Basketball:Fluch der guten Taten

Basketball: Vergangene Zeiten des Wasserburger Erfolgs: Rebecca Thoresen, heute Trainerin, im Jahr 2013 mit der Meisterschale.

Vergangene Zeiten des Wasserburger Erfolgs: Rebecca Thoresen, heute Trainerin, im Jahr 2013 mit der Meisterschale.

(Foto: Imago)

Der TSV Wasserburg hat mit seinem Frauen-Team lange den deutschen Basketball dominiert. Nach seinem Abstieg ist nicht einmal klar, ob es noch für die zweite Liga reicht. Über die Anfälligkeit großer Erfolge in der Provinz.

Von Andreas Liebmann, Wasserburg

Maria Immaculata ist in Bestform. Vor einigen Monaten wurde sie neu vergoldet, nun funkelt die Statue über dem Wasserburger Marienbrunnen in der Frühlingssonne. Auf diesem Platz endeten damals die Autocorsos. An Jaguar-Cabrios meint sich Gaby Brei erinnern zu können, damals sei ja nicht gekleckert worden. Versonnen sticht sie in ein Stück Obstkuchen. Hier vor dem spätmittelalterlichen Rathaus präsentierten die Spielerinnen die Meistertrophäe, nicht nur einmal. Elf deutsche Meistertitel hat die Basketballabteilung des TSV Wasserburg gewonnen, dazu neun Pokalsiege, alles zwischen 2004 und 2018. Nun sind sie abgestiegen.

Wie das passieren konnte? Gaby Brei fallen eine Menge Dinge ein, die zuletzt schiefgingen, Pech mit Transfers, Coronavirus, Trainerfrage. Das langfristige Problem fasst die ehemalige Abteilungsleiterin in eine Silbe: "Geld", sagt sie. So einfach.

Nun ist leider nichts mehr einfach, weil nicht einmal klar ist, ob es für den deutschen Serienmeister, den dominierenden Verein der vergangenen 20 Jahre, wenigstens in der zweiten Liga eine Zukunft gibt.

Die Geburtsstunde des Wasserburger Erfolgs: "Jugend trainiert für Olympia", der Schulwettbewerb

Dabei hat alles mal ganz anders angefangen, niemand wüsste das besser als Gaby Brei, die selbst mal in der ersten Liga spielte, und ihr Mann Hans. Es war ja ihr Werk. Seit gemeinsamen Schulzeiten am Wasserburger Gymnasium kennen sich die beiden, waren hier später Lehrer, beide für Sport und Biologie. Mit dem Schulwettbewerb "Jugend trainiert für Olympia" ging es los, dort lag "die Geburtsstunde" des Wasserburger Erfolgs. Geld spielte noch keine Rolle. Später war Hans Brei dann der Trainer, seine Frau besorgte die Spielerinnen, nebenbei machten beide Jugendarbeit. 1999 stieg Wasserburg in die erste Liga auf, bald spielten sie im Europapokal. "Wir hatten nie die überteuren Spielerinnen", sagt Gaby Brei. Trotzdem lag der Etat für die Profis irgendwann bei fast 500 000 Euro. Goldene Zeiten. Über die Hälfte wäre man zuletzt froh gewesen.

Hans Brei ist heute 75. Nach sechs Meistertiteln zog er sich vor zehn Jahren zurück. Gaby Brei machte weiter. Sie ist 73. Bis heute hilft sie bei Spielerverpflichtungen. Als sie 2018 die Abteilungsleitung abgab, da sei sie wie eine Verrückte umhergelaufen, um jemanden zu finden, der ihre Nachfolge antrat. Bis sogar die Auflösung drohte. Die Sache mit dem Geld war vielleicht doch nicht das einzige Problem.

"Jedes Jahr im Februar, März beginnt die Suche", sagt Bastian Wernthaler. Er sitzt eine Straße weiter vor einem Bistro. Nach Gaby Brei sei keine Kontinuität mehr in die Abteilungsleitung gekommen, und die wäre im Moment wichtiger als alles andere. Weil es eines neuen, nachhaltigen Konzepts bedürfe.

Ein Ehrenamtlicher nach dem anderen kam - "nach einem halben Jahr waren sie alle durch"

Auch Wernthaler, 45, weiß ganz gut, worüber er da redet. Als Basketballtrainer war er Breis Nachfolger. Drei Jahre, drei Meistertitel, 2014/15 sogar ungeschlagen. Davor und danach war er Nationaltrainer. Seit 2019 leitet Wernthaler den Bayerischen Basketball-Verband, ihm gefällt es, Strukturen aufzubauen. Und er sitzt dem TSV Wasserburg vor - allerdings dem Hauptverein. Das verschaffe ihm nun "eine blöde Rolle", weil er kraft Amtes bremsen müsse, sagt er, auch wenn ihm nichts lieber wäre als der Erfolg der Basketballabteilung. Doch die ist gerade wieder auf der Suche.

Das Muster sei seit Jahren gleich, erzählt er: Ein Ehrenamtlicher nach dem anderen habe sich an der Nachfolge der Breis versucht, alle hätten ihr Bestes gegeben, "aber nach einem halben Jahr sind die alle durch". Zerstritten, müde, ausgebrannt. Die Arbeit ist zu viel für ein Ehrenamt. Es ist ein später Fluch all der guten Taten, des "unglaublichen" Jobs, den die Breis gemacht haben. Zuletzt hat Paula Zaschka ihren Rücktritt eingereicht, sie kam eigentlich aus dem Fan-Lager. Auch ohne sie wäre es mal wieder nicht weitergegangen. Ihr Stellvertreter Peter Maier trat Ende Januar zurück.

Basketball: Eine von der auswärtigen Profis des TSV Wasserburg in dieser Saison: Mikayla Williams.

Eine von der auswärtigen Profis des TSV Wasserburg in dieser Saison: Mikayla Williams.

(Foto: Wolfgang Fehrmann/HMB-Media/Imago)

Wernthaler ist Rechtsanwalt, jeder kennt ihn hier. Die Bedienung weiß, dass er keine Tomaten mag, sie kennt die Dackeldame unter seinem Tisch beim Namen. Vielleicht, sagt er, sei das einer der Fehler gewesen, als die Abteilungsleitung zu Saisonbeginn Rüdiger Wichote als Trainer holte, mit dem er befreundet ist: "Du musst in einer Kleinstadt präsent sein", glaubt er. Wichote pendelte aus München.

Am Rand eines Gewerbegebiets oberhalb der Altstadt sitzt Rebecca Thoresen vor dem Sportzentrum. Als Co-Trainerin war die 44-Jährige vor der Saison zurückgekehrt zu jenem Verein, mit dem sie sechs Titel holte. Nach Wichotes Entlassung übernahm sie die Chefrolle, ihre erste Trainerstation. Beinahe hätte sie es noch geschafft, brachte Emotionen ein, fünf von neun Spielen gewann das Team mit ihr, sogar beim Tabellenführer. Vielleicht hat sie das selbst nicht erwartet. Vor ihrer Premiere habe sie sich gefragt, ob sie sich vielleicht ein paar Worte zurechtlegen solle für ihre erste Ansprache, das erste Timeout. "Aber dann, in der Situation, hat sich alles so natürlich angefühlt. Ich habe gemerkt, das gehört in mein Leben, ich kann alles anwenden, was ich in meiner Karriere gelernt habe." Sie habe sich gut in die jungen Spielerinnen einfühlen können, für die das zum Teil ihre erste Profistation war. Nun weiß sie sicher, dass sie Trainerin bleiben will. Nur nicht, ob das in Wasserburg klappt.

Hauptsponsor, Mannschaft, Vision - gerade fehlt es fast an allem

Dabei sieht sie das 13 000-Einwohner-Städtchen als ihre Heimat. Geplant war das nicht, erzählt sie mit leicht englischem Akzent. Sie ist in Melbourne geboren, hat einen maltesischen Pass, ihr Mann ist Norweger, sie haben eine Tochter. "Der einzige, der bei uns nur einen deutschen Pass hat, ist der Hund", sagt sie lachend. Als Wasserburg damals kurzfristig Ersatz für sein verletztes Toptalent Svenja Brunckhorst suchte, stand Thoresen vor einem Wechsel nach Italien. Für Leipzig und Oberhausen hatte sie gespielt, war beste Werferin der Liga, mit der amerikanischen WNBA hatte es nicht geklappt. Ihr Mann arbeitete seit Kurzem in München, Wasserburg passte, aber "es war nie unser Plan hierzubleiben". Heute hängt ihr Herz an diesem Städtchen.

Hier oben sieht man viel graues Metall. Die Anlagen eines Werkstoffproduzenten, dahinter weitere Tanks und das Logo der Molkerei Bauer. Das war der erste große Sponsor, beigebracht von Jochen Bruch, einem leitenden Mitarbeiter, der sich bald als Manager der Basketballerinnen engagierte. Firmenchef Markus Bauer war mal Schüler der Breis. Später stieg Meggle als Hauptsponsor ein, noch ein Molkereiriese vor den Toren der Stadt. Als der sich nach sieben Jahren zurückzog ("Strategieänderung"), sprang erneut Bauer ein, damit das Projekt 2018 nicht mit einem Knall endete. Das Engagement sollte dem Verein Zeit verschaffen, mit sinkenden Zuwendungen, zeitlich befristet - nun ist es zu Ende. "Sehr großherzig" fand Gaby Brei diese Hilfe. Trotzdem fehlen nun: ein großer Sponsor; eine Abteilungsleitung; eine Mannschaft; eine Vision; vielleicht eine Trainerin.

"Basketball ist für mich kein Spaß", sagt Rebecca Thoresen. Sie ist Perfektionistin, soll das heißen, mit unbedingtem Siegeswillen. Von Auswärtsspielen unter der Woche fuhr sie nachts im Zug heim, um am nächsten Morgen wieder Schüler in Englisch zu unterrichten. Bei den Partien mit nur sechs Spielerinnen aufzukreuzen, sei ihr peinlich gewesen. Die Videos schnitt sie nach der Arbeit selbst, sie hatte keinen Assistenten, am Schluss fehlten sogar Helfer, die die Heimspieldaten in eine App eingaben. Sie will "keinesfalls" ausschließen, in Wasserburg weiterzumachen - aber sicher nicht so.

Thoresen kann nur bedingt beurteilen, was schiefgegangen ist, vier Jahre war sie weg zum Studieren. Aber sie kann sich an Zeiten mit 2000 Zuschauern erinnern. Hier draußen stand die Leinwand für jene, die drinnen keinen Platz fanden. Natürlich lässt Euphorie mal nach, wenn Erfolg selbstverständlich wird - und wenn er ausbleibt. Und natürlich kam Corona dazu. "Aber wenn wir nur ein bisschen was von dieser Stimmung zurückbekommen könnten ..."

Der Ort ist eigentlich ideal: Zwischendurch wird man berühmt

Die Breis und der Zusammenhalt der Kleinstadt, darum dreht sich alles. Früher habe man einen Stamm gehabt aus Spielerinnen, die hier blieben, für die es selbstverständlich war, nach Spielen zum Publikum zu gehen, sich ansprechen, anfassen zu lassen, sagt Thoresen. "Für zwei Stunden hast du dich berühmt gefühlt." Den US-Profis habe das später nicht so zugesagt. "Für Hansi Brei war aber das Umfeld mindestens so wichtig wie die Systeme." Eine "Wahnsinnspersönlichkeit" sei er als Trainer gewesen, "vom Auftreten her mein Vorbild". Man müsse die Spielerinnen an Schulen schicken, regt Thoresen an und ist kaum zu bremsen: Jemand müsse sich um Sponsorenpflege kümmern, jemand um soziale Medien, Kinder müssten kostenlos zu den Spielen dürfen. Und dann erzählt sie, wie sie ihren Spielerinnen eingetrichtert habe, nicht mit Kopfhörern versunken durch die Stadt zu laufen, sondern empfänglich zu sein, wenn sie jemand anspreche. "Das ist wichtig für die Leute." Wie aufs Stichwort kommt eine Schülergruppe vorbei, auf dem Weg zum Sportunterricht, ein Mädchen ruft ihr etwas zu. "Das ist Wasserburg", erklärt Thoresen.

Basketball: Goldene Zeiten: Als Trainer gewann Bastian Wernthaler drei Titel. Nun versucht er, die Strukturen wieder aufzubauen.

Goldene Zeiten: Als Trainer gewann Bastian Wernthaler drei Titel. Nun versucht er, die Strukturen wieder aufzubauen.

(Foto: Imago)

Der Inn macht eine große Schleife unten um die Altstadt, aus der Luft sieht es aus, als würde der Fluss die Stadt kreisrund umzingeln, bis auf eine kleine Landzunge. Einst war das eine strategisch perfekte Lage, gerade für den Salzhandel, später baute man wichtige Straßen und Gleise an der Stadt vorbei. Was blieb, war ein (fast) geschlossenes, heimeliges System mit idyllischen Gassen und Plätzen.

Bastian Wernthaler würde Thoresens Anregungen wohl genau so unterschreiben. "Sie verkörpert alles, was wir brauchen", weiß er, "sie hat eine unheimlich einnehmende Art." Aber erst müssten andere Probleme gelöst werden als die Trainerfrage, und Wernthaler kann diese Dinge nur übergangsweise anstoßen, dann will er sich wieder rausnehmen aus der Abteilung.

Ein Abstieg könne vorkommen - "dramatisch ist, dass hier wirklich jede Struktur weg sein könnte."

Zuerst müsse geklärt sein, ob die deutschen Spielerinnen bleiben, gerade mal ein halbes Dutzend. Über Kooperationen im Landkreis denkt er nach, mit Rosenheim oder Bad Aibling. Maximal eine Profispielerin kann er sich vorstellen. Eine hauptamtliche Stelle schwebt ihm vor, die den Zweitligabetrieb managt und die Jugendarbeit anschiebt. Nationalspielerinnen wie Svenja Brunckhorst und Anne Breitreiner (heute Delafosse) wurden hier groß, dennoch sei die Bereitschaft, Geld in die Jugend zu stecken, nie groß gewesen. In München, etwa bei der TS Jahn, wird Jugend-Bundesliga gespielt, Wasserburgs Nachwuchs hängt auf Kreis- und Bezirksebene fest, meist nebenbei von Profis trainiert, die nach einem Jahr wieder weg sind.

Erst wenn die grobe Richtung steht, könne man einen Abteilungsleiter suchen, glaubt Wernthaler. Und nur falls all das gelingt, sieht er eine Chance auf eine Zukunft in der zweiten Liga, ein Ziel, das er für erreichbar hält. Die Zeit ist knapp. "Wir sind nicht der erste Verein, der nach großen Erfolgen absteigt", sagt er, "dramatisch ist, dass hier wirklich jede Struktur weg sein könnte." Seit fünf Jahren zittere man in jedem Frühling, ob der Etat ausreicht. Und doch habe auch er stets gehofft, "dass das schon irgendwie immer weitergeht". Er versuche all das nüchtern zu sehen, wie man das eben macht als Anwalt. Tatsächlich sei er wehmütig. Eine Wildcard für die erste Liga anzunehmen, das schließt er trotzdem entschieden aus.

Gaby Brei erzählt noch vom Europapokal. Von einem Gastspiel in Kasan, zu dem sie sich aus Personalnot selbst als Spielerin listen musste, als älteste in der Geschichte dieses Wettbewerbs. "Verärgert" sei sie, weil die Basketball-Abteilung ihre Angebote nicht angenommen habe, bei Problemen zu vermitteln, sie zu selten um Rat gefragt habe. Drei Profis und die Deutschen, schätzt sie, so könne man schnell wieder aufsteigen. Sie ist jederzeit bereit mitzuhelfen.

50 Jahre Einsatz seien das gewesen für sie und ihren Mann, sagt Gaby Brei noch. "Das war unser ganzes Leben." Und nun? Sie haben hier doch mal mindestens so golden geglänzt wie die Marienstatue.

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