Neuer Reiseführer:Der Geist der Altstadt

Neuer Reiseführer: Bestechend an Arz' Reiseführer sind nicht zuletzt die hervorragenden Illustrationen, insbesondere die historischen Ansichten wie hier vom Sendlinger Tor.

Bestechend an Arz' Reiseführer sind nicht zuletzt die hervorragenden Illustrationen, insbesondere die historischen Ansichten wie hier vom Sendlinger Tor.

(Foto: Archiv Martin Arz)

Martin Arz beschreibt in seinem "Reiseführer für Münchner" bekannte Sehenswürdigkeiten in der Innenstadt. Vor allem aber erzählt er auch Geschichten, die nicht jeder kennt: von einem unschuldig Hingerichteten, verschwundenen Eisbahnen und abgerissenen Opernhäusern.

Von Wolfgang Görl

Am westlichen Ende der Kaufingerstraße stand bis zum Jahr 1807 der "Schöne Turm", der seinen Namen der prächtigen Fassadenbemalung verdankte. Neben dem Turm, so wird erzählt, hatte ein Goldschmied seine Werkstatt. Eines Tages erhielt er einen wertvollen Schmuck mit dem Auftrag, diesen zu kopieren. Der rechtschaffene Handwerker machte sich umgehend an die Arbeit, als er aber nach einer Pause in die Werkstatt zurückkehrte, war das edle Geschmeide verschwunden. Seltsam. Die Tür war verschlossen, das Fenster zu klein, als dass ein Mensch hätte hindurchschlüpfen können. Der Auftraggeber witterte Betrug, zerrte den Goldschmied vor den Richter, der an der Schuld des Mannes keine Zweifel hatte und ihn zum Tode verurteilte. Einige Wochen nach der Hinrichtung entdeckten Handwerker bei Reparaturarbeiten im Dachstuhl des Schönen Turms ein Dohlen- oder Elsternnest. Und siehe da: In der Kinderstube der diebischen Vögel lag der Schmuck. Seither wandelt der Geist des unschuldig Hingerichteten durch die Gassen der Münchner Altstadt.

Ob die Geschichte wahr ist? Genau weiß man das nicht, aber sie ist in jedem Fall auf angenehme Weise gruselig und tragisch. Nicht zuletzt aus diesem Grund zählt sie zum Sagen- und Legendenschatz Münchens, weshalb sie häufig bei Stadtführungen zur Sprache kommt. Natürlich kennt auch der Münchner Schriftsteller und Verleger Martin Arz die Sage vom unglücklichen Goldschmied, und so findet sie sich in seinem kürzlich erschienenen Buch "Altstadt & Lehel".

Neuer Reiseführer: Am westlichen Ende der Kaufingerstraße stand bis zum Jahr 1807 der "Schöne Turm".

Am westlichen Ende der Kaufingerstraße stand bis zum Jahr 1807 der "Schöne Turm".

(Foto: Archiv Martin Arz)

Es ist ein "Reiseführer für Münchner", wie im Untertitel zu lesen ist, was Arz im Vorwort allerdings behutsam relativiert: "Auch Touristen, Neigschmeckte und Zuagroaste können mit dem Buch das Viertel erkunden." Und das stimmt: Wer immer sich von den darin abgedruckten Karten durch die Altstadtviertel oder das Lehel leiten lässt, wird nicht nur schöne Architektur oder kulturell bedeutsame Plätze entdecken, sondern auch die Geschichte dieser Orte erfahren, die Ereignisse, die sich dort abgespielt haben, den Wandel über viele Jahrhunderte.

Arz ist ein verlässlicher Gewährsmann in puncto Stadthistorie, was man in den München-Büchern, die er bislang publiziert hat, nachlesen kann. Der gebürtige Franke verfügt über jede Menge Talente, er schreibt Krimis und Sachbücher, ist als Künstler tätig, veranstaltet Ausstellungen, fungiert als Guide bei Stadtsafaris und betreibt den Hirschkäfer-Verlag, in dem vortreffliche Bücher erscheinen. Offenbar gehört Arz zu jenen beneidenswerten Menschen, denen Gott oder wer auch immer das Privileg gewährt, einen 48-Stunden-Tag zu haben.

Was nun seinen Altstadt-Reiseführer betrifft, so bietet dieser neben dem obligatorischen Blick auf die wichtigsten Sehenswürdigkeiten samt kleineren Attraktionen, Kuriositäten und Geheimtipps auch ein kenntnisreiches Kapitel zur Geschichte der Isar-Flößerei, einen historischen Überblick über die versunkene Welt der Stadtbäche und Mühlen sowie ein Verzeichnis der Straßennamen inklusive ihrer Herkunft. Nicht jedem dürfte geläufig sein, welche Bewandtnis es beispielsweise mit dem Namen Hotterstraße hat. Arz weiß es: "Benannt nach einem Münchner Bürger namens Chot/Hot, der hier einen Garten besaß." Und wie schön wäre es, das Ledererbächl oder der Pfisterbach flössen noch durch die Altstadt, munter sprudelnde Gewässer, die mit vielen anderen Stadtbächen das mittelalterliche München zu einem bayerischen Kleinvenedig machten.

Arz hat seinen Reiseführer so gestaltet, dass der Leser und Stadtflaneur die Quartiere der Reihe nach erkunden kann. Da ist das Hackenviertel, das Arz nicht nur als Standort der spektakulären Asamkirche oder des Sendlinger Tors vorstellt, sondern auch als Heimstatt längst verschwundener Institutionen wie des Nockherspitals oder der Feiertagsschule. Nächste Station wäre das Angerviertel, dessen kulinarisches Zentrum der Viktualienmarkt ist, den der Autor mit einem kleinen historischen Abriss würdigt.

Wer aber wüsste noch, dass nicht weit vom Markt einst das idyllische Ertl-Schlösschen stand, in das um 1800 der Unternehmer und Technikpionier Joseph Utzschneider zog? Man hat es ebenso abgebrochen wie das Opernhaus am Salvatorplatz im Kreuzviertel, das Kurfürst Ferdinand Maria 1657 in einen alten Kornspeicher einbauen ließ. Arz versäumt es auch nicht, seine Leser auf Kleinodien wie die Bürgersaal-Kirche oder das Brunnenbuberl aufmerksam zu machen, die neben Hotspots wie St. Michael gern übersehen werden. In der Graggenau wiederum ist es unabdingbar, die Residenz mit ihrem noblen Drumherum zu inspizieren.

Neuer Reiseführer: Auf der Eisbahn "Schachterleis" liefen die Münchner bis zum Jahr 1960 Schlittschuh.

Auf der Eisbahn "Schachterleis" liefen die Münchner bis zum Jahr 1960 Schlittschuh.

(Foto: Archiv Martin Arz)

Ein Spaziergang durch das Lehel, das schon in alter Zeit zum Münchner Burgfrieden gehörte, ist eine Unternehmung für sich. Arz führt seine Gefolgschaft unter anderem zur Praterinsel, zur St.-Anna-Kirche, zum Haus der Kunst und natürlich in den Englischen Garten. Auch dort gibt es Interessantes zu entdecken, das nicht in jedem Reiseführer steht: die Burgfriedenssäule von 1724 etwa, die seinerzeit markierte, wie weit das Münchner Stadtgebiet reichte. Ein Schmankerl am Rande: Die Eisbahn "Schachterleis", in der die Münchner bis zum Jahr 1960 Schlittschuh liefen.

Neuer Reiseführer: Eine Zeichnung zeigt arme Menschen am Isarufer, die Holz von den vorbeifahrenden Flößern zu erbetteln versuchen.

Eine Zeichnung zeigt arme Menschen am Isarufer, die Holz von den vorbeifahrenden Flößern zu erbetteln versuchen.

(Foto: Archiv Martin Arz)
Neuer Reiseführer: Das alte Karlstor mit den Vorgängerbauten des Kaufhauses Oberpollinger im Jahr 1857.

Das alte Karlstor mit den Vorgängerbauten des Kaufhauses Oberpollinger im Jahr 1857.

(Foto: Archiv Martin Arz)

Bestechend an Arz' Reiseführer sind nicht zuletzt die hervorragenden Illustrationen, insbesondere die historischen Ansichten. Arz hat sich nicht mit den üblichen, oft publizierten Fotos begnügt, sondern Bilder ausfindig gemacht, die seltener zu sehen sind. Eindrucksvoll etwa eine Zeichnung, die arme Menschen am Isarufer zeigt, welche Holz von den vorbeifahrenden Flößern zu erbetteln versuchen. Ebenfalls sehenswert: eine Ansicht der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Maxburg um das Jahr 1860 oder das alte Karlstor mit den Vorgängerbauten des Kaufhauses Oberpollinger. Und dann natürlich der "Schöne Turm". Aber Vorsicht: Drumherum spukt es.

Martin Arz: Altstadt & Lehel. Reiseführer für Münchner. Hirschkäfer-Verlag, 176 Seiten; 18,90 Euro.

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