Nordrhein-Westfalen:CDU und Grüne verhandeln über Koalition

Nordrhein-Westfalen: Mona Neubaur, Spitzenkandidatin der Grünen bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, beim Landesparteirat der Partei in Essen.

Mona Neubaur, Spitzenkandidatin der Grünen bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, beim Landesparteirat der Partei in Essen.

(Foto: Roberto Pfeil/dpa)

Die Grünen machen den Weg frei für ein schwarz-grünes Bündnis. Sie wollen wieder mitregieren, Spitzenkandidatin Mona Neubaur hat "richtig Bock drauf!"

Von Christian Wernicke, Essen

Der Ärger beginnt für Mona Neubaur schon vor der Saaltür. Beim Gang in die Philharmonie Essen, wo gleich der kleine Parteitag der nordrheinischen NRW-Grünen über Wohl und Wege einer Koalition mit der CDU berät, wählt die ganz in Schwarz gekleidete Landesvorsitzende einen Umweg. Und biegt rechts ab.

Dort steht, als einer von zwei Dutzend Kohlegegnern, im Nieselregen Roman Bonitz. Der 40-jährige Klimaaktivist hält ein rotes Plakat hoch: "Stopp Kohle jetzt!" steht darauf, und was daraus folgen müsse, das sagt er Neubaur jetzt ins Gesicht: Lützerath, das kleine Restdorf am Braunkohletagebau Garzweiler-II, dürfe nicht abgebaggert werden. "Wenn Lützerath fällt, ist die deutsche 1,5-Grad-Grenze überschritten." Von der Rettung dieses Weilers stehe jedoch keine Silbe in dem Sondierungspapier, das Grüne und CDU am Wochenende veröffentlicht hatten: "Deshalb dürft ihr nicht zustimmen!"

Neubaur hört zu, widerspricht höflich. Das Ziel, die Erderwärmung auf maximal 1,5-Grad zu begrenzen - "genau das steht im Papier drin". Sie verspricht, "all das mitzunehmen", was Bonitz gesagt habe. Aber die grüne Reala weiß auch: Lützerath, wo der Bauer seinen Hof verkauft und ein Gericht den Kohleabbau gebilligt hat, wird nicht mehr zu retten sein.

Eine Stunde später spricht Neubaur drinnen im holzverschalten Saal und bittet die 74 Delegierten, gleichsam der Bauch der NRW-Grünen, um einen "Vertrauensvorschuss". Erneut wirbt sie mit der 1,5-Grad-Klausel aus dem Sondierungspapier. Das sei ein Riesen-Erfolg, den dürfe niemand unterschätzen: "Das ist kein grüner Parteitagsbeschluss, das ist das Ergebnis von Verhandlungen mit der CDU!" Die Grünen seien bereit zur Verantwortung, "und ehrlich gesagt: Wir haben auch alle richtig Bock drauf". Also keine Angst vor den Schwarzen! "Vielleicht werden wir uns mit der CDU über eine Brücke die Hand reichen," ruft Neubaur in den Saal, "aber ich verspreche euch: Wir bleiben die Grünen!"

Die NRW-Grünen suchen nach fünf Jahren Opposition den Weg zurück an die Macht

Der Jubel, der rhythmische Beifall, den die Delegierten am Sonntagnachmittag über Neubaur ausschütten, ließ früh erahnen: Dieser Parteitag wird Koalitionsverhandlungen mit der CDU zustimmen. Und damit den Weg freimachen für Schwarz-Grün in NRW. Am Ende stimmte kein Grüner gegen Koalitionsverhandlungen. Sieben enthielten sich, sonst regnete es Zustimmung.

Die NRW-Grünen suchen nach fünf Jahren Opposition den Weg zurück an die Macht. Sie haben verinnerlicht, was ein Delegierter auf dem Korridor so formuliert: "Wir sind unter Zweien eben nur der Zweitgrößte." Die meisten Redner werben für Verhandlungen mit der CDU, wenige äußern Vorbehalte. Allein eine Sprecherin der Grünen Jugend verweigert sich: Sie enthalte sich, auch weil "ein Bekenntnis zu Lützerath" fehle. Fast zeitgleich kam die NRW-CDU ins Ziel zu Schwarz-Grün: Deren Vorstand stimmte am frühen Sonntagabend in Düsseldorf ebenfalls zu - einstimmig.

In der Nacht auf den Samstag hatten CDU und Grüne ihr zwölfseitiges Sondierungspapier veröffentlicht. Das griff zwar etliche grüne Forderungen auf, versprach "mindestens 1000 zusätzliche Windräder" in den nächsten fünf Jahren oder einen rapiden Ausbau der Sonnenenergie. Aber die Umweltorganisation BUND bemängelte prompt, da fehlten an vielen Stellen klare, verbindliche Regelungen: "In nahezu allen Bereichen haben die Grünen wichtige Positionen geräumt. Das ist noch viel Luft nach oben."

Künftig soll es für Radwege so viel Geld geben wie für Landstraßen

In Essen feierten die Grünen vor allem "die kleinen und großen Erfolge, die man der CDU in netten, respektvollen Gesprächen" abgerungen habe. Dazu zählen sie vor allem das Kapitel zur Verkehrspolitik: Beim Straßenbau soll die Sanierung alter Brücken und löchrigen Asphalts klar Vorrang haben vor der Konstruktion neuer Straßen. Und für Radwege soll es künftig mindestens genauso viel Geld geben wie für Landstraßen. Und als eine auch symbolische Trophäe für die Erneuerung des Landes deuten sie, dass das Wahlalter von 18 auf 16 gesenkt wird. Das hatte die CDU bisher stets verweigert.

Neubaur und ihr Verhandlungsteam versprachen in Essen, man wolle noch nachbessern in Koalitionsverhandlungen. Und mehr erreichen als auf den zwölf Seiten. "Natürlich steht da nicht alles drin," sagte sie. "Da fehlen noch Details, selbstverständlich!" Sie ist eine, die in kleinen Schritten denkt - und diese dann durchaus zu verkaufen weiß. Im Sondierungspapier mit der NRW-CDU, so Neubaur, "da steht drin, dass der Kohleausstieg 2030 kommt. Punkt!" Keine Kautelen, keine Hintertürchen - und auch "kein idealerweise", wie es noch im Koalitionsvertrag der Berliner Ampel heiße. Will sagen: Schwarz-Grün in Düsseldorf liege jetzt vorn.

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