Wirtschaftsskandal:Gericht erklärt Wirecard-Bilanzen für nichtig

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Die Fahndungszettel sind inzwischen zwar aus der Öffentlichkeit verschwunden, gesucht wird nach Jan Marsalek aber auch nach dreieinhalb Jahren weiter. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Die Abschlüsse des Konzerns aus den Jahren 2017 und 2018 waren falsch. Jetzt kann der Insolvenzverwalter Millionen Euro von Aktionären zurückverlangen. Kleinanleger kommen wohl glimpflich davon.

Von Jan Diesteldorf und Nils Wischmeyer

Das Landgericht München I hält die Abschlüsse des Wirecard-Konzerns für 2017 und 2018 für falsch. Das Gericht erklärte die Jahresabschlüsse wie auch die Dividendenbeschlüsse aus den beiden Jahren am Donnerstag für nichtig. Damit gab die zuständige Kammer einer Klage des Insolvenzverwalters Michael Jaffé statt, der die Abschlüsse für die beiden Jahre angefochten hatte. Jaffé hatte einen Verstoß gegen das Aktiengesetz gesehen, wonach "Aktivposten in den beiden Bilanzen deutlich überbewertet" worden seien. Dem folgte das Gericht.

Damit ist offiziell, dass Wirecard seine Umsätze künstlich aufgebläht hatte. Für die damaligen Aktionäre des Konzerns wird es nun ungemütlich: Da laut Urteil auch die Dividendenbeschlüsse nichtig sind, könnte Jaffé nun Gewinnausschüttungen in Höhe von 47 Millionen Euro zurückfordern. Die zahlte Wirecard laut Urteil nämlich "ohne Rechtsgrund" aus. Wer in den beiden Jahren Dividenden von Wirecard kassiert hat, muss darum jetzt bangen.

Kleinaktionäre und Privatanleger haben allerdings wenig zu befürchten. Für 2017 und 2018 zahlte Wirecard insgesamt 0,38 Euro Dividende pro Aktie aus. Bei einer Anlagesumme von 10 000 Euro und einem Aktienkurs von rund 150 Euro würde das zu einer Rückzahlung von etwa 25 Euro führen, rechnete Jaffé am Donnerstag in einer Mitteilung vor. Anders sieht es für Großaktionäre wie den früheren Konzernchef Markus Braun aus. Braun hielt etwa sieben Prozent der Wirecard-Aktien und war größter Anteilseigner. Seine Beteiligung war zeitweise deutlich mehr als eine Milliarde Euro wert.

Erster Strafprozess im Fall Wirecard womöglich noch in diesem Jahr

Grundlage der Klage waren die mutmaßlichen Scheinbuchungen, mit denen Wirecard-Manager die Bilanzen um erfundene Milliardenumsätze aufgebläht haben sollen. Der Konzern war 2020 zusammengebrochen, weil 1,9 Milliarden Euro an Barmitteln auf ausländischen Konten fehlten. Der Konzern aus Aschheim bei München war schließlich in die Insolvenz gerutscht. Die Aufstiegsgeschichte eines neuen deutschen Wirtschaftsstars entpuppte sich als größter Bilanzskandal der deutschen Wirtschaftsgeschichte.

Ex-Konzernchef Braun sitzt seit bald zwei Jahren in Untersuchungshaft. Mitte März hat die Staatsanwaltschaft München I Anklage gegen ihn und zwei weitere Ex-Manager erhoben. Sie wirft Braun unter anderem die Veruntreuung von Konzernvermögen, gewerbsmäßigen Bandenbetrug und Bilanzfälschung vor. Braun weist die Vorwürfe zurück und sieht sich als Opfer. Ein Prozess könnte noch in diesem Jahr beginnen. Nicht angeklagt ist bisher Ex-Vorstand Jan Marsalek. Er ist nach dem Zusammenbruch des Konzerns offenbar nach Russland geflohen.

Mehr als 600 Millionen Euro Gewinn - erfunden

In den Jahren vor der Pleite war Wirecard zumindest auf dem Papier stark gewachsen und hatte an der Börse ungezählte Fans. Im September 2018 war der Konzern sogar anstelle der Commerzbank in den Dax aufgestiegen. In den Jahren 2017 und 2018 hatte der Zahlungsdienstleister Gewinne von zusammen mehr als 600 Millionen Euro ausgewiesen und einen zweistelligen Millionenbetrag an Dividenden ausgeschüttet.

Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München I gab es diese Gewinne nicht. Markus Braun hingegen behauptet, das Geld sei über Schattenstrukturen aus dem Konzern geschleust worden, wovon er nichts gewusst habe.

Für das Urteil vom Donnerstag sei die Frage nach der Existenz des Geldes unerheblich, sagte der Vorsitzende Richter Helmut Krenek. Wirecard habe in jedem Fall gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung verstoßen. Die Wirtschaftsprüfer von EY hatten die Abschlüsse der beiden Jahre testiert und dabei keine Auffälligkeiten festgestellt. Aktionärsvertreter hoffen nach dem Urteil auf bessere Aussichten für Schadenersatzklagen gegen EY.

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