Handball-Bundesliga:Magdeburg huldigt einem Mann

Handball-Bundesliga: Sein Vater Ingolf errang in den Siebzigern und Achtzigern mit Magdeburg sieben nationale Trophäen, nun feiert Bennet Wiegert (mit erhobenen Armen) inmitten der Spieler seine zweite deutsche Meisterschaft.

Sein Vater Ingolf errang in den Siebzigern und Achtzigern mit Magdeburg sieben nationale Trophäen, nun feiert Bennet Wiegert (mit erhobenen Armen) inmitten der Spieler seine zweite deutsche Meisterschaft.

(Foto: Michael Taeger/Imago)

Vor 21 Jahren gewann Bennet Wiegert mit dem SC Magdeburg die deutsche Meisterschaft als Spieler - und nun als Trainer. Der Triumph des ehemaligen Außenseiterklubs belegt auch die zunehmende Ausgeglichenheit der Handball-Bundesliga.

Von Ulrich Hartmann, München

Die Hölle gibt es in vielen Varianten. Für einen Handballprofi kann sie aus einer 50-minütigen Angst bestehen, den sicher geglaubten Einlass in den Himmel noch zu verpassen.

24:24 stand es zehn Minuten vor Schluss im bedeutendsten Handballspiel des SC Magdeburg seit zwei Jahrzehnten. Der HBW Balingen-Weilstetten wehrte sich teuflisch. Für Magdeburg war es das 58. Pflichtspiel in dieser Saison, nur vier gingen verloren. Eines davon war das Pokalfinale, ein zweites das Endspiel der European League. Gegen Balingen nun ging es um den vorzeitigen Meistertitel. Der Tabellenführer tat sich schwer. Die Magdeburger fürchteten, auch die dritte Titelchance zu verspielen. "Wir sind durch die Hölle gegangen", sagte schließlich der Rückraumspieler Philipp Weber, als er im Himmel angekommen war. Magdeburg hatte 31:26 gewonnen.

Handball-Bundesliga: Gewissheit nach dem Schlusspfiff: Der SC Magdeburg feiert den Gewinn seiner zweiten gesamtdeutschen Meisterschaft.

Gewissheit nach dem Schlusspfiff: Der SC Magdeburg feiert den Gewinn seiner zweiten gesamtdeutschen Meisterschaft.

(Foto: Michael Taeger/Imago)

Himmel und Hölle sind ausnahmsweise angemessene Begriffe für derlei Vorgänge in einer Stadt, über die der dort geborene Handballtrainer Bennet Wiegert sagt: "In Magdeburg ist Handball eine Art Religion." Das Herzstück ist die Familie Wiegert. Vater Ingolf, 64, war in den Siebzigern und Achtzigern mit Magdeburg sieben Mal Meister, wurde 1980 mit der DDR Olympiasieger. Sohn Bennet, 40, feierte 2001 als Spieler mit dem SC Magdeburg den gesamtdeutschen Meistertitel. Nun wiederholt er dieses Kunststück als Trainer.

Der Oberbürgermeister blieb 21 Jahre im Amt - umrahmt von zwei Meistertiteln

Als knapp 6500 Zuschauer nach dem Spiel sekundenlang "Bennet Wiegert" skandierten, umarmte dieser auf dem Spielfeld seine Frau und die beiden Töchter. Auf der Tribüne stand Ingolf Wiegert und weinte. Wenn Handball in Magdeburg Religion ist, dann ist der 2. Juni 2022 jetzt wohl ein Datum für die Stadthistorie.

Ein anderes solches Datum ist der 20. Mai 2001. Damals wurde Magdeburg zuletzt Meister. An jenem Tag gewann Lutz Trümper die Wahl zum Oberbürgermeister und blieb 21 Jahre im Amt. Jetzt, mit dem zweiten Meistertitel der Handballer, tritt er ab, ausgerechnet. "Mit beeindruckender Dominanz haben unsere Handballer die Meisterschaft perfekt gemacht", freute er sich. "Ganz Magdeburg ist stolz."

Den SCM hatte niemand auf der Rechnung, als im September die Saison begann. Die vergangenen sechs Meister waren in dieser Reihenfolge zwei Mal die Mannheimer Rhein-Neckar-Löwen, zwei Mal die SG Flensburg-Handewitt und zwei Mal der THW Kiel. Magdeburg ist da eine Überraschung, was dem zur Neutralität verpflichteten Liga-Geschäftsführer Frank Bohmann insofern gefällt, als dieser Titelgewinn die zunehmende Ausgeglichenheit der Liga zeigt. "Im Gegensatz zur Fußball-Bundesliga und nachdem auch bei uns der THW Kiel zwischen 2005 und 2015 zehn Mal Meister geworden war, haben wir mit Magdeburg jetzt binnen sechs Jahren schon den vierten Meister." Bohmann sagt: "Die Klubs machen ihre Hausaufgaben; auch der Titel für Magdeburg ist kein Zufall, sondern Lohn für eine kontinuierliche Entwicklung."

Im Oktober schon besiegte der SC Magdeburg im Finale der Klub-Weltmeisterschaft den FC Barcelona

Der Glaube an diesen Titel bahnte sich bereits den Weg, als Magdeburg im vergangenen Oktober im Finale der Klub-Weltmeisterschaft den FC Barcelona besiegte. "An diesem Tag", sagt der Klub-Präsident Dirk Roswandowicz, "ist mir klar geworden, dass wir jede Mannschaft der Welt besiegen können." Das taten sie dann auch, mit wenigen Ausnahmen: In der Liga verloren sie je ein Mal gegen Flensburg und Kiel; im Pokalfinale unterlagen sie wiederum Kiel, im Endspiel der European League Benfica Lissabon. "Den Meistertitel haben wir uns nach diesen schweren Finalniederlagen redlich verdient", jubilierte der Linksaußen Lukas Mertens.

Häufigster Name im Magdeburger Team ist Magnus, der Große, der Bedeutende. Der Rückraumspieler Omar Ingi Magnusson sowie die Kreisläufer Magnus Gullerud und Magnus Saugstrup haben sich tatsächlich als groß und bedeutend erwiesen. Aber auch die Linksaußen Lukas Mertens und Matthias Musche, die Mittelmänner Gisli Kristjansson und Philipp Weber sowie der Kapitän Christian O'Sullivan waren treibende Kräfte.

Handball-Bundesliga: Geballte Meisterfäuste: Der Magdeburger Matthias Musche nach dem Sieg gegen den HBW Balingen-Weilstetten.

Geballte Meisterfäuste: Der Magdeburger Matthias Musche nach dem Sieg gegen den HBW Balingen-Weilstetten.

(Foto: Ronny Hartmann/dpa)

Letzterer drückte in seiner ersten Amtshandlung nach dem Titelgewinn den Spielball seinem Trainer Wiegert in die Hände. Dass dieser den Ball auf der Ehrenrunde nicht mehr losließ, lag am klebrigen Harz - und daran, dass er diese Kugel für immer in Ehren halten wird. "An den Titelgewinn 2001 kann ich mich kaum noch erinnern", gestand Wiegert. Damals war er 19 Jahre alt. Umso intensiver fühlt sich nun der Triumph als Trainer an: "Ein fantastisches Gefühl nach einer Saison voller mentalem Druck", sagte er, "was das angeht, habe ich jetzt noch viel mehr Respekt vor Kiel und Flensburg, die das jahrelang ausgehalten haben."

"Magdeburg vereint das ganze Bundesland Sachsen-Anhalt hinter sich."

Diesen beiden Klubs will Wiegert weiter Druck machen. "Kiel und Flensburg werden immer oben dabei sein", glaubt er, "aber es wird enger an der Spitze, und ich wünsche mir, dass ein Klub mal mit 15 Minuspunkten Meister wird." Dagegen hätte auch Liga-Boss Bohmann nichts einzuwenden. "Mehr Spannung? Gerne!", sagt er. "Vielleicht bekommen wir nächstes Jahr ja den fünften Meister binnen sieben Jahren. Die Füchse Berlin werden angreifen, auch Melsungen gilt schon länger als Kandidat."

Was Bohmann beeindruckt: "Magdeburg vereint das ganze Bundesland Sachsen-Anhalt hinter sich." SCM-Geschäftsführer Marc-Henrik Schmedt sagt: "Wir sind ein identitätsstiftender Leuchtturm für die ganze Region." Die Handballer sind Meister, die Fußballer vom 1. FC Magdeburg sind in die zweite Liga aufgestiegen, und Intel hat in der Landeshauptstadt den Bau mehrerer Chipfabriken im Volumen von 17 Milliarden Dollar angekündigt. "Alles Signale dafür, dass es mit dieser Region vorangeht", findet Schmedt.

Nächsten Sonntag empfangen die Magdeburger die Rhein-Neckar-Löwen. Nach dem Spiel erhalten sie die Meisterschale aus Bohmanns Händen, später dürfen sie sich im Alten Rathaus ins Goldene Buch eintragen. Die Aufenthaltsgenehmigung für den Handballhimmel freilich ist begrenzt. Man muss sie immer wieder neu beantragen.

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