Tennis:Kerber sieht die Ziellinie - und stolpert

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Ball und Schläger wollen grad nicht so, wie Angelique Kerber will. (Foto: Michael Weber/Imago)

Deutschlands beste Tennisspielerin hat 2022 erst zwei Partien gewonnen - auch in Stuttgart war in der ersten Runde Schluss. Gegen Anett Kontaveit zeigte sich ein problematisches Muster.

Von Max Ferstl, Stuttgart

Es gibt Schläge im Tennis, an denen sich ablesen lässt, wie es um eine Spielerin bestellt ist, wie viel Selbstvertrauen sie hat, wie wohl sie sich fühlt da draußen auf dem Platz. Bei Angelique Kerber ist dieser Schlag ihre Vorhand, longline geschlagen, flach und schnell. Der Schlag ist riskant, das Timing muss genau stimmen. Wenn sich Kerber also während eines Ballwechsels über die Grundlinie schiebt, rein ins Feld, wenn sie sich überwindet, den Schuss zu wagen, und auch noch trifft - dann ist sie für jede Gegnerin eine Gefahr.

Am Mittwochabend, während ihrer ersten Runde beim Porsche Tennis Grand Prix in Stuttgart, zischten viele solcher Kerber-Vorhände übers Netz, unerreichbar für ihre Gegnerin Anett Kontaveit aus Estland, immerhin die Weltranglisten-Sechste. Kerbers Schläge waren für sie zu sicher, zu präzise - allerdings nur einen Satz lang. In den Sätzen zwei und drei schlug Kerber zwar auch noch einige sehenswerte Vorhände, aber viele landeten nun im Aus oder im Netz. Am Ende wirkte Kerber wie eine Spielerin, die ihren besten Schlag nicht findet, wenn sie ihn am dringendsten braucht.

Sie verlor 6:3, 4:6, 4:6, und diese Niederlage erzählt im Kleinen das große Problem, das Kerber seit mehreren Wochen beschäftigt. Sie spielt ordentliches, teilweise richtig gutes Tennis. Sie treibt starke Gegnerinnen an ihre Grenzen - aber sie gewinnt nicht. "Am Ende haben es wieder ein, zwei Punkte entschieden. Leider nicht für mich", sagte Kerber nach der Partie. Es gehört zu den schmerzhafteren Erfahrungen einer Tennisspielerin, in einem Match die Ziellinie zu sehen, aber regelmäßig vorher zu stolpern.

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Kerber, 34, ist das nun in drei Partien nacheinander passiert. In der Woche vor dem Turnier in Stuttgart spielte sie in Kasachstan beim Billie Jean King Cup, dem Nachfolger des Fed Cup. Gegen Julija Putinzewa verlor sie 6:3, 3:6, 2:6. Gegen Jelena Rybakina, Platz 19 der Weltrangliste, schlug sie im dritten Durchgang bei einer 5:3-Führung sogar zum Matchgewinn auf - der Satz endete 5:7. Natürlich sind knappe Niederlagen besser, als 1:6, 1:6 vom Platz gefegt zu werden. Doch wer zu oft knapp scheitert, denkt womöglich in der nächsten entscheidenden Situation daran. "Am Ende muss man solche Matches gewinnen", sagte Kerber. Sie wisse ja, wie das sei: "Man braucht ein Match, das mir dieses Turnaround-Gefühl gibt, dieses Selbstvertrauen."

Im Jahr 2022 hat Kerber überhaupt erst zwei Spiele gewonnen

Sie wird dieses Gefühl eher bald finden müssen, denn im Grunde benötigt ihre gesamte Saison einen Turnaround. Die frühe Niederlage von Stuttgart ist die nächste Wegmarke auf Kerbers beschwerlichem Weg, irgendwie in dieses Jahr 2022 zu finden. Von einer Corona-Erkrankung in der Vorbereitung zurückgeworfen, verlor Deutschlands beste Tennisspielerin bei den Australian Open, in Doha und in Miami jeweils in der ersten Runde. Zwar liegt sie in der Weltrangliste noch auf Platz 17, aber zählt man nur die gewonnenen Punkte aus diesem Jahr, wäre sie auf Rang 96. Und in der zweiten Jahreshälfte muss sie nun viele Punkte verteidigen, um nicht abzurutschen.

Kerber hat 2022 lediglich zwei Matches gewonnen, in Indian Wells nämlich, wo sie schließlich gegen Iga Swiatek verlor. Dabei brachte sie zwar das Kunststück fertig, der Weltranglisten-Ersten einen Satz abzunehmen. Das hat seitdem keine andere Spielerin mehr geschafft. Aber am Ende stand da wieder: eine Dreisatzniederlage.

Tennis ist ein stetes Ringen um das richtige Verhältnis von Angriff und Sicherheit. Kerber besitzt die Fähigkeit, beide Pole in die optimale Balance zu bringen. Dann verteidigt sie geschmeidig, fast fehlerlos. Dann greift sie an, wenn es der Zeitpunkt gebietet. In diesem Zen-Modus hat Kerber drei Grand-Slam-Turniere gewonnen. Und dieses Ziel hatte Kerber ja vor dieser Saison ausgegeben, in der sie bislang ohne Trainer reist: dass sie "bei den großen Turnieren um die großen Titel mitmischen" wolle.

Im Spiel gegen Kontaveit gab es durchaus Phasen, in denen Kerber andeutete, dass ihr Spiel dieses Niveau erreichen kann. Sie verteidigte, sie attackierte, sie kämpfte sich zurück, als sie im dritten Satz weit zurücklag. "Sie hat wirklich gut gespielt", fand Kontaveit. Was fehlte, war die Beständigkeit. Vor allem in den entscheidenden Situationen streute Kerber leichte Fehler ein. Ihr erstes Aufschlagspiel im dritten Satz gab sie mit einem Doppelfehler ab - am Ende fehlte ihr dieses Spiel.

Früher Abschied: Das Spiel gegen Anett Kontaveit (links) bleibt das einzige für Angelique Kerber in Stuttgart. (Foto: Roger Bürke/Eibner/Imago)

Als sie nach dem Match vor den Reportern saß, ganz in Schwarz, wirkte Kerber geknickt. "Es ist natürlich traurig, dass ich jetzt hier nicht weiterspielen kann. Es war so ein wichtiges Turnier für mich", sagte sie. In Stuttgart hat sie 2015 und 2016 gewonnen, die schnelleren Bedingungen in der Halle passen besser zu ihrer Spielweise als die langsamen Sandplätze draußen, auf denen in den kommenden Wochen gespielt wird.

Kerber sagte dann noch, dass sie sich gut fühle auf dem Platz, dass sie körperlich fit sei. Im Grunde fehlt nur das Gefühl, mal wieder ein knappes Match zu gewinnen.

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