Prozess in Traunstein:Echte Spritzen vom falschen Arzt

Lesezeit: 3 min

Eine Spritze in den Oberarm setzen, können nach Ansicht der Verteidigung unter Umständen auch Nicht-Mediziner wie der Angeklagte im Traunsteiner Impfarzt-Prozess. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Ein vermeintlicher Mediziner verantwortet in Rosenheim fast 1500 Corona-Impfungen. Niemand kommt zu Schaden, das erschwindelte Honorar erhält er auch nicht. Dennoch drohen ihm nun mehrere Jahre Gefängnis.

Von Matthias Köpf, Traunstein

Fast 1500 Fälle von Körperverletzung stehen zur Debatte, und wie viele davon die Tatbestände der schweren, der vorsätzlichen oder nur der einfachen Körperverletzung erfüllen, das ist zwischen dem Staatsanwalt und dem Verteidiger umstritten, wie so vieles in diesem Prozess am Landgericht Traunstein. Dabei sei in all diesen Fällen ja nie irgendwer wirklich verletzt worden, betont Anwalt Peter Witting in seinem Plädoyer. Eher im Gegenteil: Die Leute wollten ja dringend geimpft werden damals Anfang 2021, als die Corona-Pandemie das Leben bestimmte, der Impfstoff knapp war und die Patienten nach Priorität sortiert wurden.

Sein Mandant hat die Menschen geimpft. Mehr als 300 Mal hat er die Spritze nach eigenem Eingeständnis selbst gesetzt, fast 1150 Mal hat er sie von Leuten setzen lassen, die für so etwas tatsächlich ausgebildet waren. Er selbst aber ist nie der Arzt gewesen, als der er sich ausgab im Rosenheimer Impfzentrum, bei den Außeneinsätzen in mehreren Pflegeheimen und an einem Tag auch im Impfzentrum in Karlsfeld bei Dachau. Doch wenn Unbefugte ihn ausführen, dann gilt jeder Eingriff in den Körper, und sei es nur eine einfache Injektion in den Oberarm, rein rechtlich als Körperverletzung.

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Der Staatsanwalt will den 50-Jährigen dafür, für gewerbsmäßigen Betrug, für den Titelmissbrauch und für die Fälschung der beiden Doktorurkunden in Medizin und Theologie insgesamt fünf Jahre im Gefängnis sehen. Der Verteidiger hält höchstens zwei Jahre für genug, am besten auf Bewährung, aber zur Not auch ohne, denn selbst in diesem Fall käme sein Mandant nach inzwischen 14 Monaten Untersuchungshaft wohl bald frei.

"Über Wochen beleidigt und bedroht"

Die U-Haft hat dem Angeklagten, der schon zuvor unter schweren chronischen Krankheiten und seelischen Problemen litt, zuletzt erkennbar zugesetzt. Er habe da "erniedrigende und verstörende Dinge erlebt", sagt er selbst, als er das letzte Wort erhält. Polizisten und Staatsanwälte hätten ihn als Simulanten behandelt, nach der Inhaftierung habe er einen kalten Entzug durchgemacht, weil es niemand eilig gehabt habe damit, die nötigen Opiate gegen seine chronische Schmerzerkrankung zu bestellen. Und von Mitgefangenen sei er "über Wochen beleidigt, bespuckt und bedroht" worden, weil vom Gericht seine HIV-Infektion öffentlich gemacht geworden sei.

Dies war schon am ersten Verhandlungstag im Februar und gegen den heftigen Widerstand der Anwälte geschehen. Schon da hatte sich die Frage abgezeichnet, die zwischen Staatsanwalt und Verteidigung bis zum Ende umstritten bleibt: Hätten sich die fast 1500 Menschen vergangenes Jahr auch von ihm impfen lassen, wenn sie gewusst hätten, dass er gar kein Mediziner ist? Und dass er das HI-Virus in sich trägt? Die Gefahr, das Virus bei den Impfungen weiterzutragen, bestand aber nie, wie ein Gutachten ergab. Fast 1000 Geimpfte hätten wohl auch so eingewilligt, leitet Anwalt Witting aus den oft unklaren Antworten auf eine Fragebogenaktion der Ermittler ab.

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Seinen späten Beweisantrag, diese knapp 1000 Menschen als Zeugen zu laden, hat die Kammer aber abgelehnt. Auch was die Frage der "hypothetischen Einwilligung" insgesamt betrifft, so schien das Gericht bisher der Ansicht des Staatsanwalts zuzuneigen, wonach so eine Einwilligung nur im Verhältnis von Patienten zu echten Ärzten möglich ist und nicht zu falschen.

Revision vor dem Bundesgerichtshof?

Ebenfalls strittig bleibt, warum sich der Angeklagte überhaupt zum Arzt gemacht hat. Nur wegen seiner finanziellen Schwierigkeiten und wegen der 100 Euro Stundenhonorar, betont der Staatsanwalt. Gut 20 000 Euro sind so zusammengekommen, ehe der Angeklagte nach sieben Wochen und einigen Indizien schließlich aufgrund der Beschwerde eines echten Arztes unter den Geimpften aufflog. Ausgezahlt wurde das Geld aber nie, so dass es auch hier keinen manifesten Schaden gibt und der Angeklagte selbst der einzige zu sein scheint, der bei all dem eine Art Opferrolle einnehmen könnte. Denn er habe trotz schwerer Krankheiten und voller Erwerbsunfähigkeit immer nur helfen, sich einbringen und als eine Art Seelsorger wirken wollen, nachdem sein Lebenstraum, katholischer Priester zu werden, schon während seiner Zeit im Priesterseminar am rigiden System der Kirche zerbrochen sei.

Die Tätigkeit im Impfzentrum habe ihm neues Selbstwertgefühl gegeben, argumentiert der Verteidiger, "er ist ja fast geschwebt in der Impfstraße". Und anderen hätte dabei zwar viel passieren können, doch sei eben nichts passiert. Gleichwohl bittet der Angeklagte selbst "ausdrücklich noch einmal um Entschuldigung". Das Gericht will sein Urteil kommende Woche sprechen. Verteidiger Witting denkt schon jetzt an eine mögliche Revision beim Bundesgerichtshof, "der Fall ist wirklich geeignet dafür".

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