Antisemitismus:BGH verhandelt über "Judensau"-Relief

Antisemitismus: Antijüdisches Sandsteinrelief aus dem 13. Jahrhundert an der Stadtkirche Wittenberg.

Antijüdisches Sandsteinrelief aus dem 13. Jahrhundert an der Stadtkirche Wittenberg.

(Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Ein jüdischer Kläger hält die Darstellung an der Wittenberger Stadtkirche für beleidigend. Ähnliche Skulpturen gibt es an Dutzenden weiteren deutschen Gotteshäusern.

Von Ronen Steinke, Berlin

Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat den Fall einer als "Judensau" bezeichneten Schmähskulptur an der Stadtkirche Wittenberg in Sachsen-Anhalt verhandelt. Das Gericht muss klären, ob die aus Sandstein geformte Skulptur entfernt werden muss. Ähnliche Skulpturen existieren nach Kenntnis des Zentralrats der Juden an etwa fünfzig historischen Kirchen in Deutschland. Der sechste Zivilsenat wolle die Frage gründlich prüfen, sagte der Vorsitzende Richter Stephan Seiters am Montag lediglich. Einen Zeitpunkt für die bald erwartete Verkündung des Urteils nannte er noch nicht.

Die Wittenberger Schmähskulptur "stellt ein Schwein dar, an dessen Zitzen Menschenkinder saugen, die durch ihre Spitzhüte als Juden identifiziert werden sollen", so hat es zuvor das Landgericht Dessau festgehalten. "Eine ebenfalls durch seinen Hut als Rabbiner zu erkennende Figur hebt mit der Hand den Schwanz der Sau und blickt ihr in den After." Es ist eine Darstellung, die schon zu Lebzeiten des Kirchenreformators Martin Luther dort angebracht war, der auch in dieser Kirche predigte. 1570 wurde ergänzend ein Schriftzug in den Stein gemeißelt, der bis heute gut lesbar ist: "Schem Ha Mphoras". Das ist Hebräisch, bedeutet "der besondere Name" und ist eine der vielen im Judentum gängigen Umschreibungen für Gott - und zugleich der Titel eines Buchs, das Luther 1543 schrieb und in dem er Juden mit dem Teufel gleichsetzte und sie in obszöner Sprache diffamierte.

Der heutige jüdische Kläger, der 79 Jahre alte Aktivist Michael Düllmann, argumentiert: Die Wittenberger "Judensau" sei beleidigend, er habe daher einen Beseitigungsanspruch gegen die Kirche nach Paragraf 1004 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Die ersten zwei Gerichtsinstanzen - das Landgericht in Dessau und das Oberlandesgericht in Naumburg - hatten sich davon nicht überzeugen lassen. Sie bekräftigten zwar, dass die "Judensau"-Darstellung beleidigend sei. Aber die heutige Wittenberger Stadtkirche mache sich diese Aussage erkennbar nicht zu eigen. Ihr fehle es, da das Relief schon so alt sei, am "Erklärungswillen".

Distanzierende Inschrift

Schon 1988 hatte die Kirche einige Meter unter der alten "Judensau"-Plastik eine Bodenplatte eingelassen, die Inschrift lautet: "Gottes eigentlicher Name, der geschmähte Schem Ha Mphoras, den die Juden vor den Christen fast unsagbar heilig hielten, starb in 6 Millionen Juden unter einem Kreuzeszeichen". Darin sahen nun die ersten beiden Gerichtsinstanzen eine hinreichende Distanzierung. Bei "isolierter Betrachtung" sei die Schmähskulptur zwar eine strafbare Beleidigung, urteilte das Landgericht 2019 und bestätigte das Oberlandesgericht Februar 2020. Aber dank dieser Inschrift "Gottes eigentlicher Name ..." liege keine "Kundgabe der eigenen Missachtung" der heutigen Kirche gegen Juden mehr vor.

Der Antisemitismusbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Christian Staffa, erklärte: "Die Wittenberger ,Kirchensau' stellt fraglos eine Schmähung dar und kann so nicht bleiben. Doch die lange Geschichte christlichen Antijudaismus und Antisemitismus, die sich in diesem Relief auf obszöne Weise verdichtet, ist nicht auf juristischem Wege zu klären." Vielmehr gehe es darum, die kirchlichen Zeugnisse antijüdischer Haltung und Praxis als Anlass zur Umkehr von aller Judenfeindschaft zu nehmen. "Sich der antijüdischen Geschichte zu stellen und diesen Prozess auch sichtbar zu machen, ist ein langer Weg, der mittlerweile begonnen, aber noch lange nicht zu Ende ist."

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