SPD:Trotzig nach der Niederlage

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Es ist das historisch schlechteste Ergebnis seiner Partei in Nordrhein-Westfalen: Thomas Kutschaty (rechts), SPD-Spitzenkandidat, nach der Wahl. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Der Traum von einem Wiederaufstieg der SPD in Nordrhein-Westfalen ist zerbrochen. Doch Spitzenkandidat Kutschaty hofft noch, als Zweiter der Wahl Erster im Land zu werden.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Freude, Jubel und großes Glück - das gibt's eher anderswo: Nicht in den Rheinterrassen nördlich der Düsseldorfer Altstadt, wo die SPD an diesem Abend feiert. Oder feiern wollte. Es wird jäh furchtbar still, als um 18 Uhr die ersten Prognosen auf den großen Fernsehmonitoren erscheinen und der schwarze Balken der CDU in die Höhe schießt: Über 35 Prozent, das ist ein Schlag in die sozialdemokratische Magengrube. Und es wird ja nicht besser, als die TV-Grafik die SPD vermisst: Am späten Abend ist bei unter 27 Prozent das Ende der roten Stange. Trotzig klatschen dennoch ein paar Genossen.

Thomas Kutschaty, der SPD-Spitzenkandidat, erkennt eine gute halbe Stunde später offen an, dass er kein Sieger ist. Er dankt für den Beifall der Genossen, "das tut an einem solchen Abend verdammt gut, danke für Eure Aufmunterung." Die SPD wollte stärkste Partei werden im Land, Kutschaty muss anderen gratulieren. "Herzlichen Glückwunsch an CDU und Grüne."

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Damit erzielt der SPD-Spitzenkandidat das historisch schlechteste Ergebnis seiner Partei an Rhein und Ruhr. Noch eine Schmach: Schon die 31,2 Prozent bei der Landtagswahl vor fünf Jahren hatten einen Minus-Rekord bedeutet. Der morgenrote Traum von einem Wiederaufstieg der SPD in Nordrhein-Westfalen - diese Utopie ist zerbrochen.

Der andere Ort, das ist an diesem Sonntagabend das Apollo-Theater unter Düsseldorfs Rheinkniebrücke. Freude, Jubel, Glück - das leben die NRW-Grünen aus, wo sonst Varieté gepflegt wird. Eine nüchterne Zahl hat sie verzaubert: 18 Prozent - das ist fast das Dreifache des Resultats von 2017 (6,4 Prozent).

Es ist das historisch beste NRW-Ergebnis der Grünen

Mona Neubaur, die 44-jährige Spitzenkandidatin, starrt fast fassungslos auf die ersten Prognosen. Sekundenlang kreuzt sie beide Hände vor der Kehle, als würde sie keine Luft mehr bekommen. Dann umarmen sie Parteifreunde. Die Frau, die nun als Superministerin gehandelt wird, sagt: "Das ist ein riesiger Auftrag für uns." Auch sie hat ein wenig Geschichte geschrieben, mit dem historisch besten NRW-Ergebnis der Grünen.

Mona Neubaur von den Grünen wird nun von CDU und SPD heftig umworben werden. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Damit ist die frühere Öko-Partei nun klar die dritte Macht am Rhein. Ohne sie wird, da in NRW eine Große Koalition von SPD und CDU als ausgeschlossen gilt, keine neue Regierung zu bilden sein. Sie müssen sich entscheiden: Schwarz-Grün oder Rot-Grün?

Trotz der fast desaströsen Niederlage der SPD nämlich hat Kutschaty am frühen Abend noch nicht aufgegeben. Rot-Grün ist rechnerisch unmöglich - aber dann bliebe ja noch eine Ampel-Option: "Die Sozialdemokratie steht bereit auch für eine Landesregierung."

Drei, maximal vier Punkte dürften zwischen Hendrik Wüst und Kutschaty klaffen - sonst sei Rot-Grün erledigt, hatten grüne Strategen vor der Wahl orakelt. Nun sind es rund neun Punkte. Neubaur äußert sich am Abend zunächst nicht zu Koalitionsspekulationen, aber kurz vor der Wahl hatte sie signalisiert: Ein Zweierbündnis sei ihr lieber als eine Dreier-Koalition, also die Ampel. Also: Vorteil Schwarz-Grün.

Wer weiß denn, ob Schwarz-Grün gelingt?

Die Grünen wollen selbstbewusst verhandeln. Kurz vor der Wahl hatten sie ein "Regierungsprogramm" vorgestellt, dass der CDU allerhand zumutet: Die bisherigen Mindestabstände für Windräder sollen fallen, auf jedes neue Dach gehörten Solarzellen. Manche Forderungen lasen sich wie Exzerpte aus früheren rot-grünen Papieren: ein strengerer Mieterschutz, ein Paket für mehr Geld gegen Kinderarmut, eine Senkung des Wahlalters auf 16.

Auch in der Bildungspolitik finden sich Grüne traditionell näher bei den Roten als an der Seite der Schwarzen wieder. Auch deshalb wohl hofft Kutschaty noch, als Zweiter der Wahl am Ende Erster im Land zu werden. Wer weiß denn, ob Schwarz-Grün gelingt? In dem Fall würde der SPD-Mann seine zuletzt geäußerten Zweifel an einem punktgenauen Kohleausstieg in NRW 2030 schnell verdrängen. Er weiß, dass das die Grünen genervt hatte.

Das entscheidende Koalitionswort wird bei den Grünen wohl die Basis haben. Der Landesverband galt viele Jahre lang als eher links. Ob das noch stimmt? Die Basis kennt, nachdem sich die Zahl der NRW-Mitglieder seit 2017 von 12 000 auf 27 000 mehr als verdoppelt hat, niemand so genau. Auch nicht die eigene Parteiführung.

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