Polizeigewalt in den USA:Ein Schuss von hinten in den Kopf

Lesezeit: 3 min

In Erinnerung an den erschossenen Patrick Lyoya: Proteste am Donnerstag in Grand Rapids, Michigan. (Foto: Scott Olson/AFP)

Schon wieder erschüttert ein Video die USA: Die Bilder zeigen, wie ein weißer Polizist einen Schwarzen in Michigan erschießt. Bürgerrechtler drängen Präsident Biden, seine Polizeireform endlich auf den Weg zu bringen.

Von Fabian Fellmann, Washington

Eben erst wurden drei Polizisten verurteilt, die an der Tötung von George Floyd beteiligt waren. Nun rührt bereits der nächste Fall die Amerikanerinnen und Amerikaner auf: Ein weißer Polizist hat in Grand Rapids, einer Kleinstadt in Michigan, dem 26-jährigen Patrick Lyoya von hinten in den Kopf geschossen.

Es gilt als weiteres Beispiel von Polizeigewalt an Dunkelhäutigen. Hunderte Demonstranten machten am Mittwoch und Donnerstag vor der Polizeistation von Grand Rapids ihrer Wut Luft, mit den Rufen: "Hört auf, uns zu töten!". Wie nach dem Tod von George Floyd, dem ein Polizist minutenlang auf dem Nacken gekniet war. Die Proteste entbrannten, nachdem die örtliche Polizei am Mittwoch verschiedene Videoaufnahmen des Vorfalls veröffentlicht hatte.

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In den USA ist es erneut zu einem Fall mutmaßlich rassistischer Polizeigewalt gekommen. Die Polizei von Michigan hat nun Aufnahmen veröffentlicht, die zeigen, wie Patrick Lyoya von einem Polizisten erschossen wird.

Darauf ist zu sehen, wie der Polizist Lyoya in dessen Wagen anhält, um seine Papiere zu überprüfen. Offenbar waren die Nummernschilder nicht in Ordnung. Lyoya wirkt verwirrt, zeigt seinen Führerschein nicht und versucht plötzlich davonzulaufen. Der Polizist stellt ihm nach, es kommt zu einem Handgemenge, die beiden gehen zu Boden. Lyoya greift nach dem Taser des Polizisten und kommt mit dem Bauch nach unten zu liegen. Der Polizist, der auf ihm sitzt, zieht seine Waffe - und schießt Lyoya von hinten in den Kopf.

"Das ist das Schlimmste, was ich je gesehen habe", sagte Lyoyas Bruder Thomas am Donnerstag bei einer Pressekonferenz, an der auch seine Mutter und sein Vater teilnahmen. Der 26-Jährige war 2014 aus der Demokratischen Republik Kongo in die USA gekommen, um dort zu arbeiten.

Appell an Joe Biden

Die Angehörigen Lyoyas haben den bekannten Anwalt Ben Crump engagiert. Er hat schon viele prominente Familien von Menschen vertreten, die Opfern von Polizeigewalt wurden, etwa die Familien von Breonna Taylor und Jacob Blake - und jene von George Floyd. "Seine Familie kam in unser Land, um den amerikanischen Traum zu leben. Stattdessen lebt sie einen traumatischen amerikanischen Albtraum, weil sie ihren Lieben begraben muss", schrieb Crump in einem Tweet zum Fall Lyoya.

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Die Polizei von Grand Rapids hat den Polizisten beurlaubt und die Polizei von Michigan eingeschalten, um die Tötung zu untersuchen. Auch der Druck auf US-Präsident Joe Biden steigt, sein Wahlversprechen einer Polizeireform umzusetzen. "Ein weiterer Schwarzer ist von der Polizei umgebracht worden, und der Beamte auf diesem Video muss zu zur Verantwortung gezogen werden", schrieb die Bürgerrechtsorganisation NAACP. Der jüngste Fall sei umso herzzerreißender, als bereits Gesetze vorgeschlagen worden sind, die solche Taten eigentlich hätten verhindern sollen.

Ein Gesetz, das nach George Floyd benannt war, scheiterte allerdings am Widerstand der Republikaner im Senat. Nun müsse Biden die darin enthaltenen Polizeireformen am Parlament vorbei mit sogenannten Executive Orders umsetzen, fordert die Bürgerrechtsorganisation. "Wir verstehen, dass Executive Orders kein Ersatz sind für gute Gesetze, aber wir müssen alles in unserer Macht tun, um unsere Gemeinschaft zu schützen."

Mehr oder weniger Polizei?

Biden hat bereits im vergangenen Herbst eine solche Polizeireform in eigener Kompetenz in Aussicht gestellt. Bisher liegt sie allerdings nicht vor. Eine erste Fassung, die ihren Weg an die Öffentlichkeit fand, kritisierten Polizeivertreter scharf. Biden geht dabei auf einem schmalen Grat: In seiner Rede zur Lage der Nation hat er angekündigt, mehr Geld für Polizeiarbeit zur Verfügung zu stellen, weil die Kriminalitätsrate vor allem in den Städten steil steigt und zu den größten Wählersorgen gehört. Biden distanzierte sich dabei deutlich von der Bewegung "Defund the Police", die der Polizei den Geldhahn zudrehen will. Er verspricht aber gleichzeitig eine weniger gewalttätige Polizeiarbeit.

Teil seiner Reform soll zum Beispiel eine schwarze Liste mit fehlbaren Polizisten sein, wie die Washington Post berichtete. Weiterhin umstritten sind aber im Weißen Haus die heikelsten Punkte, etwa strengere Regeln für den Einsatz von Gewalt im Dienst oder gar eine Aufweichung der Immunitätsbestimmungen, die Polizisten vor Strafverfolgung schützt. Ob Biden dafür die rechtliche Basis mit einer Präsidialverordnung überhaupt hätte, ist offenbar zweifelhaft.

Allerdings hat er im Bereich der Polizeireformen bisher wenig vorzuweisen - ganz anders als im Wahlkampf in Aussicht gestellt. Der stand unter dem Eindruck der "Black Lives Matter"-Proteste, welche die USA im Pandemie- und Wahljahr 2020 durchgerüttelt hatten. Sie waren eine Reaktion auf den gewaltsamen Tod von George Floyd am 25. Mai 2020. Der Haupttäter, Derek Chauvin, wurde inzwischen zu 22,5 Jahren Haft verurteilt. Die Verfahren gegen die Mittäter sind noch nicht alle abgeschlossen.

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