Ramersdorf:Gebrauchtes Geläut

Ramersdorf: Über die Glocken aus Düsseldorf im Glockenstuhl freuen sich Norbert Pietsch (rechts) vom Kirchenvorstand und Pfarrer Stefan Ammon.

Über die Glocken aus Düsseldorf im Glockenstuhl freuen sich Norbert Pietsch (rechts) vom Kirchenvorstand und Pfarrer Stefan Ammon.

(Foto: Florian Peljak)

Der Ersatz für die Glocken der Gustav-Adolf-Kirche kommt aus einem entwidmeten Düsseldorfer Gotteshaus. Wenn sie am Ostersonntag läuten, setzen sie auch ein Zeichen für die Ökumene.

Von Patrik Stäbler

Am Anfang dieser Geschichte, die von Glaube und Glocken handelt, von Wiederverwertung und Wiederauferstehung, aber auch von einer bösen Überraschung - ganz zu Beginn also steht ein unheilschwangeres "Oh, Oh, Oh!". Dieser Ausruf ist oft Vorbote übler Neuigkeiten, nachgerade wenn er aus dem Munde eines Experten bei einer Routinekontrolle kommt. So geschehen 2019, vom Mitarbeiter der Glockengießerei Perner aus Passau, nachdem dieser in den Kirchturm der evangelischen Gustav-Adolf-Kirche in Ramersdorf hinaufgestiegen und dort die drei Glocken inspiziert hatte.

Das Ende dieser Geschichte wird nun am Ostersonntag geschrieben - in aller Frühe, wenn sich die Gemeindemitglieder zur Feier der Osternacht in der Kirche einfinden. Denn just dann, während das Osterlicht als Zeichen von Jesu Auferstehung herumgereicht wird, sollen die neuen Glocken der Gustav-Adolf-Kirche erstmals läuten. Und dieser Klang, davon ist Pfarrer Stefan Ammon überzeugt, wird alles in den Schatten stellen, was bisher in dem Gotteshaus erklungen ist. Wobei das Wörtchen neu in Bezug auf die Glocken nur bedingt zutrifft. Denn die gewaltigen Bronzegebilde - das größte wiegt über 1250 Kilo - hingen bereits 55 Jahre lang in einer Kirche in Düsseldorf, ehe sie nach deren Entwidmung ausrangiert und über eine Internetbörse nach Ramersdorf verkauft wurden. Dort wird somit am Ostersonntag gewissermaßen ein Second-Hand-Geläut erklingen.

Ramersdorf: Die schadhaften alten Glocken wurden schon vor sechs Wochen abgebaut.

Die schadhaften alten Glocken wurden schon vor sechs Wochen abgebaut.

(Foto: Florian Peljak)

Doch zurück zum "Oh, Oh, Oh!", das der Kirchengemeinde seinerzeit schlagartig vor Augen führte, dass das Lebensende ihrer Glocken nahen würde. "Die kleinste Glocke durfte danach gar nicht mehr läuten", sagt Norbert Pietsch. "Und bei den beiden anderen ist uns klar gemacht worden, dass sie erneuert werden müssen." Pietsch ist ein Urgestein der Gustav-Adolf-Gemeinde, gehört seit 1994 dem Kirchenvorstand an und hat schon diverse Sanierungen begleitet - vom Kirchturm bis zur Orgel. Nun kamen also die Glocken an der Reihe, die man 1935 aus Eisen gegossen hatte, weshalb ihre Lebensdauer begrenzt war - anders als bei den üblichen Bronzeglocken. "Sehen Sie diese kleinen Löcher hier", sagt Pietsch, der in den vergangenen Jahren selbst zum Glocken-Fachmann geworden ist, und zeigt auf eine der Glocken, die auf der Wiese vor der Kirche stehen. "Das sind Hohlräume im Glockenkörper, die beim Eisenhartguss entstehen. Und diese rosten dann im Laufe der Zeit."

Um sicher zu gehen, dass die Glocken nicht eines Tages auseinanderkrachen, mussten sie ersetzt werden. Und so sei man - nicht zuletzt aus Kostengründen, sagt Pfarrer Ammon - auf die Idee gekommen, gebrauchte Glocken zu kaufen. Hierzu gibt es im Internet eine spezielle Glockenbörse, wo die Ramersdorfer auf das Angebot einer Kirche im Düsseldorfer Stadtteil Urdenbach stießen. Diese war 2020 aufgegeben und entwidmet worden; inzwischen wird das Gebäude als Diakoniestation genutzt. Ihre 1966 gegossenen Bronzeglocken bot diese Kirche zum Verkauf feil - für 31 000 Euro, was nicht mal die Hälfte der 80 000 Euro war, die drei neue Glocken gekostet hätten. Zudem habe vielen Kirchenmitgliedern der Gedanke gefallen, gebrauchte Glocken einer neuen Nutzung zuzuführen, sagt Pfarrer Ammon. "Fürs Thema Nachhaltigkeit gibt es hier viel Bewusstsein in der Gemeinde."

Und so erwarb die Kirche die Second-Hand-Glocken und ließ sie zur Glockengießerei nach Passau bringen - in freudiger Erwartung, sie alsbald in ihren Kirchturm hieven zu können. Doch dann kam von dort eine "Hiobsbotschaft", so nennt es der Pfarrer. Und zwar: eine der Glocken hatte einen Gussfehler. "Das kann bei Bronzeglocken immer mal passieren", sagt Norbert Pietsch. "Die Gefahr dabei ist, dass dadurch ein Riss entstehen kann. Und das wäre der Tod der Glocke." Im Falle des Düsseldorfer Exemplars hatte dieses freilich 55 Jahre lang tadellos seinen Dienst getan. Somit stand man in Ramersdorf vor der schwierigen Entscheidung: Soll man die Glocke mit diesem Makel aufhängen oder nicht?

Ramersdorf: Zur Glockenweihe der gebraucht gekauften Glocken versammelte sich die Gemeinde der Gustav-Adolf-Kirche Ende März.

Zur Glockenweihe der gebraucht gekauften Glocken versammelte sich die Gemeinde der Gustav-Adolf-Kirche Ende März.

(Foto: Michael Himmelstoss)

Zu dieser Frage gab es in der Kirche rege Diskussionen und unterschiedliche Meinungen. Letztlich beschloss man jedoch, die alte Glocke einzuschmelzen und aus deren Bronze eine neue zu gießen - zum Preis von 17 000 Euro. Die Gesamtkosten für das Glockenprojekt kletterten dadurch auf 190 000 Euro, was für seine Gemeinde - trotz Zuschüssen von Landeskirche, Dekanat und Bezirksausschuss - eine gewaltige Summe sei, sagt der Pfarrer. "Wir hätten das nicht stemmen können, wenn wir in der Gemeinde nicht mehrere großzügige Spender gehabt hätten." Dank ihnen konnten die neuen alten Glocken Ende März geweiht werden. Auf einer Pferdekutsche, inmitten eines Festzugs und vor mehr als 300 Gästen waren sie zuvor zur Kirche gebracht worden. Dort rief Regionalbischof Christoph Kopp jede Glocke einzeln mit einem Bibelvers, ehe sie dann angeschlagen wurde. "Der Spruch in Verbindung mit dem Klang, das hat mir richtig Gänsehaut gemacht", erzählt Pfarrer Stefan Ammon. "Das war ein Vorgeschmack auf das, was wir an Ostern erstmals hören werden."

Ramersdorf: Bei der Weihe rief Regionalbischof Christoph Kopp jede Glocke einzeln mit einem Bibelvers.

Bei der Weihe rief Regionalbischof Christoph Kopp jede Glocke einzeln mit einem Bibelvers.

(Foto: Florian Peljak)

Dann wird eine Zeit von sechs Wochen ganz ohne Glockengeläut zu Ende gehen. "Das war für mich sehr irritierend", sagt der Pfarrer. "Die Glocken, die einem Orientierung geben, waren plötzlich weg. Ich habe sie sehr vermisst." Auch Norbert Pietsch - und da spricht der Kirchenvorstand für viele der 2400 Gemeindemitglieder - kann sich eine Kirche ohne Geläut nicht vorstellen. "Die Glocken begleiten den Menschen von der Taufe bis zum Begräbnis und bei allem, was dazwischen liegt - sei es die Hochzeit oder der wöchentliche Gottesdienst." Entsprechend gespannt ist man nun also auf den Klang der neuen Glocken. Dieser sei von einem Sachverständigen als besonders schön empfunden worden, berichtet Stefan Ammon. "So eine Rückmeldung bekommt man auch nicht oft."

Und dann ist da noch eine Randnotiz, die dem Pfarrer aber wichtig ist. Man habe das im Vorfeld nicht gewusst, sagt er, aber die neuen Glocken der Gustav-Adolf-Kirche bilden just den gleichen Dreiklang wie die Glocken der benachbarten katholischen Kirche von Maria Ramersdorf. "Das ist für viele ein Zeichen für eine hoffnungsvolle ökumenische Perspektive", sagt Pfarrer Ammon. "Dass die Glocken der zwei Kirchen harmonisch zusammenklingen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: