Formel 1 in Barcelona:Triumph als Talentnachweis

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"Ich denke ständig darüber nach": Carlos Sainz Jr. will endlich in der Formel 1 gewinnen - und braucht einen Sieg auch dringend. (Foto: Nacho Doce/Reuters)

146 Rennen, aber noch kein Sieg: Bei seinem Heim-Grand-Prix in Spanien möchte Ferrari-Pilot Carlos Sainz Jr. endlich gewinnen. Doch er hat ein Problem, das Teamkollege Charles Leclerc nicht kennt.

Von Anna Dreher, Barcelona

Als die Formel 1 sich vergangene Saison in Spanien niedergelassen hatte, war die Strecke wie verlassen. Wegen des Coronavirus durften am Rennsonntag nur 1000 Zuschauer kommen. Was für eine Party es damals wohl geworden wäre, mit dem Comeback des Asturiers Fernando Alonso und der ersten Saison des Madrilenen Carlos Sainz Jr. bei Ferrari, zeigt nun die Gegenwart. Am Donnerstag wuselten Tausende Menschen über den Circuit de Barcelona-Catalunya: auf den Tribünen, in der Fan-Zone und schließlich auch auf der Strecke und in der Boxengasse, wo die Begeisterung besonders groß war, als Mercedes einen seiner Boliden aus der Garage rollte. Um die 300 000 Zuschauer werden an diesem Grand-Prix-Wochenende erwartet. Wo also, wenn nicht hier, wäre der ideale Ort für die Realisierung von Carlos Sainz' unerfülltem Traum?

Sehr viele kommen seinetwegen. Natürlich kommen auch viele wegen Alonso, dem zweimaligen Weltmeister. Aber der 40-Jährige fährt für Alpine und damit an gewöhnlichen Tagen nicht um Siege. Die Erwartungen an Sainz hingegen sind deutlich gestiegen, seitdem er in einem roten Boliden sitzt - die der Öffentlichkeit, aber auch die eigenen. Er ist der erst dritte Spanier nach Alfonso de Portago (1956-57) und Alonso (2010-2014) bei der Scuderia. Und während er 2021 ein Übergangsjahr erlebte, weil sich das Team von einer katastrophalen Saison erholen musste, hat sich nun gezeigt, dass Ferrari das Titelduell mit Red Bull und Weltmeister Max Verstappen bestreiten wird. Beide Teams stellen die derzeit stärksten Autos, sie haben die seit 2022 geltenden Änderungen des Reglements am besten umgesetzt. Und Sainz wäre gerne jener Fahrer, der als Konquistador den italienischen Triumphzug zurück zu Glanz und Ruhm anführt.

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In 146 Rennen hat er es neunmal aufs Podest geschafft, dabei in all den Jahren mit Toro Rosso, Renault und McLaren aber noch nie ganz nach oben. Was er dringend braucht zur Legitimation seines Talents und zur Fortführung der Familientradition als Sohn des gleichnamigen zweimaligen Rallyechampions, ist ein Sieg. Wie lange kann ein Athlet sich gedulden, in einem Sport, in dem es so sehr um Geschwindigkeit geht? "Das bei meinem Heimrennen zu schaffen, wäre das Beste überhaupt. Ich denke ständig darüber nach, ich träume weiter davon", sagte Sainz am Donnerstag und wirkte dabei ruhig, zuversichtlich und entschlossen: "Auf die gleiche Art, als ich mit zehn Jahren hier war und davon träumte, ein Formel-1-Fahrer zu werden - und es ist passiert. Dann träumte ich davon, ein Ferrari-Fahrer zu werden - und es ist geschehen. Und ich träume davon, zu gewinnen."

Ferrari hat offiziell keine Nummer eins benannt, aber Leclerc kristallisiert sich als solche heraus

Dass Ferrari an den 27-Jährigen glaubt, zeigte sich nicht zuletzt an der in Imola bekannt gegebenen Vertragsverlängerung bis 2024. Sein Problem ist, dass er bisher keinen Weg gefunden hat, sich die Schnelligkeit seines Autos zunutze zu machen. "Ich denke, das ist eine Frage des Umgangs mit Druck. Für das vielleicht erste Mal in seiner Karriere hat er ein Auto, das schnell genug ist, um um die besten Plätze zu kämpfen", sagte Teamchef Mattia Binotto nach Sainz' Ausfall in Imola. "Daran muss er sich einfach gewöhnen. Aber das wird er schnell tun, weil ich weiß, wie schlau er ist und wie gut er mit Druck umgehen kann."

Bisher noch keine dicken Freunde: Carlos Sainz Jr. und der F1-75. (Foto: Albert Gea/Reuters)

Sein Teamkollege Charles Leclerc hat damit keine Mühe. Der Monegasse sorgt dafür, dass nach dem hitzigen Titelkampf zwischen Verstappen und Hamilton im vergangenen Jahr auch diese Saison beste Unterhaltung geboten ist. Mit 104 Punkten führt er die Gesamtwertung vor Verstappen (85), dessen Red-Bull-Kollegen Sergio Perez (66), Mercedes-Pilot George Russell (59) und Sainz (53) an. Ferrari hat offiziell zwar keine Nummer eins benannt, aber zumindest gerade kristallisiert sich Leclerc als solche heraus. Dabei war 2021 noch Sainz öfter in die Punkte gefahren.

In fünf Grand Prix kam Sainz diese Saison dreimal aufs Podium und fiel zweimal aus. Das kostete nicht nur einen besseren Platz in der WM, sondern auch wertvolle Runden, um seinen Wagen besser zu verstehen und den eigenen Fahrstil anzupassen. Er müsse Automatismen ändern, die in diesem Auto nicht funktionieren würden, analysierte er vor seinem Heimrennen am Sonntag (15 Uhr, Sky). Dabei bereitet ihm vor allem eine Sache enormes Kopfzerbrechen.

Sainz will eine Gesundheitsdebatte starten

In Barcelona startete er eine Debatte über die Gesundheit der Fahrer, die er gefährdet sieht, wenn nicht endlich das sogenannte Bouncing in den Griff bekommen wird. Das reformierte Reglement stellt auch an die Aerodynamik neue Anforderungen, was sich nicht zuletzt in einer Art Hoppeln der Boliden durch abreißenden Anpressdruck auf den Geraden bei Höchstgeschwindigkeit äußert. Schon beim Zuschauen kann einem schwindelig werden. Sainz beschrieb es so: Die Sicht werde derart stark eingeschränkt, dass Bremspunkte nur erahnt werden könnten. Außerdem sorge er sich um Nacken und Rücken.

"Wir müssen überlegen, welchen Preis ein Fahrer in seiner Formel-1-Karriere für seine Gesundheit zahlen sollte. Wir müssen eine Debatte starten." Das sei eine Frage, die er der Formel 1 und allen stelle, "ich denke da langfristig". Es werde zu einem Punkt kommen, an dem der Weltverband Fia eingreifen müsse: "Ich muss noch mit anderen Fahrern sprechen, die mit dem gleichen Phänomen zu kämpfen haben, um zu sehen, was wir anbieten oder vorschlagen können." Das wurde ihm am Freitag während der Pressekonferenzen gewissermaßen abgenommen, und ausgerechnet sein direkter Konkurrent nahm es locker: "Carlos scheint da empfindlicher zu sein im Vergleich zu mir", sagte Leclerc. "Ich habe damit nicht so sehr zu kämpfen." Auch das noch.

Sainz flüchtet sich bei all diesen Herausforderungen in Optimismus angesichts 17 verbleibender Termine und eines bevorstehenden Upgrades. In Spanien will Ferrari die ersten größeren Neuerungen anwenden, die Carlos Sainz womöglich im Umgang mit dem F1-75 helfen. Wenn schon hoppelnd ins Ziel, dann doch bitte als Erster.

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