Unternehmen:Software für den Klimaschutz

Unternehmen: Lara Obst ist Geschäftsführerin von Climate Choice, das sie zusammen mit dem Firmenmanager Yasha Tarani und dem Informatiker und Datenspezialist Reyhood Farhan (rechts im Bild) im April 2020 gegründet hat.

Lara Obst ist Geschäftsführerin von Climate Choice, das sie zusammen mit dem Firmenmanager Yasha Tarani und dem Informatiker und Datenspezialist Reyhood Farhan (rechts im Bild) im April 2020 gegründet hat.

(Foto: The Climate Choice)

"Es geht um eine ehrliche Bilanz": Das Start-up Climate Choice hat eine Software entwickelt, die Firmen hilft, ihre Treibhausgasbilanz zu ermitteln und deutlich zu verbessern.

Von Steffen Uhlmann

Lara Obst, 33, ist schon viel herumgekommen und hat beruflich einiges ausprobiert - und dabei war sie bei aller Neugier auf Veränderung und Abenteuer immer auch auf der Suche nach dem Sinn. Angefangen hat alles mit einem Kulturmanagement-Studium an der Leuphana-Universität in Lüneburg, wo sie auch mit dem Thema Nachhaltigkeit in Berührung kam. Später dann hängte sie einen Studiengang für innovatives Management in Berlin und Twente dran, organisierte diverse Start-up-Weekends und wechselte für ein halbes Studienjahr nach Delhi, in die Hauptstadt Indiens.

"Früher", sagt Lara Obst, habe sie Nachhaltigkeit erst mal nur mit Jutebeutel und Verzicht auf Coffee-to-go-Becher in Verbindung gebracht. Spätestens in Indien aber hätten ihr die Lebensumstände dort nachdrücklich klargemacht, dass mit der "Klimasache" ganz andere und immer auch sehr konkrete Herausforderungen für Menschen verbunden sind. "In Delhi ging es zum Beispiel um sauberes Wasser für die Bevölkerung", sagt sie. "Wir haben uns dort um die Beschaffung kompletter Wasserfilteranlagen gekümmert."

Indiens dramatische Umweltprobleme, die Lektüre der kritischen Berichte des Weltklimarates IPCC und ihre vielen Treffen mit Umweltaktivisten haben Lara Obst dazu gebracht, sich privat wie beruflich neu zu orientieren. Sie begann, sich vegan zu ernähren, bewusst nachhaltig zu konsumieren, wie sie sagt, und sich nach einem Ökostromanbieter umzusehen.

Beruflich wiederum wechselte die junge Frau endgültig von der Kunst- in die Klimawelt. Ein erster Schritt dahin war Mowea, ein Unternehmen für modulare Windkraftanlagen, das sie mit Gleichgesinnten gründete.

Die Software zeigt den Istzustand auf und macht Verbesserungsvorschläge

2018 dann legte der Weltklimarat seinen 1,5-Grad-Bericht vor, der erstmalig die Forderung nach einer radikalen Transformation der Gesellschaft begründete. Das betraf praktisch alle Sektoren, deren Existenz auf dem Verbrauch von Energie basiert - von der Industrie über die Land- und Dienstleistungswirtschaft bis hin zu Transport und Logistik.

Was folgte, waren diverse Bekenntnisse von Politik und Wirtschaft zur Transformation. Deutschland etwa verpflichtete sich als erste Industrienation, bis 2045 klimaneutral zu sein. Und das bedeutet, bis dahin ein Gleichgewicht zwischen Kohlenstoffemissionen und der Aufnahme von Kohlenstoff aus der Atmosphäre herzustellen.

"Immer mehr Unternehmen bekennen sich zu diesem Zero-Ziel", sagt Lara Obst. "Das heißt aber nicht, dass sie bereits den Weg und die Methoden dafür gefunden haben." Und nicht wenige von ihnen, glaubt sie, strengten sich inzwischen erst einmal an, sich mittels PR-Greenwashing nach außen hin ein nachhaltiges Image zu verleihen. Andere Firmen versuchten wenigstens, mit der Beteiligung an Aufforstungsprogrammen oder anderen Klimaprojekten ihre eigenen Emissionen auszugleichen. "Nur sparen sie damit nicht eine Tonne Kohlendioxid im Unternehmen selbst ein", rechnet Lara Obst nüchtern vor. "Auf diese Weise ist Klimaneutralität nicht zu erreichen."

Bis zu 90 Prozent der Treibhausgasemissionen von Unternehmen entstehen innerhalb der Lieferketten

Zumal für viele kleine und mittelständische Firmen das Angebot an Klimalösungen immer undurchsichtiger, unverständlicher und dessen Umsetzung immer aufwendiger geworden ist. Genau hier setzt Lara Obst nun mit ihrem Start-up Climate Choice an, das sie zusammen mit dem Firmenmanager Yasha Tarani und dem Informatiker und Datenspezialist Reyhood Farhan im April 2020 gegründet hat.

Climate Choice will den Firmen reale Daten zu ihrer bisherigen Klima-Performance bereitstellen, sagt sie. "Es geht um eine ehrliche Bilanz der eigenen Transformationsleistungen, die eine Stärken- und-Schwächen-Analyse beinhaltet." Dafür hat das Team eine Software entwickelt, mit deren Hilfe nicht nur der Ist-Zustand ermittelt werden kann, sondern in einem zweiten Schritt auch Transformationsmaßnahmen aufgezeigt werden können.

Mithin gehe es um wirksame Methoden, um zu deutlichen CO₂-Einsparungen zu kommen, sagt sie. "Und die erreicht man vor allem durch Einsparungen innerhalb der Firmenlieferketten." Dort entstehen, so Untersuchungen, bis zu 90 Prozent der Treibhausgasemissionen von Unternehmen - unter anderem durch eingekaufte Produkte und den Service der Lieferanten.

Das Start-up hat sich nun vorgenommen, Licht in diesen Wertschöpfungsdschungel zu bringen. Dazu füllen das Unternehmen und seine Lieferanten zunächst einen umfangreichen Fragebogen aus, der auf internationalen Umweltstandards basiert. Erfasst werden unter anderem eigene bereits in Angriff genommene Klimamaßnahmen und die damit verbundenen Klimaziele. Diese Angaben werden dann von Climate Choice geprüft. Sie bilden die Basis für ein sogenanntes Climate Performance Rating, das den aktuellen Status quo der Firmen in Sachen Klimaschutz widerspiegelt.

Was folgt, sind gemeinsame Rating-Auswertungen mit den betroffenen Unternehmen und gleichsam die Suche nach Schritten und Methoden, die bei den Unternehmen und ihren Lieferanten zu deutlichen Einsparungen von CO₂-Emissionen führen können."Relativ einfach sind Einsparungen durch den Wechsel des konventionellen Energieanbieters hin zu einem Ökostromanbieter zu erreichen", sagt Lara Obst.

Ein ganze Reihe von mittelständischen Firmen nutzt die Klima-Ratings

Schon schwieriger werde es, auf eine durchgehend emissionsärmere Mobilität in den Unternehmen umzuschwenken, das Gebäudemanagement darauf auszurichten, klimaeffizientere Lösungen in der Produktion durchzusetzen. Climate Choice macht dazu so weit wie möglich konkrete Angebote. "Darum arbeiten wir auch eng mit diversen Partnern aus der Ökobranche wie etwa dem Energieversorger Green Planet oder dem Rechenzentrum Windcloud zusammen", sagt die Chefin von Climate Choice. "Diese Anbieter von Klimalösungen werden dann mit unseren Kunden und deren Lieferanten zusammengebracht."

Zwei Jahre nach Gründung ist das Start-up mit seinen inzwischen 15 Mitarbeitern schon zu einer festen Größe auf dem in Deutschland schnell wachsenden Nachhaltigkeitsmarkt geworden. Ein ganze Reihe von mittelständischen Unternehmen, darunter der Leuchtenhersteller Trilux, der Automatisierungstechniker Elobau oder der Spezialentsorger Enretec, nutzt die von Climate Choice auf sie zugeschnittenen Klima-Ratings zur Analyse ihres Transformationsstandes und zur Offenlegung ihres Klimareifegrads, der immer mehr zum Wettbewerbsfaktor auf dem Markt wird.

Erst vor einigen Wochen haben Obst und Co. ein Pilotprojekt mit O2 Telefónica gestartet. Der Mobilfunkanbieter will mehr Transparenz über seine Kohlendioxidemissionen entlang der Lieferkette schaffen und dafür mithilfe der Softwareplattform von Climate Choice die Klimadaten von 1000 Lieferanten erfassen. Für die 50 wichtigsten Telefónica-Lieferanten soll zudem ein Rating erstellt werden, um bei ihnen CO₂-Einsparungsressourcen aufzuzeigen.

"Für die Firmen", so Lara Obst, "wird es immer wichtiger, zu wissen, welche Chancen und Möglichkeiten sie für ihre weitere betriebswirtschaftliche Dekarbonisierung haben." Für den dabei erreichten Entwicklungsstand hält Climate Choice ein Label bereit, das es in Bronze, Silber und Gold gibt. Das sei ein Ausweis, wie "zukunftsfähig" sich ein Unternehmen bereits gemacht habe, sagt Lara Obst. "Und darauf kommt es letztlich an."

Auch die Europäische Union (EU) macht damit ernst und verschärft die Berichtspflicht der Firmen und hat dazu innerhalb der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSDR) weitreichende Neuerungen festgelegt. "Ab 2023 trifft es nun auch kleine und mittlere Betriebe", sagt Lara Obst. "Sie müssen dann sämtliche Fakten bereit haben, die in puncto Nachhaltigkeit für ihren Geschäftsverlauf relevant sind." Die EU nimmt damit die direkte Wirkung der Betriebe auf die Umwelt in den Fokus. Viel Arbeit komme da noch auf die Unternehmen zu, ist sich Lara Obst sicher. "Auch auf uns", sagt sie noch. "Wir sind doch dafür der kongeniale Partner."

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