Klimapolitik:Ein Klimaplan mit teuflischer Ironie

Klimaschutz: Rauchsäulen steigen aus einem Kraftwerk empor

Um 43 Prozent sanken die Emissionen von Kraftwerken und Fabriken in der EU seit der Einführung des Emissionshandels 2005.

(Foto: Christoph Hardt/imago images/Future Image)

Brüssel hat ein Strategiepapier vorgelegt, wie die EU unabhängig von russischer Energie werden kann. Vieles darin ist richtig. Doch bei der Finanzierung gibt es einen gravierenden Fehler.

Kommentar von Michael Bauchmüller

Auf dem Weg zur Unabhängigkeit will die EU nicht kleckern, sie will klotzen. 210 Milliarden Euro will sie investieren, um so schnell wie möglich von Energieimporten aus Russland loszukommen, von russischem Gas, Erdöl oder Kohle. Die Europäer sollen viel schneller viel effizienter mit Energie umgehen, und sie sollen viel schneller viel mehr Windräder und Solarzellen errichten. Ein guter Plan so weit - doch er hat einen Haken: das Geld.

Denn viel Spielraum hat auch das europäische Budget nicht. Einiges findet sich noch im Wiederaufbautopf zur Bändigung der Corona-Folgen. Auch die Strukturförderung, die ärmere Gegenden aus den Taschen europäischer Steuerzahler bekommen, ließe sich in Richtung Energieunabhängigkeit lenken. Und dann sind die Strategen in Brüssel noch auf eine ganz neue Idee gekommen: Sie verhökern Reserven des europäischen Emissionshandels. 20 Milliarden Euro, so rechnen sie vor, ließen sich damit aufbringen. Doch sie ahnen nicht, welchen Preis das haben wird.

Um seinen Emissionshandel wird Europa weltweit beneidet. Firmen, die Kohlendioxid in die Atmosphäre pusten, müssen hier Zertifikate erwerben, für jede Tonne CO₂ eins. Die Menge dieser Zertifikate ist gedeckelt: So bekommt Europas Industrie eine Obergrenze für ihre Zertifikate, und der Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase bekommt einen Preis. Um satte 43 Prozent sanken die Emissionen von Kraftwerken und Fabriken in der EU seit der Einführung dieses Handels 2005. Das kann sich sehen lassen.

Was man dagegen besser vergisst, ist der zähe Weg zu einem funktionierenden System. Jahrelang dümpelte der Preis vor sich hin, denn es gab schlicht zu viele dieser Zertifikate. Eine Tonne Kohlendioxid auszustoßen, das war in Europa zeitweise billiger als ein Liter Sprit. Das änderte sich erst, als die Europäer sich darauf einigten, überschüssige Zertifikate vom Markt zu nehmen. Sie landeten in der sogenannten "Marktstabilitätsreserve". Es ist jene Reserve, die Brüssel nun anzapfen will.

Niemand weiß, wie knapp die Zertifikate künftig sein werden

Das ist in jeder Hinsicht ein Dammbruch. Faktisch hebeln die Europäer damit ihren schönen Deckel auf wie der Schraubenzieher die Lackdose. Ohne diesen Deckel aber ist unklar, wie knapp die Zertifikate künftig sein werden. Das kann dramatische Auswirkungen haben an einem Markt, an dem, wie an allen Energiemärkten, letztlich Erwartungen gehandelt werden. Wenn die Händler nicht mehr davon ausgehen, dass ihr Gut künftig knapp und gefragt sein wird, werden sie es verkaufen - mit dem Ergebnis, dass der Preis sinkt. Am Mittwoch, nach der Verkündigung des europäischen Unabhängigkeitspakets, sackte er gleich mal von 91 auf unter 85 Euro ab.

Im Umkehrschluss heißt das: Wenn sich die EU das Ziel setzt, auf diese Weise 20 Milliarden Euro einzunehmen, muss sie umso mehr Zertifikate aus der Reserve lockermachen, je stärker der Preis fällt. Mit dem Ergebnis, dass die Zertifikate noch weniger knapp sind, der Preis noch weiter fällt, noch mehr Reserve auf den Markt muss - ein Teufelskreis, auf den clevere Spekulanten spekulieren könnten.

Die Kommission beteuert, sie wolle die Zertifikate behutsam veräußern, um den Markt nicht zu stören. Nur mal angenommen, das gelänge und der Preis würde eben nicht absacken, was käme als Nächstes? Für welches hehre Ziel würden die nächsten Emissionsrechte veräußert?

Es ist, als hätte die EU auf den verwinkelten Fluren des Kommissionsgebäudes eine Bank gefunden, die rückzahlungsfreie Kredite vergibt und das nötige Geld selbst druckt. Doch diesen Kredit nehmen die Europäer bei der Atmosphäre, denn faktisch werden im Gegenzug mehr Emissionen ausgestoßen als vorgesehen. Sacken dadurch die Zertifikatspreise ein, werden fossile Energien wettbewerbsfähiger, denn Unternehmen müssen für Klimasünden weniger zahlen. Das wiederum schadet den klimafreundlichen Alternativen. Es ist das Gegenteil dessen, was die Kommission auf dem Weg zur Unabhängigkeit bezweckt.

Der Umstand, dass aus den Einnahmen letztlich auch Gasleitungen oder Terminals für verflüssigtes Erdgas finanziert werden können, wirkt da nur noch wie eine besonders perfide, ja teuflische Ironie. Fossile Infrastruktur, finanziert aus Zugeständnissen beim Klimaschutz: Muss man auch erst mal draufkommen.

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