Arte-Themenabend "Museen und Kolonialismus":Falsche Retter aus Europa

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Frankreichs Premierminister Édouard Philippe übergibt 2019 Senegals Präsident Macky Sall das Schwert von Omar Saidou Tall, der den Widerstand gegen die Kolonialisten anführte. (Foto: Cinétévé)

Arte widmet dem Kampf um das koloniale Erbe in Europas Museen einen Themenabend.

Von Jörg Häntzschel

Soll die geraubte Kunst aus den Kolonien zurück nach Afrika - oder soll sie in Europas Museen bleiben? Seit fast fünf Jahren wird das nun diskutiert. Und wenn die Debatte zuletzt etwas abgeebbt ist, dann weniger, weil das Interesse schwand, sondern weil die meisten europäischen Länder verstanden haben, dass Rückgaben richtig und unumgänglich sind. Aus dem Feuilleton ist das Thema in Regierungserklärungen gewandert, in Koalitionsverträge und in den Schriftverkehr von Ministerien und Museumsverwaltungen. Erste größere Rückgaben wie die von Frankreich an Benin haben schon stattgefunden. Die Arte-Doku "Restituieren? Afrika fordert seine Kunstschätze zurück", Schwerpunkt eines Arte-Themenabends zu "Museen und Kolonialismus", kommt also ein bisschen spät.

Andererseits hätte es die Regisseurin Nora Philippe vor ein, zwei Jahren, als die Kämpfe noch in vollem Gange waren, wohl schwer gehabt, einen Film zu machen, der es sich mit großem Selbstbewusstsein erlaubt, einseitig zu sein: für Restitutionen. Die wenigen Restitutionsgegner, die hier zu Wort kommen, stehen für eine Art der westlichen Arroganz, die inzwischen so gestrig wirkt wie die altmodischen Farbfernsehfarben in den Aufnahmen aus den Siebzigerjahren.

Indem Philippe auf das sonst teils übliche Meinungspingpong verzichtet, gewinnt sie den Raum, den sie braucht, um die Geschichte des Kunstraubs, der Kolonialpropaganda, und der Forderungen nach Rückgaben ruhig und anhand von großartigem Archivmaterial zu erzählen. Es erlaubt ihr auch, statt europäische vor allem afrikanische Museumsleute zu Wort kommen zu lassen.

Bis heute hält sich das "Rettungsnarrativ": Afrika sei nicht in der Lage, seine Kunst zu bewahren

Der Raub im großen Stil begann nach der Berliner Afrika-Konferenz von 1884 und 1885, als die Kolonialmächte den Kontinent unter sich aufteilten und dessen hemmungslose Ausbeutung den Höhepunkt erreichte. Zur wissenschaftlich-propagandistischen Begleitung wurden überall in Europa Völkerkundemuseen gebaut. Diese mit so vielen Objekten wie möglich zu füllen, wurde nun neben der Ausplünderung des Landes, der Unterjochung, Versklavung und Missionierung der Bevölkerung fester Bestandteil des kolonialen Programms.

Bénédicte Savoy empfahl in einem Bericht für Präsident Macron umfangreiche Rückgaben von geraubter Kunst. (Foto: Cinétévé)

Die Kolonialmächte griffen dabei auf ein Konzept zurück, das zuvor in Europa eingeführt wurde, einen "perversen Algorithmus", wie es Bénédicte Savoy nennt, die in Berlin lehrende französische Kunsthistorikerin und wichtigste Protagonistin der Restitutionsdebatte. Als Napoleons Truppen Belgien, Flandern und dann die deutschsprachigen Länder besetzten, nahmen sie so viel Gemälde, Statuen, Manuskripte mit, wie sie tragen konnten. "Es ging darum, die Kunst aus dem Blick der Despoten zu befreien und ins Land der Freiheit zu bringen, also nach Frankreich", erklärt sie. "Seit der Revolution beschuldigen die Franzosen andere, nicht gut mit ihrer Kunst umzugehen. Nur die französischen Museen mit ihren Spezialisten seien in der Lage, das Erbe der Menschheit zu erhalten, hieß es." Es war die Geburt des bis heute hartnäckig sich haltenden "Rettungsnarrativs", der Behauptung also, Afrika habe großartige Kunst hervorgebracht, doch nur Europäer seien in der Lage, diese dauerhaft für die Menschheit zu erhalten.

Mit dieser Begründung wurde die Kunst nach Europa geschafft, und mit derselben Begründung ließ man in den Sechziger- und Siebzigerjahren viele eben unabhängig gewordene afrikanische Länder abblitzen, als sie sie zurückforderten. Erst Savoy machte mit ihrem letzten Buch dieses bis dahin kaum bekannte Prequel zur heutigen Debatte öffentlich. Philippe liefert nun die faszinierenden Aufnahmen dazu: historische Interviews und Reden, etwa von Senegals erstem Präsident Léopold Sédar Senghor oder vom ersten afrikanischen Unesco-Generaldirektor, Amadou-Mahtar M'Bow. Und Szenen von den afrikanischen Kulturfestivals, auf denen der Kontinent begann, sich seiner eigenen Stärke zu erinnern und gleichzeitig den Verlust des größten Teils seines kulturellen Erbes konstatierte - der liegt noch immer in westlichen Museen.

Themenabend "Museen und Kolonialismus", Dienstag, 5. April, Arte. ",Die Wilden' in den Menschenzoos", 20.15 Uhr. "Restituieren? Afrika fordert seine Kunstschätze zurück", 21.50 Uhr. "Von Dakar nach Dschibuti - Große Beute für das Musée de l'Homme", 23.15 Uhr.

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