Umstrittene Straßennamen:"Das ist für mich die falsche Erinnerungskultur"

Umstrittene Straßennamen: Die Deikestraße in Trudering ist eine von vielen in der Stadt, deren Name umstritten ist. Diese ist benannt nach Walter Deike, der Mitglied der antisemitischen Thule-Gesellschaft war.

Die Deikestraße in Trudering ist eine von vielen in der Stadt, deren Name umstritten ist. Diese ist benannt nach Walter Deike, der Mitglied der antisemitischen Thule-Gesellschaft war.

(Foto: Catherina Hess)

Straßen, die an Antisemiten oder Völkermord-Beteiligte erinnern? In München gibt es nicht wenige Wege, über deren Namensgeber zumindest diskutiert wird.

Von Ilona Gerdom

"Das ist fast wie in der Schule", sagt Andreas Heusler. Der Historiker vom Institut für Stadtgeschichte und Erinnerungskultur sitzt vorne wie an einem Pult, vor ihm, an Tischen wie Schulkinder, sitzen seine Zuhörerinnen und Zuhörer. Sie sind gekommen, weil Heusler einen "kleinen Input" zu historisch belasteten Straßennamen in München gibt. 45 davon haben "erhöhten Diskussionsbedarf", sieben allein in Trudering.

Heusler startet mit einer grundsätzlichen Frage: Wozu dienen Straßennamen? Der Orientierung, erläutert er. Zudem "sind sie symbolische Setzungen in Stadtgesellschaften". Heißt: Benennt man eine Straße nach einem Menschen, ehrt man ihn und seine Taten. Eine solche Widmung sei "ein Bekenntnis zu Werten, die mit dem Namen verbunden sind".

Damit ist man bei einer Debatte, die in vielen deutschen Städten geführt wird: Wie soll mit Straßen umgegangen werden, die ihren Namen zum Beispiel im Nationalsozialismus erhalten haben? Wie mit denen, die Menschen würdigen, die an Kolonialverbrechen beteiligt waren? Um sich den Fragen zu stellen, überprüfte das Stadtarchiv im Auftrag des Stadtrats die Münchner Wegebezeichnungen. Das Ergebnis: 327 Namen sollten kontextualisiert werden, zum Beispiel mit kleinen Erklärtafeln am Straßenschild. 45 weitere werden in einem Gremium, zu dem Vertreterinnen und Vertreter des jüdischen Museums, des Stadtarchivs und des Stadtmuseums gehören, diskutiert und bewertet.

In Trudering befasst sich der Arbeitskreis zum Beispiel mit Teuchert- und Deikestraße. Benannt wurden sie im Nationalsozialismus nach Personen, die 1919 während der Räterepublik erschossen wurden. Bei den Ermordeten handelte es sich um Mitglieder der rechtsextremen-antisemitischen Thule-Gesellschaft aus der, so Heusler, später die NSDAP hervorging. Andere zu diskutierende Orte sind Von-Erckert-Straße und -Platz. Nur zwei von vielen, die Akteure der Kolonialgeschichte ehren - in diesem Fall einen Offizier, der am Völkermord an Herero und Nama beteiligt war.

"Letztendlich entscheidet die Politik."

"Hochproblematisch" nennt Heusler die Benennungen, betont aber: "Ich bin nicht derjenige, der die Verantwortung trägt, was mit den Namen passiert. Letztendlich entscheidet die Politik." Die Empfehlungen des Gremiums sollen dem Ältestenrat wohl Ende des Jahres vorgelegt werden.

Nach kurzem Vortrag lädt der Historiker zur Gruppendiskussion. Der ehemalige CSU-Stadtrat Hans Podiuk steht einer Umbenennung ablehnend gegenüber und verweist auf zahlreiche andere Namen, die man einer Prüfung unterziehen müsste. BA-Mitglied Georg Kronawitter (CSU) sieht in der Benennung der Straßen eine "historische Tatsache". Mit einer Neubezeichnung beseitige man den "unrühmlichen Teil" der Geschichte. Ein Erinnern sei dann nicht mehr möglich.

"Wir wollen die Erinnerung nicht auslöschen - aber an wen?", fragt dagegen Susan Beer (SPD). Ihre Kritik: "Wir erinnern uns nicht an die Opfer." Für sie steht fest: "Ein Schild für den Täter ohne Erinnerung an die Opfer - dann ist das für mich die falsche Erinnerungskultur."

Ähnlich sieht es Mduduzi Khumalo, der sich in der Initiative "Plus X Blackdefinitionmatters" unter anderem für die Sichtbarkeit der Perspektiven schwarzer Menschen einsetzt. Er formuliert einen zentralen, oft außer Acht gelassenen Aspekt: Für viele Menschen seien Straßennamen, die beispielsweise nach Kolonialverbrechern benannt sind, eine "Konfrontation im Straßenbild mit extremer Gewalt". Das "Relativieren" solcher Namen könne "weitere Gewalt für Betroffene" produzieren. Er plädiert dafür, "die Definition der Betroffenen auch in den Mittelpunkt zu stellen und zu sehen".

Nach gut zwei Stunden entlässt Heusler die Klasse. Hausaufgabe: Sich in Geduld üben und die Empfehlungen der Kommission abwarten.

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