Afrika:Gebt das Getreide frei

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Afrika bezieht mehr als 40 Prozent seines Weizens aus der Ukraine und Russland. Wegen des Krieges droht nun eine Hungerkrise. (Foto: Ahmed Gomaa/dpa)

Russland hält Weizenexporte zurück und verschärft so die Hungerkrise in Afrika. Die Afrikanische Union fordert ein schnelles Ende der Blockade.

Von Nicolas Freund und Tobias Zick, München

Einen Tag vor dem großen Termin auf der politischen Weltbühne kam am Donnerstag ein lauter Hilferuf aus einem der ärmsten Länder der Welt: Die Militärregierung des zentralafrikanischen Tschad rief den Ernährungsnotstand aus. Teile der Bevölkerung seien bereits in großer Not und brauchten dringend humanitäre Hilfe, erklärte der Chef der Junta, Mahamat Idriss Déby: In den vergangenen Monaten habe sich die Versorgungslage "konstant verschlechtert". Das bewerten die Vereinten Nationen ganz ähnlich: Ihren Schätzungen zufolge würden dieses Jahr in dem Land etwa 5,5 Millionen Menschen von Hilfe abhängig sein - etwa ein Drittel der Bevölkerung.

Wesentlich mitverantwortlich für die Krise in dem afrikanischen Land ist der Krieg in der Ukraine. Russland hat mehrere Häfen seines Nachbarlandes blockiert, seither kann von dort kein Getreide mehr exportiert werden. Auch Moskau selbst hält seine Exporte zurück und soll Berichten zufolge große Mengen Weizen aus den eroberten Gebieten in der Ukraine nach Russland schaffen.

Ein großer Teil des Weizens von dort wird normalerweise nach Afrika ausgeführt. Bis zum Beginn des Ukraine-Krieges bezog der Kontinent mehr als 40 Prozent seines Bedarfs aus den beiden Ländern. Die Verknappung und die extremen Preissteigerungen treffen auf eine ohnehin schon sehr angespannte Lage: In Afrika sind die Lebensmittelpreise in den vergangenen zwei Jahren bereits stark gestiegen, etwa weil es in dem Zeitraum viele Dürren gab - und auch weil Kunstdünger immer teurer geworden ist, der wiederum zu großen Teilen aus Russland kommt. Jetzt droht dem Kontinent eine der schwersten Hungerkrisen der Geschichte. Man sei "der Situation völlig ausgeliefert", klagte Macky Sall, Präsident des Senegal und zugleich Vorsitzender der Afrikanischen Union, bevor er am Freitag den russischen Präsidenten Wladimir Putin traf.

Putin nutzt Salls Forderungen, um Druck gegen den Westen aufzubauen

Sall plädierte bei dem Termin, der im Schwarzmeerort Sotschi stattfand, für einen Waffenstillstand, ein Ende des Krieges in der Ukraine und die Freigabe von Lebensmitteln. Der Kreml nutzte diese Forderungen, wie zu erwarten war, um Druck gegen den Westen aufzubauen. Weil russische Frachtschiffe mit Sanktionen belegt seien, könnten diese kein Getreide exportieren, erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow.

Tatsächlich sind nicht die russischen Schiffe sanktioniert, sie dürfen nur nicht in europäische Häfen einlaufen. Lieferungen nach Afrika sind nicht ausgeschlossen. Aber darum ging es Moskau nicht. Im Vorfeld des Treffens mit Sall hatte Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow schon gesagt, der russische Präsident werde "ausreichende Erklärungen seiner Sicht auf die Situation mit dem ukrainischen Getreide geben" und "unseren afrikanischen Gästen und Freunden die faktische und reale Lage" darstellen.

Putin hatte bereits vor Tagen, auch gegenüber dem Westen, die grundsätzliche Möglichkeit des Exports von Getreide in Aussicht gestellt, allerdings unter der Bedingung, dass die wegen des Krieges in der Ukraine verhängten Sanktionen gegen Russland aufgehoben werden. Lebensmittel sind vom Westen nicht sanktioniert, aber der Kreml möchte, wie mit den Frachtschiffen, den Eindruck erwecken, es bestünde eine Verbindung zwischen den Maßnahmen gegen den Krieg in der Ukraine und der drohenden Nahrungsmittelkrise. Der Termin mit Sall war auch deshalb vom Kreml anberaumt worden. Es ging dabei weniger um humanitäre Hilfe für Afrika, wichtiger war für Moskau das Werben um Verbündete gegen die Ukraine und den Westen.

Dieses Vorgehen passt zu der Afrika-Strategie Russlands. Seit Jahren versucht Moskau, in Afrika politisch und wirtschaftlich an Einfluss zu gewinnen. Oft mit Erfolg, wie im März bei der Abstimmung zur UN-Resolution für einen sofortigen Abzug russischer Truppen aus der Ukraine zu beobachten war: Acht afrikanische Länder nahmen an der Abstimmung gar nicht erst teil, 16 enthielten sich, und ein Land, Eritrea, stimmte sogar dagegen. Putin betonte bei dem Treffen am Freitag noch einmal die wachsende Bedeutung Afrikas für Russland.

Russland bietet sich den afrikanischen Ländern als Partner auf Augenhöhe an

Dass das Treffen mit Sall in Sotschi stattfand, war sicher kein Zufall: Dort hatte Putin vor drei Jahren einen Gipfel mit 43 afrikanischen Staats- und Regierungschefs veranstaltet. Er appellierte dabei an das immer noch tiefsitzende Misstrauen gegenüber früheren Kolonialmächten wie Frankreich und Großbritannien und bot sich, ähnlich wie es China in Afrika schon mit Erfolg getan hat, als Partner auf Augenhöhe an: Man wolle sich nicht an einer "Neuaufteilung" der Reichtümer des Kontinents beteiligen, sagte Putin, sondern wolle in einen "Wettbewerb um die Zusammenarbeit eintreten". Am Ende des Gipfels standen diverse neue Verträge über Waffenlieferungen und militärische Zusammenarbeit.

Was diese Art der Kooperation bewirkt, ist zuletzt am deutlichsten in Mali zutage getreten. In dem westafrikanischen Land hat die Militärregierung die Zusammenarbeit mit der früheren Kolonialmacht Frankreich bei der Bekämpfung von islamistischen Terrorgruppen aufgekündigt - und lässt stattdessen die "Gruppe Wagner", eine russische Söldnertruppe, gegen die Extremisten vorgehen. Beobachtern zufolge macht es die russische Unterstützung dem Regime leichter, trotz Drucks aus dem Westen die seit Langem überfälligen Wahlen immer wieder aufzuschieben.

Als Vermittler in der drohenden Nahrungsmittelkrise spielt derzeit noch die Türkei eine Rolle. Lawrow besucht Ankara kommende Woche, und auch bei diesem Termin wird es um die Getreideexporte gehen. Türkische Spezialisten sollen angeblich außerdem dabei helfen, die verminten Schwarzmeerhäfen wieder zugänglich zu machen. Und sogar der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hatte Hilfe angeboten: Das Getreide aus der Ukraine könne über Belarus ins Baltikum gebracht und von dort verschifft werden. Auch er knüpfte diese Option aber an eine Bedingung: die Aufhebung der westlichen Sanktionen.

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