San Marino:Der erste offen homosexuelle Staatschef der Welt

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Paolo Rondelli, Staatsoberhaupt für sechs Monate. (Foto: ErcoleGiardi/consolatosanmarino.uk)

Paolo Rondelli steht nun als Capitano Reggente an der Spitze der ältesten Republik Europas.

Von Oliver Meiler

San Marino macht nur selten Schlagzeilen, das liegt in der Natur der Sache. Der Mikrostaat hoch über Rimini zählt nur 34 000 Einwohner, was soll da schon passieren? Nun, es passiert gerade eine ganze Menge.

Seit ein paar Tagen ist San Marino das erste Land weltweit, das einen bekennenden homosexuellen Staatschef hat: Paolo Rondelli, 58 Jahre alt, Diplomat und bekannter Aktivist, ist jetzt Capitano Reggente. So nennt man in der ältesten Republik Europas das Staatsoberhaupt, wobei hier auch gleich präzisiert werden muss: Es gibt immer zwei Capitani Reggenti, nominiert werden sie vom Consiglio Grande e Generale, dem Parlament. Der andere heißt Oscar Mina, ein Christdemokrat. Exekutive Macht haben sie nicht, und nach sechs Monaten sind auch schon wieder die nächsten dran.

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Dennoch ist die Berufung Rondellis eine kleine Sensation. Bis 2004 war Homosexualität auf dem Monte Titano, wie der Berg heißt, auf dem San Marino sitzt, nämlich ein Verbrechen. Theoretisch stand darauf Gefängnis. Nun ist man sogar ein bisschen globale Avantgarde. Seit einer Volksabstimmung vor sechs Jahren gibt es in San Marino eingetragene Partnerschaften homosexueller Paare - 71 Prozent der Stimmenden sprachen sich dafür aus. San Marino hat sich auch ein Gesetz gegeben, das die Diskriminierung von Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung unter Strafe stellt. Der große Nachbar Italien tut sich mit einem ähnlichen Vorhaben seit Langem schwer.

Die Umkehr in San Marino brauchte also weniger als zwei Jahrzehnte. Paolo Rondelli, Chemieingenieur, war Wegbereiter und Vorkämpfer. Wenn er auftrat, trug er auch mal Manschettenknöpfe in den Regenbogenfarben, alle wussten Bescheid. Früher war er Vizepräsident der Vereinigung Arcigay in Rimini. Karriere machte er als Diplomat, während vieler Jahre war er Botschafter seines Landes in Washington. Seit 2019 sitzt Rondelli nun im Parlament. Er gehört der kleinen sozialdemokratischen und ökologischen Bürgerbewegung R.E.T.E. an, italienisch für Netz. Das Akronym steht aber eigentlich für Rinnovamento, Equità, Trasparenza, Ecosostenibilità - also: Erneuerung, Gleichheit, Transparenz, Nachhaltigkeit.

Die Sanmarinesi und die Russen hatten immer eine besondere Beziehung

Das T hat eine besondere Bewandtnis. San Marino galt lange als Steuerparadies, seine Banken als Versteck, es wurde da auch viel Geld gewaschen. Und da man sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs immer gut mit Russland verstand, liegt viel russisches Geld auf den Bankkonten. Bis zum Angriffskrieg der Russen in der Ukraine waren die Beziehungen beider Länder exzellent. Vor ein paar Jahren haben sich die Russen mit einem prominenten Besucher bei den Sanmarinesi dafür bedankt, dass die sie nach der Besetzung der Krim unterstützt haben: Sergej Lawrow, der russische Außenminister, kam und wurde seinerseits mit allen Ehren empfangen. Er durchmaß die Piazza della Libertà mit dem Gestus des Gönners und Freundes. Die Russen schickten auch ihren Impfstoff nach San Marino, Sputnik V, 37 000 Dosen davon, weil Italien sich geziert hatte mit einer schnellen Versorgung. Man wandte sich stets gerne an Russland, wenn man mal wieder über Kreuz lag mit Italien.

Nun aber hat San Marino erstmals seine sakrosankt geglaubte Neutralität abgelegt. Es trägt die europäischen Sanktionen gegen Russland mit, auch wenn es wehtut. Vor ein paar Wochen hätte das noch niemand für möglich gehalten. In San Marino hängen Schilder in kyrillischer Schrift, weil früher auch viele russische Touristen auf den "Titano" kamen. Sie landeten am Flughafen Federico Fellini in Rimini - 30 Minuten, dann waren sie oben. In diesem Sommer werden eher keine Russen erwartet. Dafür kommen jetzt Flüchtlinge aus der Ukraine. Vieles ist anders geworden in San Marino, fast über Nacht. Und Paolo Rondelli steht da wie die Symbolfigur für alle kleinen und größeren Revolutionen, wenigstens für sechs Monate.

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