Performance "Trance" in Hamburg:Polonaise in den Himmel

Performance "Trance" in Hamburg: Neun Stunden dauerte die Performance, die Stimmung variierte von schläfrig-gechillt bis aufgepeitscht-heiter.

Neun Stunden dauerte die Performance, die Stimmung variierte von schläfrig-gechillt bis aufgepeitscht-heiter.

(Foto: Peiyu Shen)

Die Performance "Trance" auf Kampnagel in Hamburg verspricht Ekstase, ist aber mehr kunterbuntes Sinn- und Klang-Sammelsurium.

Von Till Briegleb

Wenn eine Performance schon "Trance" heißt, weiß man direkt, womit man es zu tun hat: Hier werden gleich irgendwelche spirituellen Behauptungen Form finden. Leitet sich der Begriff "Trance" doch von der toten Sprache Latein her und bedeutet "Hinüberschreiten". In der neunstündigen Performance eines internationalen Kollektivs unter der Regie des chinesischen Inszenators Tianzhuo Chen, die jetzt auf Kampnagel in Hamburg uraufgeführt wurde, lässt sich gut belegen, was sich immer häufiger im experimentellen Theater beobachten lässt: Wenn es bunt, laut und lang wird in den performativen Künsten der Gegenwart, dann sind auch Privatmythen selten weit. Und: Die Esoterik ist die Weltanschauung der Tattoo- und Piercing- Generation, die sie wahlweise mit Computeranimationen, Musik oder selbsterfundenen Riten ausdrückt.

Wenn die Trance auch im Verlauf des Abends vielleicht nicht immer in der Form auftrat, wie der Erlösungslaie sich das vorstellt, so waren die einleitenden eineinhalb Stunden dieser Performance doch so extrem schläfrig, dass die erste von drei großen Hallen der alten Waffenfabrik, in denen der Ritus stattfand, bald komplett leergechillt war. Uniformiert in Sportkleidung lümmelte eine lose verteilte Gruppe von Akteuren unter einem aufgeblasenen Riesenapfel mit lustigem Wurm und im tiefen Bühnennebel auf Boxentürmen und Plattformen herum. Manche bewegten sich langsam durch den Raum, als hätten sie Gelenkschmerzen, andere zuckten mit Gliedern wie Menschen im Zug beim Halbschlaf, während ein Gitarrist in einem Kran, ein Zitherspieler sowie ein Mann mit einer Knochenflöte repetitive Soundcluster erzeugten, die an die meditativen Werke von Robert Fripp erinnerten.

Das war natürlich ein bisschen langweilig für die Dauer eines Fußballspiels, weswegen schnell die meisten Besucher vor dem geöffneten Stahltor im Kampnagel-Garten standen und hochpreisiges Dosenbier einer dänischen Brauerei verköstigten. Und vermutlich ihre Kenntnis japanischer Gemälde aus dem 14. Jahrhundert diskutierten, welche die neun Phasen des Todes gemäß den Mahayana-Sutras darstellen. Darum ging es nämlich in dieser Eingangsmeditation, wie dem Programmzettel zu entnehmen war. Und auch im weiteren Verlauf des Abends wurde zahlreiches Wissen aus dem Angebot esoterischer Buchhandlungen und geisteswissenschaftlicher Seminare als Referenz bemüht, und das war nicht nur deswegen völlig unverständlich, weil das meiste davon in Indonesisch ohne Untertitel vorgetragen wurde.

Ekstase? Eher ein Long Concert unter einem aufgeblasenen Frosch

Statt Susan Sontag und Antonin Artaud einen buddhistischen "Schlüsseltext" namens Delog Dawa Drolma und William Blakes "Songs of Innocence and Experience" vorgeführt zu bekommen, wie versprochen, steigerten sich die nächsten viereinhalb Stunden unter einem aufgeblasenen Frosch vielmehr zum Long Concert. Von etwas albernen Trippeltänzen im Kreis auf einem runden Rasenstück mit Balkonblumen und Teich hin zu hämmernden Clubsounds mit einem Einpeitscher, der die Besucher in eine Ekstase führte, dass sie auf seinen Befehl tanzten, knieten und mit den Händen wackelten, verlief der weitere Abend als Formung einer Sekte, die das Inferno begrüßt.

Computeranimationen von kunterbunten Aliens mit abstehenden Ohren beim Spaziergang auf einem Wüstenplanet, Videos von hungrigen Geiern und alte Filme von Völkerkundlern über schamanistische Rituale begleiteten die zahlreichen skurrilen bis wilden Solotänze aus der Compagnie zu hypnotisch monotoner Musik, die ihre Wurzeln bei The Prodigy, Industrial und Doom Metal hat. Und mit der Einbeziehung des Publikums zu späterer Stunde entstand schließlich eine allseits freudige Atmosphäre der Heilserwartung, wo es hier doch eigentlich um den esoterischen Tod gehen sollte.

In Roland-Emmerich-Filmen öffnet sich in solchen Momenten euphorischer Begrüßung des Unbekannten die Unterseite einer fliegenden Untertasse, und ein blauer Energiestrahl tötet alle. Auf Kampnagel dagegen folgte auf eine hochenergetische Sequenz mit japanischem Punk und dem John-Lydon-Gesang eines zierlichen Mädchens mit Ziehharmonika eine Art Polonaise in den Club des Kulturzentrums, wo in ungezwungener Form weiter getanzt, geschrien und am Himmelstor gehämmert wurde. Da der Abend koproduziert ist von der Komischen Oper in Berlin (denn pfiffige Marketingwesen verkaufen Tianzhou Chens Arbeiten als "die neue Oper"), kann diese unterhaltsame Hexen-Disco moderner Glaubens-Alchemie bald auch dort die Körper schütteln, wo die Tattoo- und Piercing-Generation ihre größte Gemeinde hat.

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