Israel:Jenseits der militärischen Stärke

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"Es war heiß wie in der Hölle": Die einstigen Todfeinde Jitzchak Rabin (links) und Jassir Arafat am 13. September 1993 im Garten des Weißen Hauses, hinter ihnen US-Präsident Bill Clinton. (Foto: J. David Ake/AFP)

Einsichten über ein gespaltenes Land: Ami Ajalon, früher Elitesoldat und Geheimdienstchef in Israel, glaubt, dass ein Zusammenleben mit den Palästinensern neue Grundlagen braucht.

Von Joachim Käppner

Friendly fire ist ein scheußliches Wort, es gilt beim Militär, wenn Soldaten durch versehentlichen Beschuss der eigenen Streitkräfte sterben oder verletzt werden. "Friendly Fire" ist auch der englische Titel des Buchs von Ami Ajalon, in deutscher Übersetzung "Im eigenen Feuer". Genau in einer solchen Lage befindet sich dem Autor zufolge sein Land, Israel: "Zu lernen, Palästinenser als Menschen mit Rechten zu sehen, machte mich auf eine grundlegende Schwachstelle in unserem Sicherheitskonzept aufmerksam. Unsere mangelnde Empathie unterminierte unsere Fähigkeit, Gefahren und Chancen richtig einzuschätzen. Unsere Angst trieb uns zu Überreaktionen."

Wie viele Menschen er tötete, weiß er nicht

Der Mann, der diese selbstkritischen Sätze schreibt, ist nicht irgendwer. Gewiss ist er kein typischer "Peacenik", wie Anhänger der Friedensbewegung in Israel spöttisch genannt werden. Er weiß nicht, wie viele Menschen er im Krieg getötet hat. Er tat es, schreibt er, weil er es als Soldat tun musste, um sein stets bedrohtes Land zu retten. Ami Ajalon gehörte 20 Jahre lang zur "Schajetet 19", einer Spezialeinheit der israelischen Marine und einer der besten Kommandotruppen der Welt. Er befehligte später die Seemacht seines Landes und stand am Ende seiner Karriere an der Spitze des Schin Bet (auch Schabak genannt), des ebenso gefürchteten wie effektiven Inlandsgeheimdienstes. Ami Ajalon war ein typischer Elitesoldat aus der sozialistischen Kibbuz-Bewegung, er saß für die linke Arbeitspartei in der Knesset, dem Parlament in Jerusalem. Männer seinesgleichen prägten jahrzehntelang Militär und Politik des jüdischen Staates. Er war ein Mann des Krieges.

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Aber er ist es nicht mehr. Israel ist heute eine Militärmacht, die kein Staat weit und breit schlagen könnte, die Armee verfügt sogar über Atomwaffen. Doch die Zeit der Kriege, die der jüdische Staat gewinnen musste, um zu überleben, ist lange vorüber, der letzte von ihnen endete mit einem hart erkämpften Sieg im Yom-Kippur-Krieg 1973. Ajalon kamen in seiner aktiven Zeit immer mehr Zweifel, ob militärische Stärke allein Sicherheit garantieren kann.

Keine Lektüre für Militärfreaks

Als älterer Mann, längst pensioniert, genießt Ajalon heute die Gesellschaft seiner Enkel, ein kaltes Maccabi-Bier mit Blick auf seine Weinreben und intellektuelle Debatten, für die er viel Zeit hat. Oder besser: haben könnte. Ajalon hat stattdessen seine Memoiren geschrieben, wobei das beinahe das falsche Wort ist. Zwar berichtet er aus seiner Zeit im Militär, über geheime Kommandoaktionen und die Gräber von Kameraden, von denen er Abschied nehmen musste. Aber er beschreibt all dies eher nebenbei. Sein Buch ist nichts für Militärfreaks. Es handelt von der Reise durch ein gespaltenes Land.

Ajalon hat palästinensische Extremisten besucht, fanatisierte jüdische Siedler, arabische Intellektuelle und israelische Politiker. Und mit jedem Besuch wuchs seine Überzeugung, Israel müsse einen anderen Weg finden, mit den Palästinensern zu leben, als jenen der Besatzungsherrschaft im Westjordanland.

Ami Ajalon, hier auf einem Foto von 2007, war Soldat, Geheimdienstchef und Knesset-Abgeordneter. (Foto: Yossi Zamir/dpa)

Frieden, hatte der linke Premier und ehemalige Militärführer Jitzchak Rabin verkündet, als er sich 1993 im Garten des Weißen Hauses mit Palästinenserführer Jassir Arafat aussöhnte, Frieden schließe man mit seinen Feinden, nicht mit seinen Freunden, eben das mache den Prozess ja so schwer: All die Feindbilder, alte Wunden, Gräben und Traumata zu überwinden und im anderen jemanden zu sehen, mit dem man zumindest darüber reden kann, wie die Feindschaft zu überwinden wäre. Rabin zahlte dafür mit seinem Leben, 1995 erschoss ihn ein jüdischer Extremist. Es war das Ereignis, das Ajalon wohl am tiefsten erschütterte. Fortan versuchte er, selbst als Schabak-Chef, mit den Palästinensern und Jassir Arafats Autonomiebehörde zusammenzuarbeiten.

Was waren Israels größte Siege?

Dieses aufschlussreiche und lesenswerte, sehr selbstkritische Buch endet mit einem Fazit, das viele seiner Landsleute nicht für den Veteranen erwärmen dürfte. Israels größte Siege, schreibt er, waren nicht das Standhalten im Unabhängigkeitskrieg 1948 gegen eine Übermacht arabischer Armeen; nicht der schnelle Triumph im Sechstagekrieg von 1967 gegen die Armeen der arabischen Nachbarn, die geschworen hatten, "die Juden ins Meer zu werfen"; nicht die gewagten Kommandoaktionen, an denen er selbst teilnahm, gegen Terrortrupps oder feindliche Raketenstellungen; nicht der kühne Gegenstoß über den Suezkanal 1973, der zum Zusammenbruch des anfangs erfolgreichen Überraschungsoffensive Ägyptens und Syriens führte. Es waren für Ajalon nicht diese Schlachten, die in der DNA des israelischen Staates so prägend sind.

Ami Ajalon: Im eigenen Feuer. Wie Israel sich selbst zum Feind wurde und die jüdische Demokratie trotzdem gelingen kann. Erinnerungen eines Geheimdienstchefs. J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2021. 360 Seiten, 26 Euro. (Foto: N/A)

"Unsere größten Siege waren die palästinensische Unabhängigkeitserklärung von 1988, die stillschweigend das Existenzrecht Israels anerkennt; der Handschlag zwischen Arafat und Rabin im Rosengarten des Weißen Hauses; die Sicherheitskooperation zwischen dem Schabak und Arafats Untergebenen und die Arabische Friedensinitiative", so Ajalon, lauter kleine und große Schritte weg von der Todfeindschaft hin zu einer künftigen Koexistenz von Juden und Palästinensern. Wenn mehr Menschen auf beiden Seiten, deren Leben der Krieg war, am Ende zu solchen Ansichten kommen würden, man könnte noch Hoffnung haben auf das Ende eines endlos und unlösbar erscheinenden Konfliktes.

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