Kommissionspräsidentin in Warschau:Der Druck ist weg

Kommissionspräsidentin in Warschau: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat am Donnerstag Polens Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki in Warschau getroffen.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat am Donnerstag Polens Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki in Warschau getroffen.

(Foto: Radek Pietruszka/dpa)

In Brüssel wird Kritik an Ursula von der Leyen laut: Sie habe zu schnell den Weg für Milliardenhilfen an Polen frei gemacht.

Von Viktoria Großmann und Josef Kelnberger, Brüssel/München

Auf ihrem Weg nach Warschau machte Ursula von der Leyen am Donnerstag halt in Bratislava. Per aspera ad astra lautete das Motto der Rede, die sie auf einem Kongress für Sicherheit und internationale Beziehungen hielt. Sie sprach über den Wiederaufbau der Ukraine, aber auf rauen Pfaden ist die Präsidentin der EU-Kommission gerade auch ganz persönlich unterwegs. Und ob sie zu den Sternen gelangt, muss sich erweisen.

Es ist der Umgang mit den beiden Problemstaaten der EU, Ungarn und Polen, der Ursula von der Leyen in Bedrängnis bringt. Allzu eilig, finden viele in Brüssel, habe sie das Öl-Embargo gegen Russland auf den Weg gebracht, was Viktor Orbán nun dazu nutzt, die ganze EU zu blockieren. Allzu eilig habe sie auch den Weg geöffnet für Milliardenhilfen an Polen. Der Corona-Wiederaufbauplan ist seit Mittwochabend im Grundsatz genehmigt, und damit hat die Kommission ihr stärkstes Faustpfand im Streit um die Unabhängigkeit der Justiz in Polen aus der Hand gegeben.

Heftige Kritik kam, wie erwartet, aus dem Europaparlament. Auf erheblichen Widerstand traf von der Leyen aber auch in ihrem eigenen Kollegium. Zwei stellvertretende Vorsitzende stellten sich gegen den Vorschlag der Chefin, der Niederländer Frans Timmermans und die Dänin Margrethe Vestager. Weitere Kommissare äußerten Bedenken, die Freigabe des Plans könne als Signal empfunden werden, Polen habe mit dem Gesetz zur Abschaffung der Disziplinarkammer, die Richterinnen und Richter aus politischen Motiven maßregelt, seinen Rechtsstaat bereits in Ordnung gebracht.

Die Reaktionen aus Polen bestätigen das. Die Zustimmung der EU sei "Polens Erfolg", twittert Präsidentensprecher Jakub Kumoch. Präsident Andrzej Duda habe diesen "unnötigen Streit" beendet. Der polnischen Nachrichtenagentur PAP sagte er, Dudas Gesetzentwurf sei ausreichend, um EU-Geld freizugeben.

Von der Leyen wollte den Entwurf auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Präsident Andrzej Duda und Ministerpräsident Mateusz Morawiecki ausdrücklich nicht kommentieren. "Das Gesetz muss verabschiedet sein und es muss unsere Vereinbarung erfüllen", sagte sie in Warschau.

Die Kommission hat Auflagen formuliert, damit das Geld fließen kann

Bei aller Feierlichkeit des Auftritts mit Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sollte nicht die Botschaft untergehen: Polen muss erst strenge Auflagen erfüllen, ehe das Geld - 24 Milliarden Euro an Zuschüssen und 11,5 Milliarden an Krediten - fließen kann. Duda zeigte sich zufrieden über die "europäische Einigung", Morawiecki verwies auf die Souveränität Polens und kritisierte die Opposition, die versuche, "Brüsseler Beamte davon zu überzeugen, dass in Polen die Rechtsstaatlichkeit gebrochen werde".

In einem 238 Seiten umfassenden Papier hat die Kommission ihre Bedingungen für den polnischen Corona-Wiederaufbauplan festgehalten. Auf acht Seiten werden darin die "Meilensteine" für eine Reform des Justizwesens dargelegt. Alle Richterinnen und Richter, die von der Disziplinarkammer gemaßregelt wurden, sollen Anspruch darauf haben, dass ihre Fälle unverzüglich von einem anderen, unabhängigen Gericht überprüft werden. Disziplinarverfahren dürfen sich nicht mehr auf die Rechtsprechung und die politische Einstellung beziehen. Die Einhaltung von EU-Standards für eine unabhängige Justiz wird gefordert - eine Selbstverständlichkeit, die in Polen verloren gegangen ist.

Ein Prüfgremium der EU soll überwachen, ob die Meilensteine erfüllt werden. Kenner des polnischen Justizsystems bezweifeln, dass sich damit der Schaden noch beheben lässt, den die rechtspopulistische Regierung in all den Jahren angerichtet hat. Die polnische Richterin Dorota Zabłudowska findet die Meilensteine grundsätzlich nicht ausreichend, "um die Unabhängigkeit der Justiz in Polen und auch in Europa zu schützen".

Letztlich hat die Entscheidung der Kommission auch eine realpolitische Dimension. Die polnische Regierung hat sich in der Ukraine-Krise als ein Motor der europäischen Politik erwiesen, ganz anders als Viktor Orbán. Der steht nun als einziger Paria der EU da, isoliert durch seine Haltung gegenüber Putin, ohne Aussicht auf die Corona-Fördergelder. Andererseits hat Morawiecki zuletzt durchaus Orbán-Methoden angewandt, zum Beispiel im Ringen um die Einführung einer globalen Mindeststeuer für internationale Konzerne, ein großes Anliegen der Europäischen Union. Ohne ersichtlichen Grund verhindert die polnische Regierung eine Einigung auf EU-Ebene. Die Blockade dürfte nun ein Ende haben.

Ein Blick auf die Inhalte des Wiederaufbaufonds verdeutlicht, warum die Milliarden für Polen auch im Sinne der EU sind. Fast die Hälfte der Fördergelder bezieht sich auf Projekte, die dem Klimaschutz dienen. Es geht um Windenergie, emissionsarme Fahrzeuge, weniger klimaschädliche Heizungen. Wenn sich die sechstgrößte Volkswirtschaft der EU nicht modernisiert, wird die Europäische Union ihre Klimaziele schwerlich erreichen.

Doch wie soll das Geld fließen, wenn sich die PiS nicht bewegt? Auch aus Sicht der Juristin Eliza Rutynowska von der Uni Warschau verstößt die Partei gegen alles, was die Kommission erwartet. Änderungen am Disziplinarkammer-Gesetz lehne die Partei ab: "Sie wollen explizit die Nicht-Richter der Disziplinarkammer behalten."

Auch der Anwalt Michał Wawrykiewicz von der Initiative "Freie Richter" zweifelt an der Umsetzung der Meilensteine: "Die polnische Regierung wird sie auf ihre Weise interpretieren, ganz anders als der EuGH und die Kommission", schreibt er. "Der Konflikt wird weitergehen."

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