Wahlen:Wo die Demokratie Wurst isst

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Wer in Australien gewählt hat, kann sich anschließend mit einer Wurst in einem weichen Brötchen stärken. (Foto: Adam Trafford/AFL Media/Getty Images)

Australien wählt - nicht nur sein Parlament, sondern auch zwischen tierischen Hotdogs und vegetarischen Alternativen.

Von Jan Bielicki, München

Es geht um die Wurst. Am Samstag wählen die Australier ihr Parlament. Im Wahllokal malen sie hier keine Kreuzchen, sondern kennzeichnen mit Nummern die gewünschte Reihenfolge der Kandidaten auf den Wahlzetteln. Aber der entscheidende Punkt, in dem sich ein australischer Wahlsamstag von einem deutschen Wahlsonntag unterscheidet, zielt aufs Bauchgefühl der Wähler und wartet draußen vor der Tür: die Demokratiewurst.

Vor vielen Wahllokalen steht in Australien ein Würstchengrill, an dem sich die Wähler nach der anstrengenden Stimmabgabe stärken können. Traditionsgemäß reichen Freiwillige eine frisch gegrillte Wurst in landestypisch weicher Semmel über einen Campingtisch. Senf, Ketchup - hier tomato sauce genannt - sowie Gürkchen und Röstzwiebeln vervollständigen das kleckerträchtige Gebilde. Umgerechnet zwei oder drei Euro kostet so ein snag, der Erlös kommt wohltätigen Zwecken zugute.

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Der democracy sausage sizzle gilt als nationale Institution und gelebte Demokratie - und ist doch nicht entstanden, um Stimmbürger mit fleischlichen Mitteln an die Urnen zu locken. Denn wählen müssen sie ohnehin. Wer das nicht tut, muss Strafe zahlen. Es herrscht Wahlpflicht und darum reges Kommen und Gehen an den Wahllokalen, die also ein guter Platz sind, um für gute Zwecke zu sammeln.

Im Angebot sind oft auch Kaffee und Kuchen, Eier und Speck und was sonst noch gut ankommt beim Wahlvolk. Der auffälligste Trend aber geht weg vom Fleisch. Erst kürzlich forderte Australiens sonst eher unbedeutende Tierrechtspartei, überall pflanzenbasierte Alternativen anzubieten.

Vielerorts geschieht das längst. Und längst gibt es eine interaktive Landkarte, auf der Wähler ablesen können, was sie vor ihrem Wahllokal kulinarisch erwartet. Demnach boten bei der Wahl von vor drei Jahren 387 der 2218 dort gelisteten Demokratiewurststände auch vegetarische Gerichte an. 2016 taten das erst 74.

Die regionale Verteilung der vegetarischen Angebote spiegelt die politischen Verhältnisse in den Wahlkreisen. Draußen im Outback, wo Viehzucht und die ländliche National Party dominieren, ist fleischlose Ernährung demnach noch nicht recht angekommen, was Städter in ihrem Vorurteil gegen rurale bogans bestätigt, die lieber mit Krokodilen kämpfen, als in eine vegane Wurst zu beißen.

Umgekehrt weist der Wahlkreis von Labor-Oppositionsführer Anthony Albanese die größte Dichte an vegetarischen Demokratiewurstgrillern auf. Er umfasst den Campus der University of Sydney und den hip-alternativen Stadtteil Newtown, an dessen King Street sich ein vegetarisches Café an das nächste reiht. Im Wentworth in Sydneys wohlhabendem Osten wiederum deutet die Vielzahl der vegetarischen Anbieter an, wie sehr die regierenden Liberalen die neue Konkurrenz unabhängiger Kandidatinnen fürchten müssen, denen vegan gut, die Klimapolitik der Regierung aber gar nicht schmeckt.

Politiker und Parteien selbst dürfen freilich keine Würste anbieten. Es könnte ihnen als verbotener Stimmenkauf ausgelegt werden. Demokratie ist schließlich keine Bratwurstbude.

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