French Open:Zwei junge Typen preschen auf die Bühne

French Open: Der Däne Holger Rune trifft in Paris auf den Norweger Casper Ruud - es wird ein Treffen der Jungs aus dem Norden.

Der Däne Holger Rune trifft in Paris auf den Norweger Casper Ruud - es wird ein Treffen der Jungs aus dem Norden.

(Foto: Clive Brunskill/Getty Images)

Das gab's noch nie in Roland Garros: Erstmals erreichen in Holger Rune und Casper Ruud ein Däne und ein Norweger das Viertelfinale - ihr Erfolg steht für eine neue Entwicklung im Männer-Tennis.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Natürlich wurde er nach seinem Vorbild befragt. Wenn man mit 19 Jahren in die Weltspitze rauscht und bei einem Grand-Slam-Turnier den Vorjahresfinalisten überzeugend hinausbugsiert, will die Tenniswelt wissen: Wer ist dieser Mann?

Dass Holger Rune athletisch ist wie ein Fußballer, mit Waden dick wie die von Hans-Peter Briegel, dass er variantenreich agiert, mal draufhaut, mal Stopps hinterm Netz platziert mit einer Liebe, als solle der Ball es auf dieser Reise so gut wie möglich haben, das alles hatten ja an diesem Montagnachmittag die fast 15 000 Zuschauer im Court Philippe Chatrier bestaunt. Am Ende trollte sich der Grieche Stefanos Tsitsipas, Rune stand als Sieger am Mikrofon.

Sein dänisches Englisch ist wirklich zu putzig. In der Pressekonferenz dann, zu der sehr viele internationale Reporter erschienen (eine Seltenheit bei Skandinaviern im Tennis), verriet also Holger Rune, wer das Idol von diesem Holger Rune ist. Seine Erläuterung war so fundiert, dass sich unweigerlich der Eindruck aufdrängte: Das ist ein besonderer 19-Jähriger. So reflektiert, wie er spricht.

Roger Federer, um die Frage aufzulösen, bewundert er am meisten, aber nicht einfach, weil es eh nichts Schlüssigeres gibt, als Federer zu bewundern. Er begründete es sofort tiefschürfend. "Wie er von der Grundlinie ans Netz umschaltet, so etwas gibt es kaum", analysierte er die Tenniskunst des Schweizers, "auf diesen Bühnen siehst du meistens Spieler, die hart von hinten schlagen, so hart sie können."

Rune bewundert den großen Roger Federer - und liefert eine genaue Erklärung

Federer aber streue ein breites Schlag-Repertoire ein, variiere, verbinde den hinteren Platz mit dem vorderen Platz seiner Hälfte, schaffe perfekte Übergänge. Das alles inspiriere ihn. "Was war die zweite Frage?", sagte dann plötzlich Rune zum Reporter. Er war derart in seinen Vortrag abgetaucht, dass er die zweite Frage vergessen hatte.

Dieser Tage ist ziemlich viel Aufregung in der gerne um sich selbst kreisenden Tennisszene ausgebrochen, was hauptsächlich an einem anderen 19-Jährigen liegt. Der Spanier Carlos Alcaraz hat vier Turniere in diesem Jahr gewonnen, die Hymnen auf ihn reißen nicht ab. Im Schatten dieser Anteilnahme aber tut sich auch eine Menge. Es ist ganz gut, dass die ATP-Tour der Männer nicht mehr ihre "Next-Gen"-Kampagne groß fährt, denn inzwischen ist die Profiserie bei der über- und überübernächsten Generation an Talenten angekommen.

Zur ersten Kategorie zählt auch der Norweger Casper Ruud, der Kennern länger schon vertraut ist. Der 23-Jährige aus Oslo hatte sich über viele Erfolge bei kleineren ATP-Turnieren und zuletzt bei Events der Masters-Serie in die Top Ten gearbeitet. Nun aber wird Ruud, der das Ballgefühl von Vater Christian vererbt bekam, der in der Weltrangliste einst auf Platz 39 stand, auf der wichtigsten Bühne vorstellig. Nach dem 6:2, 6:3, 3:6, 6:3-Erfolg gegen den starken Polen Hubert Hurkacz ist Ruud erstmals in einem Grand-Slam-Viertelfinale angelangt, und da er auf Rune trifft, ist klar: Ein Skandinavier wird das Halbfinale erreichen.

French Open: Casper Ruud nach seinem Sieg gegen Hubert Hurkacz - auch der Norweger hat große Ambitionen in Paris.

Casper Ruud nach seinem Sieg gegen Hubert Hurkacz - auch der Norweger hat große Ambitionen in Paris.

(Foto: Thomas Samson/AFP)

"Das ist natürlich ein schönes Gefühl", sagte Ruud, ein hervorragender Golfer, der schon mit Rafael Nadal auf Mallorca auf die Runde ging, "aber ich bin noch im Turniermodus und denke nicht an zu viele andere Dinge, nicht über die Geschichte und diesen Meilenstein". In Roland Garros kam noch nie ein Norweger so weit wie er. Auch ein Däne nicht. Ruuds Beschwichtigung war übrigens kein bisschen langweilig, sondern transportierte anschaulich, wie diese jungen Männer ticken.

Sie ordnen dem Erfolg alles unter. In einem Interview hatte Ruud der SZ erzählt, dass er sich immer Statistiken seiner Matches geben lasse. Er suche nach Schwachstellen und lote für sich aus: Die engen Matchsituationen müsse er effizienter meistern. Rune sagte einmal, er wolle "jeden Tag ein Prozent besser werden". Man kann das für eine Floskel halten. Nur: Er wird jeden Tag ein Prozent besser.

Druck halten sie stand: Beide trafen auf vom Publikum angefeuerte Franzosen - und gewannen

Vor einem Jahr befand sich Rune noch außerhalb der besten 300 Tennisspieler in der Weltrangliste. Schon jetzt steigt er mindestens auf Platz 28. Seine Mutter Aneke, die die bedeutendste Rolle für ihn einnimmt und ihm auch als Psychologin hilft, erzählte der Sportzeitung L'Équipe, wie Holger als Siebenjähriger Zweiter wurde und sich weigerte, den Pokal hochzuheben. So sauer war er. Am Montag saß Rune vor der Weltpresse und sagte: Klar wolle er die Nummer eins werden, "ich verberge das nicht". Es klang so selbstverständlich, als hätte er gesagt, Paris ist eine tolle Stadt. Das sind seine Maßstäbe.

Dass Rune kein Träumer ist, sondern ein knallharter Arbeiter, belegen zwei Auftritte im April. Da spielte er das Challenger-Finale in Sanremo, das er selbstredend gewann, wenn auch in drei Sätzen. Er setzte sich ins Auto, Trainer Lars Christensen fuhr ihn nach Monte-Carlo, wo Rune am selben Tag sein erstes Qualifikationsmatch für das Masters-Turnier erfolgreich bestritt.

"Der Tag davor war schon hart, weil ich darüber nachdachte, wie ich alles organisiere", erzählte Rune jüngst amüsiert in München, als man ihn noch entspannt alleine als Reporter für sich haben konnte. Beim MTTC Iphitos, auch das drückt die Geschwindigkeit seiner Entwicklung aus, hatte er Zverev, die Nummer drei der Welt, besiegt und dann gleich das ganze Turnier; seine erste ATP-Trophäe hob er selbstverständlich hoch. Das Auto, das er dazu erhielt, kann er nur nicht fahren. Er hat keinen Führerschein, erzählte er lachend.

Wie robust Rune und Ruud sind und Druck standhalten, demonstrierten sie fast im Gleichschritt bei den French Open. Beide standen Franzosen gegenüber, die frenetisch angefeuert wurden. Rune blieb cool gegen den Wusler Hugo Gaston und zog konsequent seinen schlauen Punkte-Aufbau durch. Ruud bewältigte die schwierige Aufgabe, den beliebten Jo-Wilfried Tsonga in den Ruhestand zu verabschieden.

Am Ende huldigten die Zuschauer sogar Ruud, der eine wunderbare Rede auf Tsonga hielt. Auch Rune kommt an, das hat Tsitsipas auf dem Platz gehört. "Jeder hat über die obere Hälfte der Auslosung mit Nadal, Djokovic und Alcaraz geredet", sagte Ruud, um zu betonen: "Es gibt aber viele gute Spieler in diesem Turnier." Er selbst und Rune sind der beste Beleg.

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