Vermisstenfall Madeleine McCann:15 Jahre Ungewissheit

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Wenige Tage vor ihrem vierten Geburtstag verschwand Madeleine McCann aus einer Ferienanlage in Praia da Luz. Ihre Eltern hoffen bis heute, dass sie noch lebt. (Foto: Armando Franca/AP)

Madeleine McCann verschwand am 3. Mai 2007 aus einer Ferienanlage an der Algarve. Im Fokus der Ermittlungen steht seit geraumer Zeit ein Mann aus Deutschland, doch die Suche nach Beweisen zieht sich.

Von Peter Burghardt, Hamburg

In ein paar Tagen wird es 15 Jahre her sein, Madeleine McCann wäre jetzt 18 Jahre alt. Am 3. Mai 2007 verschwand das Mädchen im Alter von drei Jahren aus einer Ferienanlage in Praia da Luz im Süden Portugals. Seither wird nach der Engländerin gefahndet, sie ist die bekannteste Vermisste der Welt. Der Papst schaltete sich ein, der Fußballspieler David Beckham, die Schriftstellerin Joanne K. Rowling. Offiziell gibt es nach wie vor keine Spur, die zu Madeleine führen könnte, und keinen Täter. Es gibt nur einen Mann, der aus anderen Gründen in einer deutschen Zelle sitzt und jetzt in mittlerweile zwei Ländern beschuldigt wird, mit dem mutmaßlichen Verbrechen zu tun zu haben.

In der vergangenen Woche gab die Staatsanwaltschaft in Portimão bekannt, dass im Zuge der Ermittlungen zum Verschwinden von Madeleine McCann nun jemand als arguido geführt werde, als Beschuldigter oder formeller Verdächtiger. Einen Namen nannten die Portugiesen nicht, aber sie verwiesen auf die deutschen Behörden, die den Mann im Zuge der Rechtshilfe informiert hätten. Schnell war klar: Es geht um Christian B., der wegen eines Drogendelikts und Vergewaltigung eine mehrjährige Haftstrafe in der JVA Oldenburg verbüßt und in der Causa McCann schon längst ins Visier der deutschen Strafverfolgung geraten ist.

Die Staatsanwaltschaft Oldenburg bestätigt, dass man aufgrund des Ersuchens aus Portugal mit dem Verfahren befasst sei. Sie informierte B. daraufhin im Gefängnis über seinen portugiesischen Status, so ist es in der europäischen Kooperation üblich. Die Kollegen an der Algarve wurden offenkundig vor allem deshalb tätig, weil Mord in Portugal nach 15 Jahren verjährt. In wenigen Tagen wäre es so weit gewesen.

Überraschende Verkündung bei "Aktenzeichen XY ... ungelöst"

Ein juristischer Kniff, verhindert die Anschuldigung also die Verjährung? "Ja, da bin ich mir sehr sicher", schreibt auf SZ-Anfrage Friedrich Fülscher, der Kieler Rechtsanwalt von Christian B. Der Braunschweiger Staatsanwalt Hans Christian Wolters, der die deutschen Ermittlungen gegen B. führt, hält die Meldung von der portugiesischen Küste für nicht übermäßig bedeutend: "Für uns ist das völlig ohne Belang", sagt er am Telefon. "Für uns spielt das überhaupt keine Rolle."

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig und das Bundeskriminalamt ermitteln bereits seit längerer Zeit wegen Verdachts des Mordes gegen B. Anfang Juni 2020 war überraschend in der Sendung "Aktenzeichen XY ... ungelöst" verkündet worden, dass es im Fall McCann einen Tatverdächtigen gebe, den heute 45-jährigen Deutschen. Es handele sich um einen mehrfach vorbestraften Sexualstraftäter, verurteilt auch wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Er habe von 1995 bis 2007 regelmäßig an der Algarve gelebt, auch in einem Haus zwischen Lagos und Praia da Luz. Er habe Gelegenheitsjobs verrichtet, unter anderem in der Gastronomie, und seinen Lebensunterhalt außerdem durch Einbrüche in Hotelanlagen und Ferienwohnungen sowie Drogenhandel bestritten. In der Gegend von Braunschweig hatte er seinen letzten Wohnsitz vor der Zeit im Ausland, daher ist die dortige Staatsanwaltschaft zuständig, in Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt, der Metropolitan Police in Großbritannien und der Polícia Judiciária in Portugal.

Im Juli 2020 grub die Polizei eine Kleingartenparzelle nahe Hannover um, auf der Suche nach möglichen Beweisen gegen Christian B. (Foto: Hauke-Christian Dittrich/AFP)

Eine Öffentlichkeitsfahndung wurde ausgerufen, mit Fotos von Jaguar, VW-Bus und Häusern des Verdächtigen aus den Jahren in Portugal. Rasch sprach sich herum, dass der Beschuldigte Christian B. heißt und zunächst in Kiel einsaß. Hinweise gingen ein, Aussagen von Bekannten und Gerüchte machten die Runde. Zeugen meldeten sich jedoch besonders wegen anderer ungeklärter Fälle, die möglicherweise mit B. zu tun haben. Darunter ist der Fall einer Frau, die 2004 an der Algarve vergewaltigt wurde. Es geht außerdem um sexuellen Missbrauch von Kindern.

Neuigkeiten dazu kündigt Wolter nun für Mai an, bald könnte Anklage erhoben werden. Im Fall McCann ist noch keine Anklage gegen B. in Sicht, obwohl die Braunschweiger Staatsanwaltschaft sich ihrer Sache sicher zu sein scheint. "Wir gehen ja von Mord aus", sagt Wolters. Mord verjährt in Deutschland nicht, Totschlag nach 20 Jahren. Man habe für den Fortgang des Ermittlungsverfahrens noch mehr als genug Zeit, sagt Wolters. Aber worauf sich der Verdacht genau stützt, das ist wie gehabt unklar.

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Anwalt Fülscher, der B. verteidigt, schreibt, er könne "zum Sachstand des deutschen Verfahrens nichts sagen, wir kennen die Akte und damit die konkreten Vorwürfe auch nach zwei Jahren noch nicht". Die englische Zeitung Daily Mail berichtet von einem Brief, in dem B. seine Unschuld beteuert haben soll, was das Verschwinden von Madeleine McCann betrifft: Er sei jetzt "der bekannteste schlechte Mensch der Welt", dabei habe er "nichts getan - na ja, fast nichts", wird er da zitiert. "Ich habe niemanden entführt und natürlich niemanden getötet." Auch beschwerte er sich bei niedersächsischen Behörden offenbar über seine Haftbedingungen in der JVA Oldenburg, zu deren Insassen übrigens auch der Serienmörder Niels Högel gehört.

Für Madeleines Tod gibt es keine Beweise

15 Jahre Suche, 15 Jahre ohne Gewissheit. In Großbritannien wird sie noch immer als Vermisstenfall geführt. Für ihren Tod gibt es keine Beweise, jedenfalls keine, die publik wären, auch wenn ihr Überleben nach all den Jahren als sehr unwahrscheinlich gilt.

Ihre Eltern Kate und Gerry McCann begrüßen auf ihrer Website "Find Madeleine" die Nachrichten, dass "a German man" von Portugals Behörden zum Beschuldigten im Zusammenhang mit dem Verschwinden "unserer geliebten Tochter" erklärt worden sei. Dies zeige, dass die portugiesischen, deutschen und britischen Ermittlungen vorankämen. Auch wenn die Möglichkeit gering sein möge, "wir haben die Hoffnung nicht aufgegeben, dass Madeleine noch am Leben ist und wir wieder mit ihr vereint sein werden". Am 12. Mai würde Madeleine McCann, die mit knapp vier Jahren in Portugal verschwand, 19 Jahre alt werden.

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