine sei bereits im Boden, aber in den nächsten Wochen müssten auch Mais und Sonnenblumen gesät werden. Es fehle jedoch an Saaten, Dünger, Diesel und Arbeitskräften. Ein Sofortprogramm von 330 Millionen Euro für die Ukraine soll helfen. Wie viel davon allein in die Landwirtschaft und wie viel in andere Sektoren fließt, war zunächst unklar. In einer Rede im Europaparlament sprach EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen zudem davon, dass Russland Hunderte Schiffe mit Getreide im Schwarzen Meer blockiere. Die Konsequenzen würden von Afrika bis Asien spürbar sein.

Die Landwirte in der EU, die unter gestiegenen Preisen für Futtermittel, Energie und Dünger leiden, sollen mit rund 500 Millionen Euro unterstützt werden. Die EU-Kommission wird den Bäuerinnen und Bauern ferner erlauben, vorübergehend Kulturen auf den fast sechs Prozent der landwirtschaftlichen Flächen in der EU anzubauen, die zur Förderung der biologischen Vielfalt brachliegen.

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