"Finalissima" gegen Italien:Die Argentinier fühlen sich wie die Weltmeister

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Lautaro Martinez (re.) bejubelt den ersten Treffer seiner Mannschaft mit Messi (2.v.r) und Rodrigo De Paul (l.). (Foto: Zac Goodwin/dpa)

Durch ein 3:0 gegen Italien holt die seit 32 Spielen ungeschlagene Nationalmannschaft Argentiniens den interkontinentalen "Champions Cup" - und macht sich begründete Hoffnungen auf den WM-Triumph.

Von Javier Cáceres

Den Argentiniern wird ein sagenhaftes Selbstbewusstsein attestiert; man erkennt das unter anderem an einer Reihe von Witzen, die zwar einerseits vorurteilsbeladen sind, andererseits einen derart wahren Kern haben, dass sie den denkbar höchsten Segen bekommen haben. Sogar Papst Franziskus, ein Argentinier, hat den einen oder anderen davon zum Besten gegeben, unter anderem diesen: "Wissen Sie, wie sich ein Argentinier umbringt?", fragte der Pontifex am Rande einer Mexiko-Reise, und löste das Rätsel auf: "Er steigt auf sein Ego und stürzt sich hinab."

Was das mit dem Fußball zu tun hat? Nun: Die Argentinier fühlen sich gerade wieder wie die Weltmeister, wegen eines prestigeträchtigen Siegs.

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Lionel Messi und seine Mannschaft gewinnen die "Finalissima" gegen Italien - das Duell zwischen Europa- und Südamerikameister im Londoner Wembley-Stadion.

Am Mittwoch spielte Argentiniens Nationalelf in einer Londoner Kathedrale namens Wembley - und holte als aktueller Copa-América-Sieger durch ein beeindruckendes 3:0 gegen den Europameister Italien den interkontinentalen "Champions Cup". Ein solches Duell hatte es zuvor zwei Mal in der Geschichte gegeben. 1985 besiegte Frankreich in Paris die Uruguayer mit 2:0; 1993 setzte sich Argentinien in Mar del Plata gegen Dänemark mit 5:4 im Elfmeterschießen durch. Das war der letzte Pokal, den der im November 2020 verstorbene Diego Maradona als Kapitän Argentiniens in Empfang nahm, und Maradona war am Mittwoch natürlich auch zugegen, gewissermaßen jedenfalls.

Natürlich geht es bei den Argentiniern immer wieder auch um Diego Maradona

Als der Pokal vor dem Spiel auf den Rasen getragen wurde, war auch Benjamín Agüero im Schlepptau der Zeremonienmeister - der Sohn von Ex-Profi Sergio Agüero und Enkel von: Maradona. Die Fangesänge wurden aktualisiert; wo es früher hieß, Maradona sei größer als Pelé, hieß es nun, "más grande que Isabel", als Queen Elizabeth also. Und dann hing da natürlich auch ein Transparent, das sowohl an Maradona erinnerte als auch in die Gegenwart wies: "Mit Gott im Himmel, mit Gott auf Erden."

Wie Gott auf Erden kommt den Argentiniern seit geraumer Zeit Lionel Messi vor, der dieser Tage von den fast schon paranormalen Umständen seiner Hommage beim Tode Maradonas berichtete. Zur Erinnerung: Wenige Tage nach dem Ableben Maradonas hatte Messi ein Trikot von Newell's Old Boys unter das Hemd seines damaligen Klubs FC Barcelona gezogen; Messi war bei Newell's groß geworden, Maradona zum Ende seiner Karriere zum Klub aus Rosario gestoßen. Messi erzählte, das Trikot sei ihm nachgerade erschienen. Als er sich fragte, wie er Maradona würdigen sollte, habe eine Tür bei ihm zu Hause, die immer verschlossen sei, auf rätselhafte Weise offen gestanden. Und als er durch den Spalt schaute, sei sein Blick auf das rotschwarze Trikot von Newell's gefallen, von dem er nicht einmal mehr wusste, dass er es hatte.

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Seine Leistung am Mittwoch in Wembley war eine neuerliche Hommage an Maradona: Denn Messi spielte, ja, wie ein Engel.

Allein wie er das 1:0 durch Lautaro Martínez vorbereitete, indem er sich um Italien-Verteidiger Giovanni Di Lorenzo herumschlängelte, Richtung Grundlinie dribbelte und dann den besser postierten Lautaro Martínez im Fünfmeterraum sah, war ein Spektakel für sich. Später vervollständigten Ángel Di María (45.) und Paulo Dybala (90.+4) das 3:0. "Argentinien hat der Welt eine Botschaft geschickt", kommentierte die Zeitung La Nación in Buenos Aires.

Das Urbi et orbi der Argentinier kleidete Kapitän Messi in folgende Worte: "Wir können es mit jedem aufnehmen." In der Tat: Unter dem 2018 behelfsmäßig verpflichteten Trainer Lionel Scaloni, 44, ist die Mannschaft dermaßen gereift, dass sie nicht nur die Copa América 2021 in Brasilien (!) abgeräumt, sondern auch 32 Spiele ohne Niederlage aneinandergereiht hat.

Schon in der Qualifikationsrunde für die WM in Katar war Argentinien eine Offenbarung gewesen, Unsicherheit resultierte allein daraus, dass Messi & Co. seit Jahren keine Duelle mit Europäern ausgetragen hatten. Nun wurde der Europameister vom Platz gefegt - kein Jahr nach dem Sieg Italiens im EM-Finale von Wembley gegen England, und zudem beim Abschied von Altmeister Giorgio Chiellini. Nach 117 Länderspielen bestritt er seine letzte Partie für die Squadra Azzurra. Das zuvor letzte Spiel gegen Europäer war Argentiniens 2:2 im Freundschaftsspiel in Dortmund gegen Deutschland im Oktober 2019 gewesen.

"Wir müssen jetzt mit dem Kopf auf dem Boden bleiben ... äh, Verzeihung, mit den Beinen", sagte Di María und lachte, als hätte er einen guten Argentinier-Witz gehört. Zum Beispiel jenen, den der Papst persönlich Rafael Correa erzählte, dem früheren Präsidenten Ecuadors: "Man war überrascht, dass ich den Namen Franziskus wählte. Sie hatten mit Jesus II. gerechnet." So oder so: Wer bei der WM Engel, Götter und den Papst in der Tasche wähnt, mit dem ist wohl zu rechnen. Amen.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir fälschlicherweise geschrieben, dass Italien das Endspiel der Fußball-EM 2021 gegen Spanien gewonnen hätte. Richtig ist, dass England im Finale stand und den Italienern im Elfmeterschießen unterlegen war; Spanien verlor im ersten Halbfinale gegen Italien.

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