Ukrainisches Tagebuch (XXVIII):Wenn das kein Wunder ist

Ukrainisches Tagebuch (XXVIII): "Ich weiß, dass es keine Worte gibt, um O. zu trösten oder zu beruhigen." - Oxana Matiychuk.

"Ich weiß, dass es keine Worte gibt, um O. zu trösten oder zu beruhigen." - Oxana Matiychuk.

(Foto: Universität Augsburg/Imago/Bearbeitung: SZ)

Von neuen Freunden, einer erfolgreichen Hilfslieferung nach Rumänien und einer glücklichen Fügung an Ostern: das ukrainische Tagebuch.

Gastbeitrag von Oxana Matiychuk

Der deutsche Journalist besucht uns am Donnerstag in Begleitung seines rumänischen Freundes F.U. Der Freund ist ukrainischstämmig, spricht ein altertümliches bukowinisches Ukrainisch, und ist Unternehmer in Vatra Dornei: Ihm gehört eine Raststätte, eine Pension und ein kleines Werk, in dem Holzbungalows hergestellt werden. Czernowitz fühlt er sich ebenfalls verbunden, sein Großvater absolvierte die juristische Fakultät an der rumänischen "Universitatea Regele Carol I din Cernăuți" in der Zwischenkriegszeit. Wir sind uns auf Anhieb sympathisch und müssen uns keine Gedanken mehr darüber machen, wo die Hilfsgüter am Karsamstag in Vatra Dornei umgeladen werden können. Denn dann ist eine Fahrt dahin geplant, ein Team von Freunden aus Dresden kommt mit der nächsten Hilfslieferung dahin. Was für eine glückliche Fügung.

Die Reise nach Vatra Dornei beginnt um sieben Uhr morgens. Ein Bekannter bringt mir zwei Pakete und eine Kühltasche mit Medikamenten für seine Verwandten in Rumänien, zwei Schwestern, die aus Kiew geflüchtet sind und sich nun in Rumänien aufhalten. Sie wollen mit ihrem Wagen nach Vatra Dornei kommen und die Sachen abholen.

Am frühen Samstagnachmittag kommen wir an. Ich gehe in die Raststätte rein, die Frauen warten bereits. Nach dem freudigen Kennenlernen kommt gleich eine Frage: Ob es realistisch sei, einen Fahrer zu finden, der die beiden mit ihrem Wagen zurück nach Roman fährt? Der Frau, die gefahren ist, gehe es schlecht, zu viele Serpentinenstraßen, und sie ist gehbehindert. Ihre Schwester hat keinen Führerschein. Ich habe keine Idee, es dürfte nicht einfach sein, an einem Karsamstag jemand zu finden, der bereit wäre 200 km mit dem fremden Wagen zu fahren und dann irgendwie zurück. Ansonsten möchten sie mir noch Geld mitgeben, das ihr Verwandter in Czernowitz auf ihr ukrainisches Konto einzahlen soll. Es ist ein relativ großer Betrag, außer uns sind nur zwei Männer an einem entfernten Tisch, ich schätze mögliche Risiken als gering ein und zähle es am Tisch nach. Eines der Mädchen schaut mir eine Weile zu und fragt, "Mama, was macht die Tante mit unserem Geld?"

Draußen auf dem Parkplatz laden wir um, Gläser mit Babynahrung, Kisten und Reissäcke. Es nieselt, im Hintergrund läuft fröhliche bukowinisch-rumänische Musik. Nach dem Umladen wird unsere achtköpfige Gruppe zum Mittagessen eingeladen. Weil nicht viel los ist, ist nur eine Köchin in der Raststätte. Die Vorstellung von der traditionellen Rollenverteilung ist in Rumänien nicht viel anders als in der Ukraine: Als einzige weibliche Person in der ukrainischen Gruppe werde ich als Küchenhilfe eingesetzt. F. stellt mir Aufgaben: das Gemüse waschen und schneiden, Teller und Besteck verteilen, und den Hauptgang - die köstliche Spezialität "tochitură moldovenească" - servieren, wenn sie fertig ist. Ich werde jetzt auch konsequent als "doamnă Oxanotschka" angesprochen, was ich als einen Ausdruck der Vertrautheit empfinde und darüber lächeln muss. F. kümmert sich inzwischen um die Frauen mit Kindern. Sie sollen sich nun in seiner Wohnung ausruhen, später würde er einen Fahrer suchen. Zwei Männer aus unserer Gruppe helfen dabei, die Frau und ihre Gehhilfe in die Wohnung zu bringen. Hinterher bewundert unser Fahrer diese Geste von F.: Er lässt Personen, die er zum ersten Mal in seinem Leben sieht, in seine Wohnung rein und übergibt ihnen den Schlüssel.

Nach dem üppigen Essen (und Trinken) brechen wir zurück nach Czernowitz auf. Es gibt einen herzlichen Abschied, F. meint, wir sollen unbedingt wiederkommen, wir versprechen seiner Einladung zu folgen. Mir sagt er, ich sollte am besten gleich da bleiben, er würde für mich einen guten Mann mit einem Bauernhof finden, ich hätte ein schönes Leben da. Seine Anteilnahme ist berührend, einen guten Mann kann ich gut brauchen, einen Bauernhof dagegen nicht unbedingt, wir haben den von unserer Oma erst vor drei Jahren verkauft, eine berufliche Umorientierung habe ich momentan nicht vor. Die Fahrt zurück geht gut, nach einer kleinen Auseinandersetzung an der Grenze mit der rumänischen Grenzpolizistin - die angesichts der mangelhaften Unterlagen sehr nachsichtig ist - sind wir in der Ukraine. An der dritten Tankstelle gibt es endlich Diesel, limitiert, aber nachdem unser Fahrer erklärt hat, wir bringen eine Hilfslieferung aus Rumänien, darf er volltanken. Es ist Abend und morgen ist Ostern - also werden die Hilfsgüter am Montag sortiert und verteilt, wir dürfen einen Tag auch feiern.

Als ich am Ostervormittag die Geldübergabe mache, erfahre ich, dass F. tatsächlich noch am selben Tag einen Fahrer fand, sodass die Frauen und Mädchen am Abend wieder in ihrem rumänischen Zuhause ankamen. Wenn das nicht ein Wunder ist, denke ich. Christus ist auferstanden.

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