Sprachgeschichte:Von Veijda bis nach Tschitscherlboch

Sprachgeschichte: Der Augustusbrunnen zwischen Perlachturm und Rathaus der Stadt Augsburg, die landläufig auch den Beinamen Datschiburg trägt.

Der Augustusbrunnen zwischen Perlachturm und Rathaus der Stadt Augsburg, die landläufig auch den Beinamen Datschiburg trägt.

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Ortsnamen zählen zu den ältesten Bestandteilen unserer Sprache überhaupt. Ihre Herleitung ist oft mühsam, eröffnet aber kuriose und spannende Geschichten.

Von Hans Kratzer, München

Viele bayerische Ortschaften schmücken sich mit Zweitnamen, die oft interessanter klingen als die offizielle Bezeichnung. Mundartsprecher, die außerhalb der Stadt wohnen, sagen zum Beispiel nicht München, sondern Minga. Hier gibt es sogar eine Entsprechung im fernen Amerika, wo die Stadt San Francisco außerhalb ihres Burgfriedens als Frisco geläufig ist. Die Franken sprechen von Aschebersch, wenn sie Aschaffenburg meinen. Wer ahnt, dass sich hinter dem Namen Tschitscherlboch der Ort Windischeschenbach verbirgt, oder hinter Veijda das im Bayerischen Wald gelegene Viechtach. Ganz in der Nähe von Veijda liegt der Ort Klouster, der eigentlich Rinchnach heißt. Nicht weniger kurios verhält es sich mit der Schwabenhauptstadt Augsburg, denn die trägt nebenbei den Spottnamen Datschiburg. "Der Augsburger Datschi war schon im 19. Jahrhundert wohl bekannt", sagt der Ortsnamenforscher Wolf-Armin Freiherr von Reitzenstein, der schon ein Leben lang den Geheimnissen der Ortsnamen nachspürt. "1864 bezeichnet das Wort Datsche nicht nur ein beliebtes Backwerk, sondern auch Menschen mit bestimmten Eigenschaften", fasst Reitzenstein die Genese von Datschiburg und seiner Population seriös zusammen.

Nicht immer ist die Herleitung eines Ortsnamens so leicht erklärbar wie in den genannten Fällen. Oft bedarf es einer intensiven sprachgeschichtlichen Forschung, bei der aber nicht selten kuriose Geschichten zum Vorschein kommen. Ortsnamen zählen zu den ältesten Namen überhaupt, nur die Bezeichnungen von Gewässern reichen noch weiter zurück. Die ältesten Benennungen in der deutschen Sprache gehören den Flüssen, etwa der Donau (im Jahr 51 vor Christus als "fluvii Danuvii" bezeugt) und der Isar. Außer ungefähr 45 000 Siedlungsnamen gibt es in Bayern noch mindestens zwei Millionen Namen von Bergen, Äckern und Gewässern. Man bräuchte Hunderte Jahre Zeit, um alles zu erforschen. Immerhin hat Reitzenstein schon eine Menge enträtselt. Seine Ergebnisse hat er unter anderem in Standardwerken über altbayerische, schwäbische und fränkische Ortsnamen publik gemacht, aber auch in den von ihm herausgegebenen Blättern für oberdeutsche Namenforschung.

Im aktuellen Heft beschäftigt sich der Forscher mit alten mundartlichen und volkstümlichen Ortsnamen. Diese werden in den Quellen oft unterschiedlich bezeichnet und nicht selten durch Adverbien, Adjektive, Substantive und bisweilen gar durch ganze Sätze erweitert. Manche Namen wurden durch Dialekteinflüsse verändert. Reitzenstein führt hier die Ortschaft Gars am Inn an, die in einer Schrift von 1285 noch Gars hieß, 1557 war daraus aber Garsch geworden. Das niederbayerische Gottfrieding taucht in einem Beleg von 1480 als Gottfriding auf, 1579 aber lautete der Name Göpfarting.

Altmyl statt Alman

Eine Eigendynamik kam besonders dadurch in Gang, dass lateinische Ortsnamen recht frei übersetzt wurden. Dabei wurde manchmal der alte Name von Alternativnamen verdrängt. Eine Mundartform erkennt Reitzenstein in einem Beleg von 1612, in dem Schongau Schongavium heißt, vulgo Schaga. Vulgo drückt hier aus, was damals im Alltag allgemein gesagt wurde. Neukirchen im Bayerischen Wald wird 1665 als "Neukürchen Markht Vorm Waldt vulgo Balbini" bezeichnet. Nach der Lokalisierung des Ortes wird also der Genetiv des Namens des Pfarrers Palwinus als volkstümlicher Zusatz erwähnt. Der Geschichtsschreiber Aventin wiederum regte sich anno 1519 darüber auf, dass das Volk den Namen des Flusses Alman "in Altmyl" veränderte hatte, aus seiner Sicht eine Verschlechterung.

Die Mundart der bäuerlichen Bevölkerung schimmert beim Flussnamen Loisach durch: "Die Loisach, oder wie die Bauern sagen, die Luisa", notierte der Schriftsteller Ludwig Steub um 1850. Bei Agathazell im Allgäu beschreibt eine Quelle von 1851 die Entwicklung der Mundartform: "Aus diesem Sant Agten wurde in der Mundart des Volkes nach und nach Tatte, wie die Landleute Agathazell jetzt nennen." Das Ringen um die Deutung der Namen bringt aber auch heitere Lösungen hervor. Etwa im Dorf Kirchweidach bei Altötting, dessen Name laut Reitzenstein auf das althochdeutsche wîdahi (Weidengebüsch) zurückgeht. Ein dort sozialisierter SZ-Redakteur weiß allerdings eine andere Deutung, die dort kursiert. Demnach hat sich ein Straßenkehrer gerne auf einen Besenstiel gelehnt, statt zu kehren, woraufhin ihn der Bürgermeister mit dem Appell "Kiehr weida!" (kehre weiter) zur Ordnung gerufen habe.

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