Energiepreise:Steuer auf "ungerechtfertigte Extra-Gewinne"

Benzinpreise: Eine Tankstelle an der A2 bei Hannover

Tankstelle an der A2 bei Hannover: Auch die Senkung der Energiesteuern hat nicht dazu geführt, dass die Benzinpreise deutlich fielen.

(Foto: Moritz Frankenberg/dpa)

Politiker und manche Ökonomen wollen die Krisenerträge der Ölkonzerne, die so genannten Übergewinne, über eine Sondersteuer abschöpfen. So einfach ist das allerdings nicht.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Es dauerte nicht lange, bis sich die ersten Witzbolde in die Diskussion einschalteten, die das ganze Pfingstwochenende über im Kurzmitteilungsdienst Twitter hin und her gegangen war. Als Steuerberater freue er sich über alle Ideen, "die zumindest meiner Branche zu Übergewinnen verhelfen werden", schrieb ein Spaßvogel, der wohl gar kein Steuerberater ist und ein "hihi" anfügte. Zumindest legte er den Finger damit aber direkt in die Wunde: So plausibel es nach dem russischen Überfall auf die Ukraine nämlich klingt, die teils riesigen Krisengewinne etwa der Mineralölindustrie über eine Sondersteuer abzuschöpfen, so kompliziert ist die konkrete Ausgestaltung. Nicht wenige Experten fürchten, dass sich eine "Übergewinnsteuer" zwar als Konjunkturprogramm erweisen könnte - aber tatsächlich nur für Steuerberater.

Worum geht es? Schon seit Beginn der Corona-Pandemie, vor allem aber seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine haben sich viele Güter des täglichen Bedarfs massiv verteuert. Nirgendwo wird das so sichtbar wie an der Tankstelle, wo nicht einmal eine drastische Senkung der Energiesteuern zu einer dauerhaften und wirklich spürbaren Entlastung der Autofahrerinnen und Autofahrer führte. Der Verdacht: Die großen Mineralölkonzerne und Raffinerien nutzen die Angebotsengpässe und den Aktionismus der Politik aus, um die Preise über Gebühr anzuheben und Krisenerlöse - im Fachjargon Übergewinne genannt - in zweistelliger Milliardenhöhe zu kassieren.

Gleich mehrere führende Politiker von SPD und Grünen sprachen sich deshalb am Wochenende dafür aus, eine Übergewinnsteuer einzuführen. SPD-Chef Lars Klingbeil sagte, es könne nicht sein, dass sich die Öl-Multis "in der Krise die Taschen noch voller machen". Sein Grünen-Amtskollege Omid Nouripour erklärte, es gebe "einzelne Unternehmen, die als Trittbrettfahrer der Inflation aus dem Krieg Kapital schlagen". Sogar die Union, sonst kein Freund von Steuererhöhungen, blies ins gleiche Horn: Wenn die Energiekonzerne die Mehrerlöse aus der Senkung der Energiesteuern in die eigene Tasche steckten, "muss man diese ungerechtfertigten Extra-Gewinne wie in Großbritannien mit einer Steuer abschöpfen", polterte der stellvertretende Fraktionschef Jens Spahn.

Fratzscher sieht "Umverteilung von Menschen zu Energiekonzernen"

Rückendeckung erhielten die Politiker von renommierten Ökonomen. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, schlug "eine Übergewinnsteuer auf die Umsätze der Energielieferanten" vor, wie es sie etwa in Italien schon gebe. "Denn dies sind leistungslose Gewinne, die eine reine Umverteilung von Menschen zu Energiekonzernen bedeuten." Jens Südekum, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Düsseldorf, schrieb bei Twitter, eine Übergewinnsteuer dränge sich angesichts weiterer anstehender Preisschübe "aus Gerechtigkeitsgründen geradezu auf".

Zumindest Südekum verwies allerdings zugleich auf die Fußangeln, die eine solche Steuer mit sich brächte. Da wäre zunächst die Frage, was überhaupt ein Übergewinn ist. Um das festzulegen, müsste der Staat eine "normale" Kapitalrendite definieren und sie dann mit den tatsächlich erzielten Renditen vergleichen. Die Festlegung dieser Grenze wäre allerdings höchst willkürlich. "Ich verstehe prinzipiell den Impuls zu sagen, dass Übergewinne besteuert werden sollten. In der Praxis gibt es aber jede Menge Definitionsprobleme", sagte Dominika Langenmayr, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, der SZ. "Zudem stellt sich die Frage, ob eine Sondersteuer für eine einzelne Branche nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verstoßen würde und damit verfassungswidrig wäre."

Technisch einfacher wäre es, statt auf den Gewinn auf den Umsatz abzuheben und ihn mit den Einnahmen in Friedenszeiten zu vergleichen. Aber auch hier gäbe es große Probleme, wie Langenmayr betont: "Eine Raffinerie, die Benzin und Diesel teurer verkauft und deshalb deutlich höhere Umsätze erzielt als vor einem Jahr, hat ja selbst zugleich höhere Rohölkosten." Oder anders gesagt: Steigen Verkaufserlöse und Kosten in gleichem Umfang, erzielt das Unternehmen gar keine Übererträge.

Sollten "böse" Unternehmen anders besteuert werden als "gute"?

Wie kompliziert die Dinge sind, zeigt der Vergleich mit einem anderen Unternehmen, das zuletzt auch hohe Krisengewinne eingefahren hat: der Corona-Impfstoffhersteller Biontech. "Der Unterschied ist: Biontech gilt als gutes Unternehmen, die Ölkonzerne gelten als böse. Wir werden aber in schweres Fahrwasser kommen, wenn wir Steuersätze künftig davon abhängig machen wollen, ob ein Konzern gut oder böse ist", sagte Langenmayr. Das gelte umso mehr, als sich solche Beurteilungen ja auch änderten. "Nehmen Sie die Rüstungsindustrie: Ist die jetzt gut oder schlecht?" Und noch ein Eingeständnis der Politik fehlt der Ökonomin, die auch dem Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesfinanzministerium angehört: "Wir sind als Volkswirtschaft durch den Ukraine-Krieg und die gestiegenen Energiepreise insgesamt ärmer geworden. Da sagt der Instinkt: Besteuern wir die Ölkonzerne und stecken das Geld in die Subventionierung der Spritpreise - und alles ist wieder gut. Das wird aber nicht funktionieren, denn der Kuchen ist insgesamt kleiner geworden."

Statt sich im Kleinklein einer fragwürdigen Sondersteuer zu verhakeln, rät Langenmayr dazu, Spitzeneinkommen oder Kapitalerträge höher zu besteuern, sollte die Koalition vermögende Menschen in der Krise be- und Normalbürger entlasten wollen. Allerdings hätte auch eine solche Umverteilung Risiken und Nebenwirkungen. Staatshilfen für Gering- und Durchschnittsverdiener nämlich kurbeln tendenziell den Konsum an, weil Normalbürger einen viel größeren Teil ihres Einkommens für Güter des täglichen Bedarfs ausgeben (müssen) als Vermögende. Eine künstliche Befeuerung der Nachfrage aber, darin dürften sich die allermeisten Ökonominnen und Ökonomen ausnahmsweise einig sein, wäre in Zeiten ohnehin hoher Inflationsraten wohl keine allzu kluge Wirtschaftspolitik.

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