Hannover Messe:Wie ein Treffen mit alten Freunden nach den Semesterferien

Hannover Messe: Der portugiesische Premier Antonio Costa und Bundeskanzler Olaf Scholz am Montag beim traditionellen Rundgang auf der Hannover Messe. Portugal ist in diesem Jahr Partnerland.

Der portugiesische Premier Antonio Costa und Bundeskanzler Olaf Scholz am Montag beim traditionellen Rundgang auf der Hannover Messe. Portugal ist in diesem Jahr Partnerland.

(Foto: Axel Heimken/AFP)

Die Hannover Messe sollte in diesem Jahr eigentlich ein Fest werden. Doch so richtig ist beim großen Wiedersehen der Industrie niemandem nach Feiern zumute.

Von Elisabeth Dostert, Hannover

Sieben. Vier. Eins. Die Prognosen für das Produktionswachstum, die der Maschinenbauverband VDMA in den vergangenen Monaten abgegeben hat, klingen wie ein Countdown. 2022, das sollte doch eigentlich ein Boom-Jahr werden. So hat das Bundeskanzler Olaf Scholz am Sonntagabend zur Eröffnung der Hannover Messe gesagt. Die Hoffnung auf ein Boom-Jahr hegten auch viele Unternehmen. Und nun: Es gibt Probleme in den Lieferketten, die Preise für Energie und Rohstoffe steigen, es gibt die neuerlichen Lockdowns in China. Es gibt den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine. Es gibt keine Rede, kein Gespräch auf den Gängen und in den Hallen, wo das nicht Thema ist. "Wir trotzen tapfer den erheblichen Belastungen, denen die Wirtschaft ausgesetzt ist", sagt VDMA Präsident Karl Haeusgen.

Deshalb der Countdown. Mitte Dezember 2001 rechnete der VDMA noch mit einem Produktionswachstum von real sieben Prozent, Mitte März kürzte er auf vier Prozent und am Montag dann auf ein Prozent. Auch der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) schraubt seine Prognosen herunter. Im verarbeitenden Gewerbe rechnet der Industrieverband für 2022 mit einem Wachstum der Produktion im Vergleich zum Vorjahr von knapp zwei Prozent. Die Zunahme falle geringer aus, als die Industrie sich das vor der russischen Invasion vorgestellt habe, sagt BDI-Präsident Siegfried Russwurm in Hannover.

Bei den Exporten rechnet der BDI mit real mit einem Plus von rund 2,5 Prozent. Im Januar lag die Prognose des BDI noch bei vier Prozent. Der ZVEI, der Verband vertritt die Elektro- und Digitalindustrie, bleibt bei seiner Produktionsprognose von knapp vier Prozent für 2022 "unter bestimmten Konditionen". Die Orderbücher sind gut gefüllt. ZVEI-Präsident Gunther Kegel beziffert die Auftragsreichweite auf 5,7 Monate im Schnitt, normal sind sechs Wochen. Wie schnell die Firmen liefern können, hängt auch von den Komponenten ab. "Es gibt Hersteller, die 2022 von Halbleiterhersteller keine Ware bekommen, die sie nicht schon Ende 2021 bestellt haben", so Kegel.

Dabei sollte die Hannover Messe in diesem Jahr doch eigentlich ein Fest werden. 1947 fand sie unter dem Namen Export-Messe zum ersten Mal statt. Sie war stets auch ein Spiegel der Globalisierung: mehr Aussteller aus immer mehr Ländern. 2020 fiel die Hannover Messe dann wegen der Corona-Pandemie aus, abgesehen von einer kleinen digitalen Konferenz. 2021 fand die Investitionsgütermesse komplett virtuell statt. Dieses Jahr gibt findet sie zum ersten Mal wieder in Präsenz statt. "Cool" sei das, sich wieder zu treffen, freut sich BDI-Mann Russwurm. Es sei wie ein Treffen mit alten Freunden nach den Semesterferien.

Hannover Messe: 2013 war Russland Partnerland der Hannover Messe. Beim traditionellen Rundgang nahmen die damalige Bundeskanzlerein Angela Merkel und Wladimir Putin am Messestand von VW in einem Sportwagen Platz. Neben dem Auto knied der damalige VW-Vorstandschef Martin Winterkorn.

2013 war Russland Partnerland der Hannover Messe. Beim traditionellen Rundgang nahmen die damalige Bundeskanzlerein Angela Merkel und Wladimir Putin am Messestand von VW in einem Sportwagen Platz. Neben dem Auto knied der damalige VW-Vorstandschef Martin Winterkorn.

(Foto: Jochen Lübke/dpa)

Nur, wenn man nun im Bild bleiben will, die Semesterferien waren dieses Mal sehr lang und manche alten Freunde sind jetzt keine mehr.

Die Hannover Messe fällt in diesem Jahr deutlich kleiner aus: rund 2500 Aussteller, in normalen Jahren sind es doppelt so viele. Viele Hallen stehen leer. Die drei angemeldeten Aussteller aus Russland wurden ausgeladen. Richtig groß war das Land ohnehin nie in Hannover vertreten. "Russland ist kein wirklich wichtiger Anbieter von Hochtechnologie", sagt ein Pressesprecher der Messe. Nur einmal hatte Russland einen großen Auftritt. Das war 2013. Russland Partnerland der Hannover Messe und natürlich kam Wladimir Putin. Am Messestand von VW warfen sich Aktivistinnen der aus der Ukraine stammende Gruppe Femen dem russischen Präsidenten entgegen. "Fuck Dictator" stand auf ihren nackten Oberkörpern.

Und heute? Russland ist in Hannover mit Ausstellern nicht vertreten, aber vielleicht war das Land noch nie so präsent. "Putin hat sich selbst ins Abseits gestellt und aus dem Konsens der zivilisierten Welt verabschiedet", sagt BDI-Präsident Russwurm bei der Veranstaltung am Sonntag. Prognosen sind unsicher, mal mehr mal weniger. Aber dieses Mal, so klingen die Männer auf dem Podium in Halle 18 auf dem Messegelände, sind sie besonders unsicher. "Eine zentrale Voraussetzung für das Erreichen der Prognose", sagt Russwurm, sei, dass die Lieferkettenprobleme in der zweiten Jahreshälfte merklich abnehmen. Zudem müsse russisches Gas weiterhin Westeuropa erreichen. "Eine Unterbrechung russischer Gasexporte würde das Wachstum in Europa abwürgen und unsere Wirtschaft in die Rezession schicken", sagte Russwurm.

Alle Manager warnen davor, sich von der Globalisierung abzuwenden. Sie sei der Grund dafür, dass die meisten Lieferketten noch funktionierten, sagt VDMA-Mann Haeusgen. Alle Männer auf der Bühne empfehlen aber auch, Abhängigkeiten zu verringern - aus wirtschaftlichen und politischen Gründen. "Auch Mittelständler werden sich überlegen müssen, ob sie ein weiteres Werk in China bauen oder besser in einem ostasiatischen Land oder sogar darüber nachdenken, ein Reshoring nach Europa zu machen", sagt ZVEI-Präsident Kegel.

Die Politik werde ihren Druck auf China wenn es um das Thema Menschenrechte geht erhöhen. Alle seien gut beraten, sich ein wenig unabhängiger zu machen, rät Kegel: "Wir müssen lernen mit diesen Autokratien eine Wirtschaftsbeziehung aufzubauen, um die sehr einseitigen Abhängigkeiten zu beseitigen." In Hannover ist in diesen Tagen öfters das Wort Friend-Shoring zu hören. Auch Karl Haeusgen nimmt es gerne auf, wenn er darüber redet, doch mehr Geschäfte mit Gleichgesinnten zu machen.

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